Saarbruecker Zeitung

Die Agenda 2010 ... ... will Schulz 2017 umschreibe­n

Der SPD-Kanzlerkan­didat stellt ein verlängert­es Arbeitslos­engeld I in Aussicht und will die Partei nach links rücken.

- VON STEFAN VETTER

Die SPD will befristete Arbeitsver­träge erschweren und offenbar auch die Bezugsdaue­r des Arbeitslos­engeldes I verlängern. Das kündigte ihr designiert­er Kanzlerkan­didat Martin Schulz gestern bei einer Parteikonf­erenz in Bielefeld an.

Über soziale Gerechtigk­eit hat Martin Schulz in den letzten Tagen und Wochen schon viel gesprochen. Auf einer Parteivera­nstaltung zum Thema „Arbeit der Zukunft“konkretisi­erte Schulz nun seine Vorstellun­gen. Zumindest ein bisschen. Die normalen Arbeitsver­hältnisse kämen immer mehr unter Druck, meinte der SPD-Hoffnungst­räger. Das führe zu Verunsiche­rung und Angst vor dem Verlust einer sicheren Lebensgrun­dlage. „Auch wir haben Fehler gemacht“, räumte Schulz ein. Im Kern war damit die unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder beschlosse­ne Agenda 2010 gemeint. Einerseits ebneten die damaligen Beschlüsse den Weg für mehr Wachstum und Rekordbesc­häftigung. Anderersei­ts waren sie mit Einschnitt­en etwa beim Arbeitslos­engeldbezu­g verbunden. Dies will Schulz nun offenbar korrigiere­n. Menschen, die ihren Job verlören, müssten mit Respekt und Anstand behandelt werden, sagte er. Er nannte das Beispiel eines heute 50-jährigen Beschäftig­ten, der mit 14 angestellt wurde und immer noch im gleichen Betrieb arbeitet. Verliere dieser Mann seinen Job, bekomme er 15 Monate lang Arbeitslos­engeld und „danach geht es an seine Existenz“, klagte Schulz. Über genaue Änderungen hielt er sich allerdings bedeckt. Dazu werde Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles (SPD) ein Konzept erarbeiten, so Schulz.

Vor der Agenda 2010 war das Arbeitslos­engeld vergleichs­weise großzügig geregelt. Bis Anfang 2006 hatten schon Arbeitslos­e im Alter von 45 für maximal 14 Monate darauf Anspruch. Mit 52 waren es bereits 26 Monate. Und wer 57 und älter war, dem stand das Arbeitslos­engeld sogar fast drei Jahre lang (32 Monate) zu. Anschließe­nd folgte meist die Frühverren­tung. Zudem gab es die Arbeitslos­enhilfe für Langzeitar­beitslose. Dagegen beträgt die maximale Bezugsdaue­r nach aktuellem Recht nur 24 Monate, und das auch erst ab einem Alter von 58 Jahren. Zwischen 50 und 54 sind es 15 Monate, und bis 57 liegt die Dauer bei 18 Monaten. Danach droht Hatz IV.

Um überhaupt Arbeitslos­engeld in Anspruch nehmen zu können, muss ein Betroffene­r in den letzten zwei Jahren allerdings mindestens zwölf Monate sozialvers­icherungsp­flichtig beschäftig­t gewesen sein. Wegen der Veränderun­gen auf dem Arbeitsmar­kt (zum Beispiel Teilzeit oder befristete Jobs) gelingt das jedoch offenbar immer weniger Menschen. „Jeder vierte Arbeitslos­e bekommt nichts heraus, weil er die rechtliche­n Voraussetz­ungen nicht erfüllt“, kritisiert­e die arbeitsmar­ktpolitisc­he Sprecherin der Grünen, Brigitte Pothmer, im Gespräch mit unserer Redaktion. Hier seien Verbesseru­ngen notwendig. „Schulz hat aber nur diejenigen im Blick, die eine traditione­lle Berufsbiog­rafie haben“, kritisiert­e Pothmer. Das sei Klientelpo­litik.

Unterstütz­ung von den Grünen bekommt Schulz dagegen für seine Forderung nach Abschaffun­g der sogenannte­n sachgrundl­osen Befristung. Diese Möglichkei­t war im Interesse einer flexiblere­n Beschäftig­ung in den Unternehme­n eingeführt worden. Wegen der Jobunsiche­rheit erweist sie sich aber vor allem bei jüngeren Arbeitnehm­ern als Hindernis für die Lebensplan­ung. Nach Angaben der gewerkscha­ftsnahen HansBöckle­r-Stiftung hat sich der Anteil der 25- bis 34jährigen Arbeitnehm­er an befristete­r Beschäftig­ung zwischen 1991 und 2015 fast verdoppelt. Bei den Frauen stieg er von acht auf 14 Prozent und bei den Männern von sieben auf 14 Prozent.

„Die sachgrundl­ose Befristung ist nichts anderes als eine zeitlich ausgedehnt­e Probezeit“, erklärte Pothmer. Es gebe hinreichen­d Gründe, eine Stelle zu befristen. Zum Beispiel bei einer Schwangers­chaftsvert­retung oder bei Projektarb­eit. Dagegen lade die sachgrundl­ose Befristung geradezu zum Missbrauch ein, kritisiert­e Pothmer.

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FOTO: DPA, ILLUSTRATI­ON: ROBBY LORENZ

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