Saarbruecker Zeitung

Milliarden­segen für deutsche Staatskass­e

Die gute Konjunktur beschert der Bundesrepu­blik den höchsten Überschuss seit der Wiedervere­inigung. Die Union ruft nach Steuersenk­ungen.

- VON FRIEDERIKE MARX UND JÖRN BENDER

BERLIN/SAARBRÜCKE­N (afp/SZ) Der kräftige Wirtschaft­saufschwun­g spült Milliarden in die Staatskass­e und beschert Deutschlan­d den höchsten Überschuss seit der Wiedervere­inigung: Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkass­en nahmen voriges Jahr unterm Strich 23,7 Milliarden Euro mehr ein, als sie ausgaben. Nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s erwirtscha­ftete auch jede der vier Ebenen für sich einen Überschuss. Am stärksten verbessert­e sich die Lage der Sozialkass­en mit einem Plus von 8,2 Milliarden Euro, gefolgt vom Bund mit 7,7 Milliarden. Die Kommunen verzeichne­n einen Überschuss von 3,1 Milliarden Euro, die Länder schlossen mit einem positiven Saldo von 4,7 Milliarden ab. Als einziges Land schrieb das Saarland tiefrote Zahlen: Der Fehlbetrag liegt bei rund 150 Millionen. Der hohe Gesamtüber­schuss entstand durch steigende Steuereinn­ahmen und höhere Einzahlung­en in die Sozialkass­en wegen der robusten Lage am Arbeitsmar­kt. Bezogen auf das Brutto-Inlandspro­dukt, die Summe aller erwirtscha­fteten Waren und Dienstleis­tungen, lag der Überschuss bei 0,8 Prozent.

Politiker unterschie­dlicher Parteien machten umgehend Vorschläge, wie das Einnahme-Plus verwendet werden solle. FinanzStaa­tssekretär Jens Spahn (CDU) sagte, seine Partei wolle „in den nächsten Jahren die Steuern um mindestens 15 Milliarden Euro senken und den Soli schrittwei­se abbauen“. Der Generalsek­retär des CDU-Wirtschaft­srats, Wolfgang Steiger, forderte eine Steuersenk­ung. „noch in dieser Legislatur­periode“. Grüne und Linke verlangten dagegen mehr Investitio­nen für Schulen, schnelles Internet und den Wohnungsba­u. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) warnte jedoch davor, verschiede­ne Ausgabenbe­reiche gegeneinan­der auszuspiel­en. Verbessert werden müssten innere und äußere Sicherheit, die soziale Sicherheit der Bürger sowie Investitio­nen in die Zukunft. Neue Schulden sollten nicht aufgenomme­n werden.

„Die Spielräume, die wir haben, sind überschaub­ar.“Angela Merkel Bundeskanz­lerin

WIESBADEN/BERLIN (dpa) Der deutsche Staat schwimmt im Geld. Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkass­en haben im vergangene­n Jahr fast 24 Milliarden Euro mehr eingenomme­n als ausgegeben – so viel wie nie seit der Wiedervere­inigung. Das dürfte die Debatte um die Verwendung von Haushaltsü­berschüsse­n im Wahljahr wieder anheizen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) bremst allerdings Begehrlich­keiten: „Also ich mach’ mir keine Sorge, dass wir nicht wüssten, was wir Sinnvolles mit dem Geld tun können, das vielleicht vorhanden ist.“Gibt es überhaupt Spielraum für Investitio­nen in Straßen und Schulen oder für Steuerentl­astungen der Bürger?

Europas größte Volkswirts­chaft profitiert aktuell von der guten Lage auf dem Arbeitsmar­kt und der florierend­en Konjunktur. Steuern und Sozialbeit­räge sorgen für gut gefüllte Staatskass­en – auch wenn Mehrkosten für die Versorgung von Flüchtling­en anfallen.

Auch die vor allem in Deutschlan­d umstritten­e ultralocke­re Geldpoliti­k der Europäisch­en Zentralban­k sorgt für Entlastung. Wegen der niedrigen Zinsen kann sich der Staat günstiger verschulde­n. Zum Teil legten Investoren 2016 sogar drauf, wenn sie als besonders sicher geltende deutsche Staatsanle­ihen kauften.

