„Warum muss der Schmarrn jetzt sein?“
Skispringen Eine Verletzung erschwert Severin Freund den Weg zu den Olympischen Spielen. Doch der beste deutsche Skispringer kann der Situation sogar etwas Gutes abgewinnen
Augsburg Irgendwann im Leben stellt sich jeder Mensch die Frage: Warum ich? Severin Freund hat sie sich auch schon gestellt, wenngleich er sie ein bisschen umformuliert hat: Warum muss der Schmarrn jetzt sein?, habe er sich gedacht, als die Ärzte ihm Ende Januar sagten, in seinem rechten Knie sei das Kreuzband gerissen.
Seitdem arbeitet Deutschlands bester Skispringer am Comeback. Mal wieder. Denn die schwere Knieverletzung ist schon das zweite Kapitel der Leidensgeschichte des Severin Freund, das innerhalb kürzester Zeit geschrieben wird. In der vorvergangenen Saison hatte Freund unter einer lädierten Hüfte infolge eines Sturzes gelitten. Eine Operation war nötig, der Sommer der Reha gewidmet. Gerade genesen, stürzte Freund am 24. Januar beim Training in Oberstdorf.
Inzwischen kann der 29-Jährige ganz entspannt von dem schwarzen Tag erzählen. „Relativ komisch“, sei das alles gewesen, „denn ich habe die Verletzung im ersten Moment gar nicht gecheckt. Ich hatte keine Schmerzen.“Wie ein Crashtest-Dummy sei er nach der Landung auf dem Boden aufgeschlagen. „Ich habe zwar was im Knie gemerkt, bin dann aber mit Trainerhilfe wieder aufgestanden und weggegangen.“Ein bisschen schwammig sei das Knie gewesen, aber ansonsten unauffällig. Erst als dann der Arzt sagte, dass es schlimmer sei als befürchtet, kam der Frust und die eingangs zitierte Frage an sich selbst.
Der Frust ging und Freund machte sich an die Arbeit. Die Operation überstand er gut. Aus der Rückseite seines Oberschenkels wurde eine Sehne entnommen und anstelle des Kreuzbandes eingesetzt. Ansonsten hatte das Knie den Sturz unbeschadet überstanden. Das ist doch was Gutes, sagte sich Freund. Schnell hatte der Optimist in ihm wieder das Kommando übernommen. Selbst dem Zeitpunkt der Verletzung gewann er noch Gutes ab. „Für die laufende Saison ist es natürlich blöd, denn die geht drauf. Aber ich werde rechtzeitig wieder fit sein für die Olympiasaison.“
Motivation zieht er aus der „Erinnerung an Emotionen, wenn man richtig gut fliegt. Das will ich wieder haben und nicht die Emotionen nach einem Sturz. Skispringen kannst du später nicht einfach so als Hobby weitermachen. Für Skispringen ist jetzt die Zeit und da bin ich auf jeden Fall noch nicht fertig.“
Die Vierschanzentournee rund um den Jahreswechsel könnte aber noch zu früh kommen. „Für mich sind die Olympischen Spiele in Pyeongchang und die Skiflug-WM in Oberstdorf primär. Bis zur Tournee kann man noch nicht sagen, wo ich stehe. Kann sein, dass ich dann schon in Form bin. Kann aber auch sein, dass ich noch ein bisschen brauche.“Bisher verlaufe der Heilungsprozess sehr gut. Im Alltag hat Freund keine Einschränkungen mehr. „Im Training merke ich aber schon, dass rechts noch nicht so weit ist wie links. Aber das muss ich jetzt eben in den nächsten Wochen angleichen.“In diesen Tagen stellt er sein Training schrittweise in Richtung Skisprung um: Kniebeugen, Sprünge, dynamische Übungen.
Wann Freund wieder auf einer Schanze steht, ist noch offen. Irgendwann im Juli könnte das Knie so weit sein. Wichtig sei, der Ungeduld nicht nachzugeben. Das habe er aus seiner schweren Hüftverletzung gelernt. „Ich weiß, dass es zwischendrin immer wieder Zeiten gibt, in denen man Ruhe geben muss. Da muss man intelligent agieren.“
Wer Freund kennt, weiß, dass er genau das machen wird. Immerhin steht eine „sehr, sehr interessante Saison“an. Freund war schon Skiflugweltmeister und er war schon Olympiasieger. Die Emotionen dieser großen Siege will er noch einmal erleben. Von so einem Schmarrn wie einem Kreuzbandriss wird er sich nicht aufhalten lassen.