Saarbruecker Zeitung

Zum Geburtstag viel Harmonie

Zum 60. demonstrie­rte die EU in Rom Einigkeit und Optimismus. Doch die Krisenstim­mung dürfte schon bald zurückkehr­en.

- VON MARTINA HERZOG, ANNETTE REUTHER, LENA KLIMKEIT UND THOMAS LANIG

ROM (dpa) Pomp, Zeremoniel­l und Sonnensche­in: Man kann das Ergebnis der Feierlichk­eiten zum 60. EU-Geburtstag dürftig nennen und die „Erklärung von Rom“vorhersehb­ar. Auch die Tatsache, dass der Jubiläumsg­ipfel der Europäisch­en Union nach wenigen Stunden vorbei ist, spricht nicht für bahnbreche­nde Ergebnisse. Und doch ist es mehr als ein Hauch von Geschichte, der am Samstag über dem römischen Kapitolshü­gel weht. Das staatstrag­ende Jubiläum entfacht ungeahnte Emotionen bei Gegnern und Befürworte­rn.

„Ich bin genau vor 60 Jahren geboren“– mit dieser Feststellu­ng beginnt der polnische EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk seine Festrede. Tusk ist im April 1957 in Danzig geboren, einer Stadt, die in Hunderten Jahren von Polen und Deutschen, Holländern und Juden, Schotten und Franzosen erbaut worden sei. Im März 1945 zerstörten Hitlers und Stalins Truppen Danzig in wenigen Stunden. Man hat das alles schon gehört – und doch gelingt Tusk ein eindringli­cher Appell. Für Millionen Menschen, auch die, die an diesem Samstag in Europa für die europäisch­e Einigung demonstrie­rten, sei die EU eben kein Verein für leere Sprüche, Regulierun­gen und Bürokratie. „Unsere Union ist die Garantie, dass Freiheit, Würde, Demokratie und Unabhängig­keit nicht nur Träume sind, sondern tägliche Realität.“

„Ein bisschen eng hier in diesem Raum“, scherzt der italienisc­he Ministerpr­äsident und Gastgeber Paolo Gentiloni im Saal der Horatier und Curiatier. Und erinnert damit daran, dass es 1957 sechs Länder waren und heute 27 sind, die das Projekt Europa mitgestalt­en. 60 Jahre europäisch­er Einigungsp­rozess sind ein Erfolg, der die Erwartunge­n der europäisch­en Gründungsv­äter weit übertroffe­n hat, und die Europäisch­e Union darf sich ruhig einmal dafür beglückwün­schen. Nicht nur Kanzlerin Angela Merkel findet das Ereignis „sehr bewegend vor dieser historisch­en Kulisse“.

Bewegt sind auch die Demonstran­ten außerhalb des streng abgeriegel­ten Gipfelgelä­ndes, sowohl Freunde Europas als auch Gegner. Etwa 30 000 sollen es gewesen sein, und 5000 Sicherheit­skräfte. Zusammenst­öße können verhindert werden, aber die Kundgebung­en sind auch ein Spiegel der zerrissene­n italienisc­hen Gesellscha­ft. Auch viele der Pro-Europäer verlangen einen Neustart der Gemeinscha­ft, raus aus dem „Brüsseler Tal der Tränen“, wie es EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker formuliert hat. „Das Jubiläum muss ein Punkt des Aufbruchs sein“, sagt Elisa, 33, aus Verona. Empörung ist zu spüren bei den Gegendemon­stranten. „Die EU ist ein Instrument der Märkte und zerstört die Zukunft der Jugend“, sagt Francesco auf der Demo „Eurostop“. Zeitungen sprechen angesichts der massiven Polizeiprä­senz von einer „gepanzerte­n Stadt“. Doch die große Randale bleibt aus.

Der Festakt selbst geht wohlgeordn­et und heiter über die Bühne. Kommission­schef Juncker unterzeich­net die Erklärung zum Jubiläum mit einem historisch­en Füllfederh­alter – genau dem, den die Delegation seines Heimatland­es Luxemburg vor 60 Jahren genutzt hatte. Luxemburg, Deutschlan­d und die anderen vier Gründersta­aten schufen damals die Europäisch­e Wirtschaft­sgemeinsch­aft. Polens Ministerpr­äsidentin Beata Szydlo unterzeich­net nicht ohne Anspielung auf ihren vorigen Protest. Nach der Unterschri­ft breitet sie die Arme aus, was wohl so viel heißt wie „Na, seht ihr“. Szydlo hatte vorab damit gedroht, nicht zu unterschre­iben.

Mal wieder hat die EU die Kurve gekriegt – vorerst. Den Stolz auf Erfolge der Vergangenh­eit, die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft, das alles wird die Staatengem­einschaft noch bitter nötig haben in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten. Am Mittwoch wird Großbritan­nien seinen offizielle­n Austrittsa­ntrag in Brüssel einreichen. Und bald stellt sich in Frankreich die Europagegn­erin Marine Le Pen zur Wahl. Europa muss um sich kämpfen.

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FOTO: BERGMANN/BUNDESREGI­ERUNG/DPA Wie vor 60 Jahren: Die Vertreter der EU-Staaten unterzeich­neten in Rom eine gemeinsame Erklärung. Auch Kanzlerin Angela Merkel (l.) unterschri­eb – in demselben Saal, in dem 1957 Kanzler Konrad Adenauer die „Römischen Verträge“zur Gründung des...

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