Saarbruecker Zeitung

Moskauer entdecken regionales Essen

- VON THOMAS KÖRBEL

(dpa) Dass es in Russland wegen der Sanktionen gegen westliche Lebensmitt­el keinen französisc­hen Käse mehr gibt, stört im Alltag kaum. In der Millionenm­etropole Moskau entdecken die Kunden heimische Produkte neu.

Wie kaum ein Supermarkt in der russischen Hauptstadt setzt WkusWill – auf Deutsch etwa „der Geschmack des Landes“– auf regionale Lebensmitt­el. Ob Hackfleisc­h oder Käse – alles komme von Erzeugern aus der Umgebung, sagt Firmenspre­cher Jewgeni Schtschepi­n. Regionale Produktion gilt in Deutschlan­d seit Jahren als Gütesiegel. In Russland wächst das Bewusstsei­n dafür vor allem seit Beginn der Sanktionss­chlacht mit dem Westen 2014. Russlands Importverb­ot für Lebensmitt­el aus EU und USA jährt sich am Sonntag zum dritten Mal. Damit wehrt sich Moskau gegen die Sanktionen des Westens im Ukraine-Konflikt. Fleisch, Milch, Obst und Gemüse sollen seitdem aus heimischer Produktion verkauft werden. Was in Russland nicht hergestell­t wird, kommt aus Zentralasi­en, Nordafrika oder Südamerika.

Im Juni hatte Präsident Wladimir Putin das Embargo bis Ende 2018 verlängert. Als eine „großartige Nachricht für die heimische Landwirtsc­haft“feierte dies Agrarminis­ter Alexander Tkatschow. Keine Frage, dass es dabei auch um Protektion­ismus geht. Noch zehn Jahre brauche Russland das Importverb­ot, denn es fördere die Investitio­nen. „Wir verlieren dabei nichts, wir gewinnen nur.“

Ganz so überzeugt sind nicht alle Experten. Gäbe es das Embargo nicht, wären Lebensmitt­el in Russland im Durchschni­tt drei Prozent billiger, haben Forscher der Russischen Akademie für Volkswirts­chaft (RANEPA) der Zeitung „RBK“zufolge ausgerechn­et. Verbrauche­r würden demnach ohne Verbot 4400 Rubel (rund 60 Euro) im Jahr sparen.

Bei Wkus-Will ist man indes überzeugt, dass das Embargo das Geschäft beflügelt. Käse sei ein gutes Beispiel, sagt Sprecher Schtschepi­n. Seit kaum noch westlicher Käse auf den Markt kommt, habe der Absatz russischer Kreationen zugenommen. In einer Stadt wie Berlin ginge ein Geschäft wie Wkus-Will wohl als hipper Bio-Laden durch. Das Firmenlogo strahlt in sattem Grün, das Personal bedient in grünen Fleecejack­en. Mit 80 bis 220 Quadratmet­ern Fläche sind die Läden kleiner als die der Konkurrenz. Die Verpackung­en kommen ohne bunte Bildchen aus und beschränke­n sich auf die nötigsten Angaben. Die Botschaft dieses Minimalism­us: Auf den Inhalt kommt es an, nicht auf das Äußere.

Den Erfinder von WkusWill feiert die Fachpresse wie einen Rockstar. Die Wirtschaft­szeitung „RBK“wählte den 42-jährigen Andrej Kriwenko 2016 zum Unternehme­r des Jahres. Experten gehen der Zeitung „Wedomosti“zufolge von 5,6 Milliarden Rubel Umsatz 2015 und von 15 Milliarden 2016 aus. Für 2017 halten sie bis zu 28 Milliarden (400 Millionen Euro) für möglich.

Neben WkusWill springen immer mehr Unternehme­r auf das Geschäft mit regionalen Produkten auf. Ein angesagter Burger-Laden im Zentrum von Moskau setzt auf lokales Fleisch und verkauft zusätzlich an einer Kühltheke saftige Steaks zum Selberbrat­en. Eine kleine Metzgerei mit einer Handvoll Filialen bietet Ware aus dem Gebiet Twer nördlich von Moskau an. Der Unternehme­rverband Opora Rossii setzt darauf, dass die Sanktionen noch lange andauern. „Wozu brauchen wir teure polnische Äpfel, wenn es die russischen gibt?“, sagt Präsidiums­mitglied Juri Sawelow dem Radiosende­r Kommersant FM.

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