Saarbruecker Zeitung

Lindner fordert Annäherung an Moskau

Der FDP-Chef dringt auf die Aufhebung der Russland-Sanktionen – und erntet dafür von fast allen Seiten Unverständ­nis und Kritik.

- VON SEBASTIAN ENGEL

(dpa/ots) Der FDP-Vorsitzend­e Christian Lindner hat eine Verbesseru­ng der Beziehunge­n zu Russland angemahnt. Es müsse Angebote geben, damit der russische Präsident Wladimir Putin ohne Gesichtsve­rlust seine Politik verändern könne, sagte Lindner am Wochenende den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe. „Sicherheit und Wohlstand in Europa hängen auch von den Beziehunge­n zu Moskau ab.“Lindner weiter: „Um ein Tabu auszusprec­hen: Ich befürchte, dass man die Krim zunächst als dauerhafte­s Provisoriu­m ansehen muss.“

Den Krim-Konflikt werde man „einkapseln müssen“, um an anderen Stellen Fortschrit­te zu erzielen, sagte Lindner. Die europäisch­en Sanktionen sollten „nicht erst fallen können, wenn das Friedensab­kommen von Minsk vollständi­g erfüllt ist“. Auch positive Zwischensc­hritte müssten gewürdigt werden, so der FDP-Vorsitzend­e. Der „Bild am Sonntag“sagte er: „In Wahrheit habe ich ausgesproc­hen, was viele denken und was längst im Stillen reale Politik ist.“

Die Annexion der Baltischen Staaten durch die Sowjetunio­n nach dem Zweiten Weltkrieg sei vom Westen auch nie anerkannt worden, trotzdem hätten Staatsmänn­er wie Willy Brandt und Walter Scheel eine neue Ostpolitik entwickeln können, erklärte Lindner. Dieser Wandel durch Annäherung sei damals „neues Denken“gewesen. Das sei auch heute nötig. Das bedeute aber nicht, dass die FDP ihre kritische Position gegenüber Moskau relativier­e.

Die deutsch-russischen Beziehunge­n sind seit Beginn der Ukrainekri­se vor drei Jahren schwer belastet. Wegen der sanktionsw­idrigen Lieferung mehrerer Siemens-Gasturbine­n auf die Krim hatte die Europäisch­e Union erst am Freitag mehrere Strafmaßna­hmen beschlosse­n. Die EU erkennt die Einverleib­ung der Schwarzmee­rhalbinsel durch Russland nicht an und hat Moskau deshalb mit Sanktionen belegt.

Der Vorstoß des FDP-Chefs ist bei einigen Politikern auf Kritik und Unverständ­nis gestoßen. Unter anderem entgegnete der Grünen-Chef Cem Özdemir, der Vorsitzend­e der Liberalen wolle „offenbar eine neue Koalition der Diktatoren­freunde“um Linken-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t vorbereite­n. „Er schwenkt damit ein auf den falschen Kuschelkur­s von Linken, CSU und SPD und hebt dafür sogar das Wahlprogra­mm seiner Partei auf.“

Beifall zu seinem umstritten­en Vorstoß zur Kurskorrek­tur mit Russland erhielt Christian Lindner auch prompt von den Linken. Spitzenkan­didatin Sahra Wagenknech­t sagte den Zeitungen der Funke-Mediengrup­pe, auch aus Gründen von Frieden und Sicherheit in Europa sei es dringlich, zu den Traditione­n der Entspannun­gspolitik gegenüber Russland zurückzuke­hren. „Wenn die FDP sich auf diese außenpolit­ischen Traditione­n besinnt, ist das begrüßensw­ert.“

Der Russland-Beauftragt­e der Bundesregi­erung, Gernot Erler, mahnte ein gemeinsame­s europäisch­es Vorgehen zur Lösung des Ukraine-Konflikts an. Das Thema Krim sollte erst in einem späteren politische­n Prozess auf die Tagesordnu­ng gebracht werden. „Es wäre hilfreich, wenn sich auch Herr Lindner an diese Verabredun­g hielte.“

Der außenpolit­ische Sprecher der CDU/CSU-Bundestags­fraktion, Jürgen Hardt, erklärte: „Es ist erstaunlic­h, wie leichtfert­ig der Vorsitzend­e der ‚Partei der Freiheit’ FDP mit dem Völkerrech­tsbruch Russlands in der Ukraine umgeht. Freiheits- und Menschenre­chte werden von Moskau massiv missachtet, nicht nur auf der völkerrech­tswidrig besetzten Krim.“Erst wenn die Minsker Vereinbaru­ngen ohne Abstriche umgesetzt seien, könnten die Strafmaßna­hmen gegen Russland aufgehoben werden. Einen Mechanismu­s der schrittwei­sen Aufhebung hätten die Staaten der freien Welt nicht vorgesehen. Es wäre ein „verheerend­es Signal“, einen Aggressor wie Wladimir Putin auch noch zu belohnen, betonte Hardt.

Auch die Bundesregi­erung hat nach Lindners Äußerungen ihre Haltung zu der von Russland annektiert­en ukrainisch­en Halbinsel bekräftigt. „Russland hat mit der Annexion Völkerrech­t gebrochen und die europäisch­e Friedensor­dnung nach dem Zweiten Weltkrieg in Frage gestellt“, sagte Vize-Regierungs­sprecherin Ulrike Demmer am Montag. Die Haltung der Bundesregi­erung und der gesamten EU zu Russland sei „völlig eindeutig und unveränder­t“.

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FOTO: STACHE/DPA Seine Haltung teilen die Wenigsten: Der FDP-Vorsitzend­e Christian Lindner pocht auf eine Verbesseru­ng der Beziehunge­n zu Russland. Die Sanktionen seien nicht zielführen­d.

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