Der Isländer, der Amerikaner und der Babyboom
Es gibt eine schöne Legende über eine kalte Herbstnacht im New York des Jahres 1965. Dass der Mond über den Times Square an diesem Abend besonders deutlich zu sehen war, lag wohl einerseits am Mond selbst. Andererseits war der sonst hell erleuchtete Times Square komplett in Dunkelheit gehüllt. Das wiederum lag an einer Hochspannungsleitung im kanadischen Ontario. Irgendjemand hatte dort das Schutzrelais falsch angebracht, das den Stromfluss durch die Leitung stoppt, falls die Kapazitäten überschritten werden. Und weil es ein besonders kühler Herbst war, wurde besonders fleißig geheizt. Wegen der Überspannung wurde ein Kraftwerk nach dem anderen automatisch heruntergefahren und flugs waren 30 Millionen Menschen ohne Strom.
Weil in fast jedem nordamerikanischen Wohnzimmer zu dieser Zeit schon ein Fernseher stand und es kalt war, standen viele Menschen vor der Frage, wie sie den Abend verbringen – und legten sich ins Bett. Der Legende nach nicht zwingend alleine. Neun Monate später fand die New York Times heraus, dass die Geburtenrate deutlich angestiegen war. Das Mount Sinai Hospital hatte neun Monate nach jener kalten Nacht an einem einzigen Montag 28 Geburten statt durchschnittlich elf zu verzeichnen. Die Geschichte kommt seitdem an jedem Stromausfall in New York wieder zum Einsatz.
Uns ist nicht überliefert, wie verbreitet die Legende vom kinderreichen Stromausfall in Island ist. Aber auch auf der kleinen Insel im Norden Europas gibt es nach einem Bericht der Tageszeitung Visir gerade besonders viele neue Erdenbürger. Der Arzt Pétur Asgeir veröffentlichte eine Nachricht auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, wonach es alleine an dem Wochenende des 25. und 26. März in seinem Krankenhaus noch nie so viele Geburten gegeben hat.
Asgeir lieferte eine mögliche Erklärung: Vor genau neun Monaten kegelte der Fußball-Zwerg Island bei der EM das Fußball-Mutterland England im Achtelfinale aus dem Turnier. Die nur 320 000 Einwohner große Nation stand im Viertelfinale der EM. Den Zuschauern dürften noch die Szenen geläufig sein, in denen die vielleicht nicht nur von der Freude betrunkenen isländischen Fans und Spieler mit einem „Huh“den Sieg feierten.
Nun scheint es so, als ob auch das ebenso sympathische wie schrullige Völkchen, dessen Familiennamen meist auf -son oder -dotir enden, es nicht nur beim Feiern im Stadion belassen hat, sondern sich auch bei der Nachtgestaltung an den New Yorker Bürgern des Jahres 1965 orientiert hat. Der isländischen Nationalmannschaft könnte der Geburtenanstieg wiederum zugutekommen. Vielleicht nicht jetzt, aber doch wenigstens bei der Weltmeisterschaft 2038 oder der Europameisterschaft 2040. Die Engländer fürchten sich jetzt schon.