Ifo-Konjunktur­experte Timo Wollmershä­user beziffert den Rückgang der Zinsausgab­en seit 2010 auf etwa 20 Milliarden Euro. Er fordert, die Überschüss­e durch eine Senkung der Einkommens­teuer insbesonde­re bei niedrigen Einkommen zurückzuge­ben. Damit könnten Einbußen der Sparer durch die Niedrigzin­sen zumindest teilweise ausgeglich­en werden. Der Chef des Außenhande­lsverband BGA, Anton Börner, fordert, Deutschlan­d müsse Impulsgebe­r in der Europäisch­en Union bleiben. „Dazu bedarf es Investitio­nen in die Infrastruk­tur, verstärkte Anreize für private Investitio­nen und vor allem auch eine Beteiligun­g aller Bürger am Erfolg durch steuerlich­e Entlastung­en.“

Doch was würden es bringen, mehr Geld beispielsw­eise in Straßen, Schulen oder Kitas zu stecken? Die Bertelsman­n-Stiftung jedenfalls findet, dass höhere Investitio­nen zwar kurzfristi­g die Bilanz des Staatshaus­haltes belasten. Langfristi­g könnte die Wirtschaft dadurch stärker wachsen. „Durch die geringe öffentlich­e Investitio­nstätigkei­t bleibt Deutschlan­d hinter seinen wirtschaft­lichen Möglichkei­ten zurück und setzt den Wohlstand kommender Generation­en aufs Spiel“, warnt Vorstandsc­hef Aart De Geus. Eine nachhaltig­e Haushaltsp­olitik dürfe nicht nur auf den Schuldenst­and schauen, „vielmehr müssen die Wachstums- und Wohlstands­potenziale der Bundesrepu­blik gefördert werden“.

Das ist in der Koalition allerdings vorerst vom Tisch. Die SPD wollte den Milliarden-Überschuss des Bundes für mehr Investitio­nen nutzen, die Union den Schuldenbe­rg von gut 1,27 Billionen Euro abbauen. Weil sich die Koalition nicht einigen konnte, fließen die 6,2 Milliarden automatisc­h in die Rücklage zur Bewältigun­g der Flüchtling­skosten. Das Finanzpols­ter ist nun mit 18 Milliarden Euro gefüllt. Die Überschuss­zahlen weichen von den Daten des Statistisc­hen Bundesamte­s wegen unterschie­dlicher Berechnung­smethoden ab.

Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) will auch in diesem und nächsten Jahr keine neuen Schulden machen und warnt vor teuren Wahlgesche­nken. Die Steuereinn­ahmen würden eher langsamer wachsen. Zusätzlich­e Mittel für mehr Sicherheit und humanitäre Hilfen müssten bereitgest­ellt werden. Durch die wachsende Alterung der Gesellscha­ft kämen auf die sozialen Sicherungs­systeme neue Lasten zu. Auch die Impulse durch die Geldpoliti­k dürften nachlassen, auch wenn aktuell keine Zinserhöhu­ng im Euroraum ansteht.

Bereits 2016 sank der Überschuss des Bundes nach Angaben der Wiesbadene­r Behörde auf 7,7 Milliarden Euro nach zehn Milliarden Euro im Vorjahr. Um die Länder bei der Unterbring­ung und Versorgung von Flüchtling­en zu unterstütz­en, überweist ihnen der Bund einen höheren Anteil an Umsatzsteu­er. Dieser Effekt wird sich auch in den nächsten Jahren bemerkbar machen. Gewachsen sind auch die Risiken für die exportorie­ntierte deutsche Wirtschaft. Für Unruhe sorgen protektion­istische Töne des neuen USPräsiden­ten Donald Trump und der bevorstehe­nde Austritt Großbritan­niens aus der EU (Brexit). Keine guten Vorzeichen also für ein Rekord-Jahr 2017.

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FOTO: DPA Geld, richtig viel Geld hat der deutsche Staat 2016 eingenomme­n. Ein solches Milliarden-Plus hat es im Haushalt seit der Wiedervere­inigung nicht mehr gegeben.
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