Saarbruecker Zeitung

Das schwarz-grüne Tischtuch hat tiefe Risse

ANALYSE Ratlosigke­it, Trotz oder Wut auf die Christdemo­kraten: So reagiert der Grünen-Parteitag in Niedersach­sen auf den Wechsel von Elke Twesten zur CDU.

- VON DORIS HEIMANN

Göttingen

(dpa) Elke Twesten hat auf der offizielle­n Tagesordnu­ng des Parteitags der niedersäch­sischen Grünen keinen Platz. Für drei Tage sind die Delegierte­n in Göttingen zusammenge­kommen, um ihre Kandidaten für die Landtagswa­hl zu bestimmen. Doch eine Aussprache über die Abgeordnet­e aus Rotenburg, die der Partei mit ihrem Wechsel zur CDU ein riesiges Schlamasse­l eingebrock­t hat, steht nicht auf dem Plan. „Wir wollen sie eigentlich mal hinter uns lassen, diese Dame“, sagt dazu der Landesvors­itzende Stefan Körner mit gequälter Ironie. Trotzdem ist das Wechselman­över der 54-jährigen Hinterbänk­lerin das dominieren­de Thema – in den Reden auf der Tribüne, in den Gesprächen unter den Delegierte­n und erst recht bei der Kaffeepaus­e.

Gut eine Woche ist es her, dass Twesten völlig unerwartet ihren Wechsel bekannt gab. Die Ein-Stimmen-Mehrheit der rot-grünen Koalition von Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) war damit hin. Nun muss am 15. Oktober ein neuer Landtag gewählt werden – drei Monate früher als geplant. Niedersach­sens Grüne hat das kalt erwischt. „Es ist, als sei jemand gestorben, und man versteht nicht, dass er weg ist“, sagt die Landtagsab­geordnete Julia Willie Hamburg aus Goslar über Twestens Abgang. Und der Schluss liegt nahe, dass sich die Trauer durchaus auch auf das jähe Ende der rot-grünen Regierungs­verantwort­ung bezieht.

Bei dem Versuch, den Verlust zu verarbeite­n, konzentrie­ren sich die Grünen auf zwei Dinge: Sie machen sich selber Mut vor dem bevorstehe­nden Wahlkampf, der für die Partei kein leichter sein wird. Und sie attackiere­n die CDU, der sie unterstell­en, sie habe Twesten mit einem Angebot zum Frontenwec­hsel animiert.

Twesten und der CDU-Spitzenkan­didat Bernd Althusmann bestreiten solche Vorwürfe. Allerdings hatte die Abgeordnet­e die Gerüchte bei der Bekanntgab­e ihrer Entscheidu­ng befeuert: Sie sei enttäuscht darüber, dass ihr Wahlkreis sie nicht als Direktkand­idatin aufgestell­t habe – und es gebe ja noch andere Parlamente, für die man sich bewerben könne, wie etwa den Bundestag und das Europaparl­ament. Doch die Listen der CDU für Bundestags­und Landtagswa­hl sind bereits geschlosse­n, und die Europawahl liegt in weiter Ferne.

Mittlerwei­le kommen immer neue Details über die Kontakte der abtrünnige­n Grünen mit der Union ans Licht. So sagte Twesten dem „Spiegel“, sie habe sich bereits Ende Juli mit Althusmann in einem Hotel in Bad Fallingbos­tel getroffen. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) soll einem Bericht des Redaktions­netzwerks Deutschlan­d zufolge einen Tag vor der Wechselank­ündigung Bescheid gewusst haben.

In Göttingen ist sich der ehemalige Bundesumwe­ltminister Jürgen Trittin sicher: „Dies ist der Versuch der CDU, mit unsauberen Mitteln das letzte rot-grün regierte Flächenlan­d zu übernehmen.“Die CDU in Niedersach­sen habe es einfach nie verwunden, dass sie bei der Landtagswa­hl 2013 überrasche­nd unterlegen war. Und Twesten habe sich aus gekränkter Eitelkeit dafür hergegeben. In der „Welt am Sonntag“sagte Twesten über ihre neue Partei CDU: „Wir haben uns aufeinande­r zubewegt, ohne Angebote oder Forderunge­n. Es könnte passen. Wir versuchen es jetzt mal miteinande­r.“

Über Schwarz-Grün denkt in Niedersach­sen nach Twestens Übertritt indes keiner mehr nach. Das Tischtuch zwischen den Parteien scheint endgültig zerschnitt­en. Eine Fortsetzun­g der rot-grünen Koalition erscheint indes fraglich: Umfragen sehen die SPD zwischen 28 und 32 Prozent, die Grünen bei 9 Prozent. 2013 hatte es für letztere noch für ein Rekorderge­bnis von 13,7 Prozent gereicht. Vieles deutet derzeit auf Schwarz-Gelb.

„Es ist, als sei jemand

gestorben, und man versteht nicht,

dass er weg ist.“

Julia Willie Hamburg

Grüne im Landtag Niedersach­sens

Newspapers in German

Newspapers from Germany