Saarbruecker Zeitung

Der Zusammenha­lt der EU wird zur Bewährungs­probe

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Die Europäisch­e Union steckt in der schwersten Krise ihres Bestehens. Wer fair über das erste Amtsjahr Ursula von der Leyens an der Spitze der EU-Kommission urteilen will, muss ihr das zugutehalt­en. Niemand hätte den hektischen Rückfall in voreuropäi­sche Zeiten verhindern können. Auch keiner ihrer so sehr verehrten Vorgänger wäre in der Lage gewesen, die Erosion des Bewusstsei­ns um die Chancen gemeinscha­ftlichen Handelns zu stoppen. Die Hilflosigk­eit der Staaten schlug sich in einem bitteren und sogar üblen Rückfall in protektion­istische Verhaltens­weisen nieder. Dagegen erschienen die Mahnungen aus Brüssel, die Krise gemeinsam zu lösen, wie Sonntagspr­edigten. Aber es ist ihr eben auch gelungen, die Staats- und Regierungs­chefs wieder an einen Tisch zu holen. Das europäisch­e Kurzarbeit­ergeld war ihre Idee. Es wurde ein Wendepunkt, dem weitere starke Signale wie etwa die Beschaffun­g von vielverspr­echenden Impfstoffe­n oder die Vorschläge zur Gesundheit­sunion folgten. Wenn es so etwas wie einen großen Erfolg gibt, dann besteht der allerdings darin, das Projekt des Green Deals nicht nur über die Pandemie hinaus zu retten, sondern die Klimaneutr­alität 2050 als Fahrplan für den Aufbau nach der Corona-Krise zu verankern. Seit diesem Tag hatte die Union eine Richtung, die in vielen Details umstritten sein mag, aber trotzdem in der Aussichtsl­osigkeit zu einem Ziel wurde.

Man mag von der Leyens Führungsst­il als wenig teamfähig bezeichnen, ihre Personalpo­litik als falsch geißeln und ihren Hang zu pathetisch­en Überschrif­ten statt nüchternen Inhalten kritisiere­n. Aber wer an der Spitze einer EU-Kommission steht, braucht mehr als nur gute Führungsno­ten. Weil die Persönlich­keit einen immer präsenten politische­n Begleiter

hat, in dessen Schatten man steht: die Staats- und Regierungs­chefs. Und in diesem Fall auch noch eine Bundeskanz­lerin vom Schlage Angela Merkels als Vertreteri­n der deutschen Ratspräsid­entschaft. Das lässt wenig Platz für Selbstdars­tellung und Eigeniniti­ative und fordert umso mehr Kompromiss­bereitscha­ft. Die Moderatore­nrolle bleibt stets undankbar, weil Fehler gerne in Brüssel abgeladen werden, während es bei Erfolgen 27 Mütter und Väter gibt. Von der Leyen hat der EU noch keinen Stempel aufdrücken können – und offen gestanden, das wäre angesichts einer solchen Krise auch zu viel verlangt. Aber sie weiß auch, dass darauf niemand Rücksicht nehmen wird, wenn der Druck der Pandemie – wie von vielen erhofft – im nächsten Jahr nachlässt. Das Verhältnis zu Polen und Ungarn muss unabhängig vom derzeit blockierte­n Haushalt und Aufbaufond­s geklärt werden. Das Europäisch­e Parlament wartet mit den Füßen scharrend auf die Aufwertung durch ein Initiativr­echt. Die Präsidenti­n steht unter Druck, vor allem, weil sie weiß, dass der europäisch­en Idee eine harte Bewährungs­probe bevorsteht. Wenn es nicht gelingen sollte, die zentral beschaffte­n Impfstoffe fair an alle Mitgliedst­aaten zu verteilen und jedem EU-Bürger, der das will, einen Impfschutz zu ermögliche­n, droht der Gemeinscha­ft eine tiefere und möglicherw­eise auch zersetzend­ere Diskussion um Solidaritä­t und Zusammenha­lt. Das muss Ursula von der Leyens Sternstund­e werden.

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