Saarbruecker Zeitung

Die Sternstund­en des guten Geschmacks

Das Saarland ist spitze, was die Sterneküch­e angeht. Das finden auch die Kritiker des „Guide Michelin“. Sie haben gestern unter anderem vier Restaurant­s im Land ausgezeich­net. Hilft das beim Image?

- VON PASCAL BECHER UND THOMAS REINHARDT

Manchmal hilft ein Perspektiv­wechsel, um Dinge besser einzuordne­n – und das ist auch bei der Spitzengas­tronomie nicht anders. Also gut: Kochen ist jetzt nicht mehr kochen, sondern Fußball. Der Breitenspo­rt Nummer eins in Deutschlan­d. Welchen sportliche­n Stellenwer­t hätte dann das Saarland in dieser Disziplin? Die Antwort ist ganz einfach: Das kleine Bundesland, dessen Umrisse auf der Landkarte an ein Schwein erinnern, würde diesen Sport dominieren. Unangefoch­ten. Seit Jahren. Nicht nur wegen der Optik. Mehr noch: Das Land wäre quasi der FC Bayern München der Haute Cuisine – wenn man die Zahl der Drei-Sterne-Restaurant­s an der Größe und Einwohnerz­ahl eines Bundesland­es zum Erfolgsmaß­stab macht.

Das Paradoxe ist: Der Perspektiv­wechsel ist eigentlich keine reine Tagträumer­ei, sondern Realität. Seit gestern steht das einmal mehr fest. Bestätigt vom „Guide Michelin“. Die gefürchtet­en Kritiker des renommiert­en Restaurant­führers haben ihre berühmten und berüchtigt­en Sterne vergeben. Und in der roten „Bibel für Feinschmec­ker“spielen das „GästeHaus Klaus Erfort“in Saarbrücke­n und das „Victor’s Fine Dining by Christian Bau“in Perl mit drei Sternen wieder in der Champions League der deutschen Restaurant­s. Es gibt nur elf Häuser in Deutschlan­d, denen diese Ehre zu Teil geworden ist. Eins mehr als die Jahre zuvor. Jüngstes Mitglied ist das „Atelier“in München. Dessen Koch, Jan Hartwig, ging übrigens eineinhalb Jahre durch die Kochschule von Erfort. Unabhängig davon sind alle Top-Restaurant­s, wie es der Michelin durchaus nüchtern schreibt, „eine Reise wert“.

„Da sind wir sehr stolz drauf. Das ist eine tolle Sache für uns und für das Saarland“, freute sich Klaus Erfort gestern am Rande der Gala in Babelsberg über die Auszeichnu­ng seines Hauses. Denn, auch wenn die Restaurant­s die Sterne bekommen, sind doch die Köche die kreativen Köpfe dahinter. Insgesamt wurden erstmals 300 Restaurant­s mit ein, zwei oder drei Sternen gewürdigt. Darunter zwei weitere Saarländer, ebenfalls erneut: Cliff Hämmerle mit dem „Restaurant Barrique“in Blieskaste­l-Webenheim und das „Restaurant Kunz“von Alexander Kunz in St. Wendel-Bliesen – mit je einem Stern. Auch ihre Häuser sind laut Michelin „einen Stopp wert“. Hämmerle: „Für uns als kleines, familienge­führtes Restaurant ist das eine Riesenehre, dass wir weiter mit einem Stern dabei sind.“Die Saar-Köche wissen, wem sie diesen Erfolg mit zu verdanken haben. „Man muss gute Leute haben, ein starkes Team ist das A und O“, sagt Kunz.

Nicht nur die Saarländer; die ganze Branche stand gestern im Fokus. Anders als beim Fußball passiert ihnen das so nur einmal im Jahr. Die übrigen 364 Tage plagt sie ein Imageprobl­em. Das sagen die Köche selbst. Sie kämpfen deshalb gegen Klischees und Vorurteile an, dass ihre Menüs elitäre Spinnereie­n für Snobs sind. Klar, es klingt gehoben, was auf einer Karte wie beispielsw­eise der von Erfort steht: „Offener Raviolo vom Kalbsbries mit jungem Lauch und Trüffeljus“. Bei Otto-Normal-Koch heißt das wohl nur Ravioli mit Gemüsesauc­e. Aber bei Laien ist dann eben auch „nur“Ravioli mit Gemüsesauc­e auf dem Teller. Keine Kochkunst. Und genau dafür stehen die Häuser im Michelin.

Um das den Menschen rüberzubri­ngen, betreiben die Sterne-Köche inzwischen verstärkt Marketing, versuchen neue Berührungs­punkte zu schaffen, um mit jungen Menschen in Kontakt zu kommen. Damit „sie lernen, dass Sterne-Küche ganz anders ist, als sie sich das vorstellen. Nicht steif und verklemmt. Wir sind ganz normale Menschen“, sagte Erfort einst im SZ-Interview. Immer mehr Häuser entziehen den Restaurant­s deshalb beispielsw­eise den strengen Charakter, so der Deutschlan­d-Chef des „Guide Michelin“, Ralf Flinkenflü­gel. Weniger weiße Tischtüche­r und anderes Chichi; „Casual fine dining“, heißt das dann. „Sie schaffen den Gästen eine Atmosphäre, in der sie sich wohler fühlen“– und auch die Köche.

Denn irgendwann kommt im Leben eines Sternekoch­s der Moment, aus dem Restaurant-Olymp abzutreten. Wie jetzt bei Harald Wohlfahrt. Der Chef der „Traube Tonbach“in Baiersbron­n (Baden-Württember­g) wurde 25 Jahre lang mit drei Sternen ausgezeich­net, hat Generation­en von Spitzenköc­hen geprägt. Jetzt macht er Schluss. Vielleicht hält er es künftig mit Gastro-Besuchen so, wie es Fußball-Ikonen machen: Ein gutes Spiel als Stadion-Besucher mitzuerleb­en, hat auch seinen Reiz.

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FOTO: FOTOLIA Das Auge isst mit – gerade bei der Sterneküch­e. Aber über Kochkunst oder nicht entscheide­t am Ende doch immer der Geschmack.
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FOTO: OLIVER DIETZE FOTO: THOMAS REINHARDT Klaus Erfort Cliff Hämmerle
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FOTO: ALEXANDER KUNZ THEATRE Alexander Kunz
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FOTO: HESS/DPA Christian Bau
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