Milliardensegen für deutsche Staatskasse
Die gute Konjunktur beschert der Bundesrepublik den höchsten Überschuss seit der Wiedervereinigung. Die Union ruft nach Steuersenkungen.
BERLIN/SAARBRÜCKEN (afp/SZ) Der kräftige Wirtschaftsaufschwung spült Milliarden in die Staatskasse und beschert Deutschland den höchsten Überschuss seit der Wiedervereinigung: Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkassen nahmen voriges Jahr unterm Strich 23,7 Milliarden Euro mehr ein, als sie ausgaben. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes erwirtschaftete auch jede der vier Ebenen für sich einen Überschuss. Am stärksten verbesserte sich die Lage der Sozialkassen mit einem Plus von 8,2 Milliarden Euro, gefolgt vom Bund mit 7,7 Milliarden. Die Kommunen verzeichnen einen Überschuss von 3,1 Milliarden Euro, die Länder schlossen mit einem positiven Saldo von 4,7 Milliarden ab. Als einziges Land schrieb das Saarland tiefrote Zahlen: Der Fehlbetrag liegt bei rund 150 Millionen. Der hohe Gesamtüberschuss entstand durch steigende Steuereinnahmen und höhere Einzahlungen in die Sozialkassen wegen der robusten Lage am Arbeitsmarkt. Bezogen auf das Brutto-Inlandsprodukt, die Summe aller erwirtschafteten Waren und Dienstleistungen, lag der Überschuss bei 0,8 Prozent.
Politiker unterschiedlicher Parteien machten umgehend Vorschläge, wie das Einnahme-Plus verwendet werden solle. FinanzStaatssekretär Jens Spahn (CDU) sagte, seine Partei wolle „in den nächsten Jahren die Steuern um mindestens 15 Milliarden Euro senken und den Soli schrittweise abbauen“. Der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger, forderte eine Steuersenkung. „noch in dieser Legislaturperiode“. Grüne und Linke verlangten dagegen mehr Investitionen für Schulen, schnelles Internet und den Wohnungsbau. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) warnte jedoch davor, verschiedene Ausgabenbereiche gegeneinander auszuspielen. Verbessert werden müssten innere und äußere Sicherheit, die soziale Sicherheit der Bürger sowie Investitionen in die Zukunft. Neue Schulden sollten nicht aufgenommen werden.
„Die Spielräume, die wir haben, sind überschaubar.“Angela Merkel Bundeskanzlerin
WIESBADEN/BERLIN (dpa) Der deutsche Staat schwimmt im Geld. Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkassen haben im vergangenen Jahr fast 24 Milliarden Euro mehr eingenommen als ausgegeben – so viel wie nie seit der Wiedervereinigung. Das dürfte die Debatte um die Verwendung von Haushaltsüberschüssen im Wahljahr wieder anheizen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bremst allerdings Begehrlichkeiten: „Also ich mach’ mir keine Sorge, dass wir nicht wüssten, was wir Sinnvolles mit dem Geld tun können, das vielleicht vorhanden ist.“Gibt es überhaupt Spielraum für Investitionen in Straßen und Schulen oder für Steuerentlastungen der Bürger?
Europas größte Volkswirtschaft profitiert aktuell von der guten Lage auf dem Arbeitsmarkt und der florierenden Konjunktur. Steuern und Sozialbeiträge sorgen für gut gefüllte Staatskassen – auch wenn Mehrkosten für die Versorgung von Flüchtlingen anfallen.
Auch die vor allem in Deutschland umstrittene ultralockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank sorgt für Entlastung. Wegen der niedrigen Zinsen kann sich der Staat günstiger verschulden. Zum Teil legten Investoren 2016 sogar drauf, wenn sie als besonders sicher geltende deutsche Staatsanleihen kauften.
Ifo-Konjunkturexperte Timo Wollmershäuser beziffert den Rückgang der Zinsausgaben seit 2010 auf etwa 20 Milliarden Euro. Er fordert, die Überschüsse durch eine Senkung der Einkommensteuer insbesondere bei niedrigen Einkommen zurückzugeben. Damit könnten Einbußen der Sparer durch die Niedrigzinsen zumindest teilweise ausgeglichen werden. Der Chef des Außenhandelsverband BGA, Anton Börner, fordert, Deutschland müsse Impulsgeber in der Europäischen Union bleiben. „Dazu bedarf es Investitionen in die Infrastruktur, verstärkte Anreize für private Investitionen und vor allem auch eine Beteiligung aller Bürger am Erfolg durch steuerliche Entlastungen.“
Doch was würden es bringen, mehr Geld beispielsweise in Straßen, Schulen oder Kitas zu stecken? Die Bertelsmann-Stiftung jedenfalls findet, dass höhere Investitionen zwar kurzfristig die Bilanz des Staatshaushaltes belasten. Langfristig könnte die Wirtschaft dadurch stärker wachsen. „Durch die geringe öffentliche Investitionstätigkeit bleibt Deutschland hinter seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten zurück und setzt den Wohlstand kommender Generationen aufs Spiel“, warnt Vorstandschef Aart De Geus. Eine nachhaltige Haushaltspolitik dürfe nicht nur auf den Schuldenstand schauen, „vielmehr müssen die Wachstums- und Wohlstandspotenziale der Bundesrepublik gefördert werden“.
Das ist in der Koalition allerdings vorerst vom Tisch. Die SPD wollte den Milliarden-Überschuss des Bundes für mehr Investitionen nutzen, die Union den Schuldenberg von gut 1,27 Billionen Euro abbauen. Weil sich die Koalition nicht einigen konnte, fließen die 6,2 Milliarden automatisch in die Rücklage zur Bewältigung der Flüchtlingskosten. Das Finanzpolster ist nun mit 18 Milliarden Euro gefüllt. Die Überschusszahlen weichen von den Daten des Statistischen Bundesamtes wegen unterschiedlicher Berechnungsmethoden ab.
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will auch in diesem und nächsten Jahr keine neuen Schulden machen und warnt vor teuren Wahlgeschenken. Die Steuereinnahmen würden eher langsamer wachsen. Zusätzliche Mittel für mehr Sicherheit und humanitäre Hilfen müssten bereitgestellt werden. Durch die wachsende Alterung der Gesellschaft kämen auf die sozialen Sicherungssysteme neue Lasten zu. Auch die Impulse durch die Geldpolitik dürften nachlassen, auch wenn aktuell keine Zinserhöhung im Euroraum ansteht.
Bereits 2016 sank der Überschuss des Bundes nach Angaben der Wiesbadener Behörde auf 7,7 Milliarden Euro nach zehn Milliarden Euro im Vorjahr. Um die Länder bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen zu unterstützen, überweist ihnen der Bund einen höheren Anteil an Umsatzsteuer. Dieser Effekt wird sich auch in den nächsten Jahren bemerkbar machen. Gewachsen sind auch die Risiken für die exportorientierte deutsche Wirtschaft. Für Unruhe sorgen protektionistische Töne des neuen USPräsidenten Donald Trump und der bevorstehende Austritt Großbritanniens aus der EU (Brexit). Keine guten Vorzeichen also für ein Rekord-Jahr 2017.