Schwabmünchner Allgemeine

Theodor Fontane – Effi Briest (75)

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Und wenn man immer in vornehmen Häusern gedient hat ... aber das haben Sie nicht, Roswitha, das fehlt Ihnen eben ... dann weiß man auch, was sich paßt und schickt und was Ehre ist, und weiß auch, daß, wenn so was vorkommt, dann geht es nicht anders, und dann kommt das, was man eine Forderung nennt, und dann wird einer totgeschos­sen.“

„Ach, das weiß ich auch; ich bin nicht so dumm, wie Sie mich immer machen wollen. Aber wenn es so lange her ist ...“

Ja, Roswitha, mit Ihrem ewigen ,so lange her‘; daran sieht man ja eben, daß Sie nichts davon verstehen. Sie erzählen immer die alte Geschichte von Ihrem Vater mit dem glühenden Eisen und wie er damit auf Sie losgekomme­n, und jedesmal, wenn ich einen glühenden Bolzen eintue, muß ich auch wirklich immer an Ihren Vater denken und sehe immer, wie er Sie wegen des Kindes, das ja nun tot ist, totmachen will. Ja, Roswitha, davon sprechen Sie in einem

fort, und es fehlt bloß noch, daß Sie Anniechen auch die Geschichte erzählen, und wenn Anniechen eingesegne­t wird, dann wird sie’s auch gewiß erfahren, und vielleicht denselben Tag noch; und das ärgert mich, daß Sie das alles erlebt haben, und Ihr Vater war doch bloß ein Dorfschmie­d und hat Pferde beschlagen oder einen Radreifen belegt, und nun kommen Sie und verlangen von unserm gnäd’gen Herrn, daß er sich das alles ruhig gefallen läßt, bloß weil es so lange her ist. Was heißt lange her? Sechs Jahre ist nicht lange her. Und unsre gnäd’ge Frau – die aber nicht wiederkomm­t, der gnäd’ge Herr hat es mir eben gesagt –, unsre gnäd’ge Frau wird erst sechsundzw­anzig, und im August ist ihr Geburtstag, und da kommen Sie mir mit ,lange her‘. Und wenn sie sechsunddr­eißig wäre, ich sage Ihnen, bis sechsunddr­eißig muß man erst recht aufpassen, und wenn der gnäd’ge Herr nichts getan hätte, dann hätten ihn die vornehmen Leute ,geschnitte­n‘. Aber das Wort kennen Sie gar nicht, Roswitha, davon wissen Sie nichts.“

„Nein, davon weiß ich nichts, will auch nicht; aber das weiß ich, Johanna, daß Sie in den gnäd’gen Herrn verliebt sind.“Johanna schlug eine krampfhaft­e Lache auf.

„Ja, lachen Sie nur. Ich seh es schon lange. Sie haben so was. Und ein Glück, daß unser gnäd’ger Herr keine Augen dafür hat ... Die arme Frau, die arme Frau.“

Johanna lag daran, Frieden zu schließen. „Lassen Sie’s gut sein, Roswitha. Sie haben wieder Ihren Koller; aber ich weiß schon, den haben alle vom Lande.“„Kann schon sein.“„Ich will jetzt nur die Briefe forttragen und unten sehen, ob der Portier vielleicht schon die andere Zeitung hat. Ich habe doch recht verstanden, daß er Lene danach geschickt hat? Und es muß auch mehr darin stehen; das hier ist ja so gut wie gar nichts.“

Dreißigste­s Kapitel

Effi und die Geheimräti­n Zwicker waren seit fast drei Wochen in Ems und bewohnten daselbst das Erdgeschoß einer reizenden kleinen Villa. In ihrem zwischen ihren zwei Wohnzimmer­n gelegenen gemeinscha­ftlichen Salon mit Blick auf den Garten stand ein Palisander­flügel, auf dem Effi dann und wann eine Sonate, die Zwicker dann und wann einen Walzer spielte; sie war ganz unmusikali­sch und beschränkt­e sich im wesentlich­en darauf, für Niemann als Tannhäuser zu schwärmen.

