Saarbruecker Zeitung

Als Kunstblut und enge Korsette die Kinos füllten

Eine Dokumentat­ion zeichnet die Geschichte der legendären Gruselkino-Schmiede „Hammer Films“nach. Sie läuft am Sonntagabe­nd bei Arte.

- Sonntag, 21.55 Uhr, Arte. VON TOBIAS KESSLER

SAARBRÜCKE­N

Vampirzähn­e in Nahaufnahm­e, wogende Busen in engen Korsetten und Blut, das so rot leuchtet wie frisch gekochte Erdbeermar­melade – das waren die Insignien der britischen Produktion­sfirma Hammer: Mit ihren Schauermär­chen waren sie vor allem in den 1950ern und -60ern eine feste Größe und Marke.

Die schön betitelte Dokumentat­ion „Dark Glamour“von Jérôme Korkikian zeichnet die Geschichte der Firma flott nach. Mit der Krönung von Elisabeth II. 1953 beginnt sie, die britische Nation sitzt kollektiv vor dem Fernseher, der sich als Massenmedi­um durchsetzt. Die Kinos und Produktion­sfirmen schauen in die Röhre. Unter ihnen eine kleine Firma namens Hammer, die sich seit den 30ern behauptet. Doch die Geschäfte laufen schlecht, und so setzt man die letzte Hoffnung auf einen kleinen Gruselfilm in Schwarzwei­ß: „Schock“, der von einem Astronaute­n erzählt, der sich zu etwas verwandelt, das man durchaus als „shocking“bezeichnen kann.

Der Film wird zum Hit, Hammer gibt sich ganz dem Grusel hin und holt klassische Figuren des „Gothic Horror“aus der Gruft: Dracula und seinen Gegenspiel­er Van Helsing, außerdem den chirurgisc­h hochbegabt­en, wenn auch ethisch unterentwi­ckelten Baron Frankenste­in und die Kreatur, die er aus Leichentei­len zusammensc­hraubt und -näht. Diese Paare werden gespielt von Peter Cushing und Christophe­r Lee, den prägenden Darsteller­n Hammers. Sie geben den Filmen ihre Würde und Klasse mit, die ansonsten wenig zimperlich sind in Sachen Blut, Gewalt und Erotik.

Filmhistor­iker Marcus Hearn fasst den Aufschwung der Firma so zusammen: Mit „Schock“kam der Horror, mit „Frankenste­in“die Farbe, mit „Dracula“der Sex. Für Regisseur John Carpenter kam als Amerikaner noch eine britische Komponente hinzu: „Mit englischem Akzent klang das Ganze viel seriöser und ernster.“

Eine Zeitlang geht alles gut: Die Firma arbeitet vor sich hin, in liebevolle­n, auf alt getrimmten Bauten, bis ausgerechn­et ein Engländer in Amerika den Horrorfilm revolution­iert: Alfred Hitchcock mit „Psycho“. Die Angst lauert jetzt in der Gegenwart (und in der Dusche). Hammers Schauermär­chen wirken auf einmal altmodisch; die Firma steuert mit ein paar Psychothri­llern der Jetztzeit gegen, aber das ist nicht ganz ihr Terrain. Auch mit der Steinzeit versuchen sie es: „Eine Million Jahre vor unserer Zeit“konfrontie­rt Raquel Welch im Fell-Bikini mit Plastikdin­osauriern. Und „Die sieben goldenen Vampire“kreuzt Blutsauger­ei mit Fernost-Karatekino – bei mäßigem Erfolg.

Der größte Nagel wird 1973 in Hammers Sarg geklopft: „Der Exorzist“schockiert mit Tabubrüche­n, wird ein enormer Hit – und ist eine Eigenprodu­ktion des US-Studios Warner Brothers, das bisher die Hammer-Filme mitfinanzi­erte. Jetzt weiß Warner selbst, wie es geht, und dreht den Geldhahn ab. Hammer müht sich noch ein paar Jahre ab, 1979 entsteht der letzte Film. 2007 kaufen Investoren die Marke (und das lukrative Filmarchiv), und Filme wie „The Woman in Black“entstehen, die weniger auf Schocks setzen denn auf guten alten Schauer.

Mehr Laufzeit als seine schnell vergänglic­hen und vergnüglic­hen 55 Minuten hätte man der Doku gewünscht, es wird viel gerafft; der Hammer-Neuanfang wird zwar erwähnt und mit ein paar Filmaussch­nitten bebildert, aber viel erfährt man nicht. Eine Fortsetzun­g oder auch eine 90-Minuten-Fassung auf DVD wären sehr willkommen.

 ?? FOTO: HAMMER FILMS ?? Buu! Christophe­r Lee 1957 in „Frankenste­ins Fluch“als zusammenge­bastelte Kreatur – danach spielte er auch Graf Dracula.
FOTO: HAMMER FILMS Buu! Christophe­r Lee 1957 in „Frankenste­ins Fluch“als zusammenge­bastelte Kreatur – danach spielte er auch Graf Dracula.

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