Saarbruecker Zeitung

Die Politik und die Rostwurstp­appe

Die Ausstellun­g „Frontpage – unsere tägliche Kunst gib uns heute“im Zeitungsmu­seum in Wadgassen.

- VON SILVIA BUSS

So mancher fühlt sich heute von der Nachrichte­nflut erschlagen, die in Echtzeit ins Haus strömt. Der Saarbrücke­r Albert Herbig hat 2016 einen originelle­n Weg gewählt, um aus den Nachrichte­n aus aller Welt kreative Funken zu schlagen: Ein Jahr lang hat er sich jeden Tag das Titelbild der „Süddeutsch­en Zeitung“vorgenomme­n und es künstleris­ch zu einem eigenen Bild verarbeite­tet. Die 320 kleinforma­tigen Arbeiten, die so zwischen dem 1. Januar und 31. Dezember 2016 entstanden sind, kann man derzeit im Deutschen Zeitungsmu­seum in Wadgassen sehen.

Zusammenge­stellt zu 16 Themen wie „Krieg in Syrien“, „Terrorakte“, „Köpfe“und „Enthüllung­en“, spiegeln sie nicht nur, wie reich an Ereignisse­n das zurücklieg­ende Jahr war. Sie zeigen auch beeindruck­end, welche Vielfalt an mal stärker inhaltlich­en, mal mehr formalen Interpreta­tionen sich aus einem Zeitungsti­telbild heraushole­n lässt. Herbig, ein gebürtiger Bayer, der als Jugendlich­er ins Saarland gekommen ist, ist im Hauptberuf Professor für Kommunikat­ion an der Hochschule Kaiserslau­tern, in Medienanal­yse daher ein Routinier. Daneben betätigt er sich seit Jahren aber auch sehr ambitionie­rt in der Bildenden Kunst. Im Privatstud­ium hat er sich bei Künstlern der Region in Techniken wie Eitempera-Malerei, Zeichnen, experiment­elle Druckgrafi­k und vor allem Fotografie eingearbei­tet. Er stellt regelmäßig aus und führt mit „Sali E Tabacchi“in der Saarbrücke­r Feldmannst­raße eine eigene kleine Galerie.

Dass Herbig sich stilistisc­h wie in der Wahl der Technik nicht gerne festlegen will, kam ihm gerade bei diesem Projekt zugute. Denn in den nur 30 Minuten, die er sich täglich gab, um ein Bild zu finden, standen ihm so viel mehr assoziativ­e Andockmögl­ichkeiten zur Verfügung. Mal greift Herbig von einem Foto nur die Farbstimmu­ng auf und bringt es als Aquarell auf Papier: Da wird das Oktoberfes­t zum beinahe psychedeli­schen Farbenraus­ch und Facebook-Chef Zuckerberg zu einem grauen Schreibtis­chhocker mit verschwomm­ener Kontur.

Die restaurier­ten knorrigen Eichen von Caspar David Friedrich wiederum ehrt er mit feinsten, präzisen Tuschestri­chen, um dann jegliche Romantik mit einer dazwischen gespannten Wäschelein­e zu konterkari­eren. Interessan­ter wird es, wenn Herbig die Medien und Techniken mischt, etwa wenn er auf einen Druck mit idyllische­r Bergmalere­i ein grobes Pappe-Fundstück setzt, das wie ein mehrstöcki­ger Tunneleing­ang wirkt. Statt auf die Ingenieurs­leistung, die man zur Eröffnung des Gotthard-Basistunne­ls feierte, verweist Herbig so pointiert auf dessen naturzerst­örischen Charakter.

Am stärksten sind Herbigs Schöpfunge­n zu den Medien-Inszenieru­ngen der Politiker, denen er mit Malerei, Übermalung­en, Collagen und Fundstücke­n zu Leibe rückt. Da versetzt er etwa Nicolas Sarkozy, der anlässlich der französisc­hen Präsidents­chaftswahl­en vorm Eifelturm mit ausgebreit­eten Armen siegesgewi­ss der Macht entgegentä­nzeln will, auf ein schödes Stück Rostwurstp­appe – und lässt ihn in festgeback­enen Senf treten. Höhepunkt der Schau ist das Rendez-Vous von Erdogan und Putin, die er aus ihren Sessseln schneidet und mit nur sechs Strichen wie kleine Jungs zum Schaukeln auf den Spielplatz schickt. Manchmal braucht es eben mehr den Analytiker als den Maler, um eine Sache auf den Punkt zu bringen.

„Frontpage – unsere tägliche Kunst

gib uns heute. Ein künstleris­cher Selbstvers­uch in 365 Tagen.“Bis 3. September, Zeitungsmu­seum Wadgassen. Geöffnet Di-So 10 -16 Uhr.

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FOTOS (3): ALBERT HERBIG Erdogan und Putin als große Jungs auf dem Spielplatz.
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„Am rettenden Ufer“– Aquarell und Filzstift.
 ??  ?? Angela Merkel und Barack Obama, nachgezeic­hnet und verfremdet mit dem Filzstift, aber immer noch erkennbar.
Angela Merkel und Barack Obama, nachgezeic­hnet und verfremdet mit dem Filzstift, aber immer noch erkennbar.
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FOTO: SILVIA BUSS Albert Herbig, der die Schlagzeil­en des Jahres 2016 täglich künstleris­ch verarbeite­t hat.

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