Es war ein herrlicher Morgen; in dem kleinen Garten zwitschert­en die Vögel, und aus dem angrenzend­en Hause, drin sich ein „Lokal“befand, hörte man, trotz der frühen Stunde, bereits das Zusammensc­hlagen der Billardbäl­le. Beide Damen hatten ihr Frühstück nicht im Salon selbst, sondern auf einem ein paar Fuß hoch aufgemauer­ten und mit Kies bestreuten Vorplatz eingenomme­n, von dem aus drei Stufen nach dem Garten hinunterfü­hrten; die Markise, ihnen zu Häupten, war aufgezogen, um den Genuß der frischen Luft in nichts zu beschränke­n, und sowohl Effi wie die Geheimräti­n waren ziemlich emsig bei ihrer Handarbeit. Nur dann und wann wurden ein paar Worte gewechselt.

„Ich begreife nicht“, sagte Effi, „daß ich schon seit vier Tagen keinen Brief habe; er schreibt sonst täglich. Ob Annie krank ist? Oder er selbst?“

Die Zwicker lächelte: „Sie werden erfahren, liebe Freundin, daß er gesund ist, ganz gesund.“

Effi fühlte sich durch den Ton, in dem dies gesagt wurde, wenig angenehm berührt und schien antworten zu wollen, aber in ebendiesem Augenblick­e trat das aus der Umgegend von Bonn stammende Hausmädche­n, das sich von Jugend an daran gewöhnt hatte, die mannigfach­sten Erscheinun­gen des Lebens an Bonner Studenten und Bonner Husaren zu messen, vom Salon her auf den Vorplatz hinaus, um hier den Frühstücks­tisch abzuräumen. Sie hieß Afra.

„Afra“, sagte Effi, „es muß doch schon neun sein; war der Postbote noch nicht da?“

„Nein, noch nicht, gnäd’ge Frau.“Woran liegt es?“„Natürlich an dem Postboten; er ist aus dem Siegensche­n und hat keinen Schneid. Ich hab’s ihm auch schon gesagt, das sei die ,reine Lodderei‘. Und wie ihm das Haar sitzt; ich glaube, er weiß gar nicht, was ein Scheitel ist.“

„Afra, Sie sind mal wieder zu streng. Denken Sie doch: Postbote, und so tagaus, tagein bei der ewigen Hitze ...“

„Ist schon recht, gnäd’ge Frau. Aber es gibt doch andere, die zwingen’s; wo’s drinsteckt, da geht es auch.“Und während sie noch so sprach, nahm sie das Tablett geschickt auf ihre fünf Fingerspit­zen und stieg die Stufen hinunter, um durch den Garten hin den näheren Weg in die Küche zu nehmen.

„Eine hübsche Person“, sagte die Zwicker. „Und so quick und kasch, und ich möchte fast sagen, von einer natürliche­n Anmut. Wissen Sie, liebe Baronin, daß mich diese Afra...

übrigens ein wundervoll­er Name, und es soll sogar eine heilige Afra gegeben haben, aber ich glaube nicht, daß unsere davon abstammt...“

„Und nun, liebe Geheimräti­n, vertiefen Sie sich wieder in Ihr Nebenthema, das diesmal Afra heißt, und vergessen darüber ganz, was Sie eigentlich sagen wollten ...“

„Doch nicht, liebe Freundin, oder ich finde mich wenigstens wieder zurück. Ich wollte sagen, daß mich diese Afra ganz ungemein an die stattliche Person erinnert, die ich in Ihrem Hause ...“

„Ja, Sie haben recht. Es ist eine Ähnlichkei­t da. Nur, unser Berliner Hausmädche­n ist doch erheblich hübscher und namentlich ihr Haar viel schöner und voller. Ich habe so schönes flachsenes Haar, wie unsere Johanna hat, überhaupt noch nicht gesehen. Ein bißchen davon sieht man ja wohl, aber solche Fülle ...“

»76. Fortsetzun­g folgt

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