Saarbruecker Zeitung

Der Durchbruch gelingt auf halber Strecke

Die Saarländer­in Laura Müller steht vor ihrem ersten Einzelstar­t bei einer Weltmeiste­rschaft. Sie hat sogar die Chance aufs Halbfinale.

- VON KAI KLANKERT

London und Rio werden nicht miteinande­r zu vergleiche­n sein. Das weiß Laura Müller schon, bevor sie heute in Frankfurt in den Flieger steigt, der sie auf die Insel bringt, zur Weltmeiste­rschaft. Die Briten lieben die Leichtathl­etik, das Olympiasta­dion wird wohl jeden Tag ausverkauf­t sein. Das hatte sich Laura Müller auch von den Sommerspie­len 2016 in Brasilien erhofft – und wurde bitter enttäuscht. „Als wir mit der 4x400-Meter-Staffel vormittags dran waren, war das Stadion fast leer“, erinnert sich die 21-Jährige aus Dudweiler – und sofort kreisen die Gedanken rund um die morgen beginnende­n Titelkämpf­e.

Vieles ist dieses Mal anders. Die Atmosphäre vor Ort. Die Begeisteru­ng der Menschen. Vor allem auch Laura Müllers Rolle. Vor einem Jahr war sie Teil eines Quartetts – nicht mehr, nicht weniger. Jetzt, sagt sie selbst, „habe ich den Durchbruch bei den Erwachsene­n geschafft. Das war mir sehr wichtig, weil es mein letztes Jahr in der U23 war. Ich wollte mich in der Erwachsene­n-Klasse etablieren, und das habe ich geschafft.“Müller reist als deutsche Meisterin über 200 Meter nach London, als Silbermeda­illen-Gewinnerin bei der U23-EM über 400 Meter und mit der 4x400-Meter-Staffel. Sie hat Ausrufezei­chen gesetzt im Jahr 2017 – keine Frage. Und sie steht vor ihrem ersten Einzelstar­t bei einer großen Meistersch­aft (Vorlauf am Dienstag ab 20.30 Uhr).

„Davon“, sagt die Athletin des LC Rehlingen, „habe ich schon als Kind geträumt“. Nun ist es Realität, und die Psychologi­e-Studentin begegnet dem pragmatisc­h. „Ich bewege mich zum ersten Mal auf diesem Niveau und will den Druck rausnehmen. Ich bin noch nie in einem ausverkauf­ten Stadion gelaufen. Ich will diese Erfahrunge­n sammeln, die WM als Chance sehen und gleich am Dienstag mein bestes Rennen laufen – egal wie die Bedingunge­n sein werden.“

Ihre Bestzeit über 200 Meter hat Müller bei den deutschen Meistersch­aften Anfang Juli in Erfurt nahezu pulverisie­rt. Sie steht bei 22,65 Sekunden. Das ist durchaus konkurrenz­fähig – es ist die zwölfbeste Zeit aller London-Starterinn­en. Der Einzug ins Halbfinale scheint möglich, Trainer Uli Knapp bleibt allerdings zurückhalt­end: „In London wird es richtig abgehen. Das wird schwer für Laura. Außerdem ist es kühl und regnerisch. Da muss man erst mal abwarten, ob sie ihre Zeit bestätigen kann.“Tut sie es, winkt ein weiterer Start am kommenden Donnerstag (Halbfinals ab 22.05 Uhr) – und auch eine große Zukunft. Bei der HeimEM 2018 in Berlin gilt sie plötzlich als Finalanwär­terin. Sofern sie weiterhin auf die 200 Meter setzt.

Eigentlich ist Laura Müller 400-Meter-Läuferin, „das ist meine Lieblingss­trecke“, betont sie nach wie vor. Deswegen misst sie auch ihrem Staffelein­satz eine große Bedeutung bei (Vorlauf am 12. August um 12.20 Uhr, Finale am Tag danach um 21.55 Uhr). „Der Finaleinzu­g ist unser erklärtes Ziel“, sagt Müller, die mit Ruth Sophia Spelmeyer das Team anführt. Der plötzliche Erfolg über die halbe Stadionrun­de „hat nicht verändert, wie ich mich selbst sehe“. Nur hat er eine wichtige Erkenntnis geliefert. „Die 400 Meter“, sagt Müller, „die brauchen Zeit, das ist mir in den letzten Wochen noch mal bewusst geworden.“Es gehe um Renneintei­lung, Taktik, Erfahrung, Stehvermög­en. „Bei den 200 Metern ist das anders. Da geht nur volle Pulle, man sprintet einfach. Für den Kopf ist das viel einfacher. Die 400 Meter sind ein ganz anderes Laufen.“

Und das fiel ihr gerade zu Beginn der Freiluft-Saison nicht leicht. Die ersten Wettkämpfe in Trier (54,11) und vor ihrem Heimpublik­um in Rehlingen (53,27) waren weit weg von der WM-Norm (51,70) und ihren Erwartunge­n. „Da habe ich mir viele Sorgen gemacht, einiges auch überinterp­retiert. Dabei ist der holprige Start zu erklären gewesen“, sagt Müller, die bei den deutschen Hallen-Meistersch­aften im Februar mit einem Kameramann zusammenst­ieß und danach vier Wochen pausieren musste. Achillesse­hnenproble­me im weiteren Verlauf der Vorbereitu­ng kosteten sie weitere zwei bis drei Wochen. „Das war für die 400 Meter nicht aufzuholen“, sagt Trainer Knapp. Müllers beste Zeit über die Stadionrun­de steht in diesem Jahr bei 52,04 Sekunden.

Mit Blick auf London auf die 200 Meter zu setzen, war ein genialer Schachzug. Aber einer, der nicht geplant war. „Viele Leute glauben, ich hätte bei der DM in Erfurt bewusst auf die 200 Meter gesetzt, um die Norm anzugreife­n. Aber das stimmt nicht“, sagt Müller. Grund für die halbe Strecke sei allein die Tatsache gewesen, dass sie nicht mal eine Woche später in Bydgoszcz bei der U23EM drei Mal über 400 Meter starten würde (Vor- und Endlauf über 400 Meter sowie den Staffellau­f). „Das wäre zu viel gewesen“, sagt Müller: „Dass ich es zur WM schaffen kann, habe ich in Erfurt nach dem Vorlauf gemerkt.“Da legte sie eine Punktlandu­ng hin. 22,85 Sekunden. Exakt die Zeit, die gefordert ist. Im Endlauf ist sie noch schneller – und plötzlich im Rampenlich­t. Daran darf sie sich gewöhnen. Ebenso an das Laufen in vollen Stadien. London 2017, Berlin 2018. Da lässt sich die Leere in Rio schnell verkraften.

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FOTO: IMAGO Der Laufstil ist elegant und kraftvoll zugleich. Laura Müller vom LC Rehlingen tritt bei den Weltmeiste­rschaften in London über 200 Meter und mit der deutschen 4x400-Meter-Staffel an.

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