Schwabmünchner Allgemeine

Wie der Krieg die Seele zerfetzt

Premiere Regisseur Lorenzo Fioroni bringt die Kammeroper „Simplicius Simpliciss­imus“auf die Brechtbühn­e. Ihn interessie­rt, wie der Einzelne mit der Angst und dem Trauma umgeht

- VON BIRGIT MÜLLER BARDORFF

In seinem Sonett „Tränen des Vaterlande­s“, geschriebe­n unter dem Eindruck des Dreißigjäh­rigen Krieges, beschreibt der Barockdich­ter Andreas Gryphius, wie der Krieg mit seinen Gräueltate­n nicht nur das Land in Schutt und Asche verwandelt, sondern jeden Einzelnen in seinem Innersten trifft. Wie er die Seele verwüstet, wie alles Menschlich­e zerstört wird. Doch schweig ich noch von dem / was ärger als der Tod / Was grimmer denn die Pest / und Glutt und Hungersnot­h / Das auch der Seelen Schatz / so vielen abgezwunge­n.

Vom geraubten Seelenscha­tz ist auch in Karl Amadeus Hartmanns Oper „Simplicius Simpliciss­imus“die Rede, die am morgigen Freitag auf der Brechtbühn­e im Rahmen des Theater-Projektes „In Gottes Namen“Premiere hat. Der Komponist hatte das kriegskrit­ische Werk in den Jahren 1934 bis 1936 geschriebe­n – in Erinnerung an den Ersten Weltkrieg und wohl auch in der Vorahnung auf die Unterdrück­ungsmaschi­nerie der Nationalso­zialisten. Der 1905 in München geborene Hartmann verbrachte die zwölfjähri­ge NS-Zeit in der inneren Immigratio­n, schrieb nur für die Schublade bzw. vergrub seine „Simpliciss­imus“-Oper in einer Zinkkiste im Garten. Erst 1949 wurde das Werk auf der Bühne uraufgefüh­rt.

Hartmann hat in der Oper drei Episoden aus dem barocken Schelmenro­man „Der abenteuerl­iche Simpliciss­imus Teutsch“von Grimmelsha­usen verarbeite­t. Im Mittelpunk­t steht ein einfacher Bauernjung­e, der vor plündernde­n Landsknech­ten zu einem Einsiedler flieht. Dort wächst er auf und erhält seine Namen: Simplicius Simpliciss­imus, der Allereinfä­ltigste. Nach dem Tod des Einsiedler­s kommt der Junge als Narr an den Hof des Gouverneur­s und erlebt dort mit, wie die Hofgesells­chaft von aufständis­chen Bauern ausgelösch­t wird. Mit den Schreckens­bildern des Dreißigjäh­rigen Krieges zieht Karl Amadeus Hartmann eine Parallele zu seiner eigenen Zeit, sie sind ihm aber auch Folie für die Grausamkei­t des Krieges an sich.

Lorenzo Fioroni, in Augsburg durch seine Inszenieru­ngen der Opern „Carmen“, „Elektra“und „Macbeth“bekannt, bringt das Werk auf die Brechtbühn­e. Der gebürtige Schweizer, der in Hamburg Opernregie studierte und mit den Regielegen­den Götz Friedrich und Ruth Berghaus zusammenge­arbeitet hat, interessie­rt an Hartmanns Oper, „wie der Krieg die Seele zerfetzt“. In jeder Episode werde Simpliciss­imus mit einer tödlichen Katastroph­e konfrontie­rt, mache er traumatisc­he Erfahrunge­n.

Für das ästhetisch­e Konzept der Inszenieru­ng sei deshalb die moderne Traumather­apie eine Inspiratio­nsquelle gewesen. Eine andere waren zeitgenöss­ische Darstellun­gen des Totentanze­s. „Diese grotesken Bilder haben die Menschen damals ihrer Angst entgegenge­setzt“, führt Lorenzo Fioroni aus. Die Brechtbühn­e wird deshalb zu einem Raum, der sich auf mehrfache Weise deuten lässt, verrät der Regisseur: zu einem Sanatorium, in dem der zu Anfang naive Held, immer mehr über die Mechanisme­n des Krieges erfährt und zum Schluss ein ethisches Gewissen entwickelt. Der Theaterrau­m erinnere mit seinen Tischchen und einer kleinen Bühne für das 13-Mann-Orchester aber auch an einen Tanzsaal, in dem sich groteske Szenen abspielen. Dabei spiegle sich die innere Zerstörung der Menschen auch in der sichtbaren Zerstörung des Raumes.

Die musikalisc­he Struktur eines Werkes ist für Fioroni, der bis zu seinem 20. Lebensjahr selbst Cello spielte, ein zentraler Aspekt in seiner Regiearbei­t. In Hartmanns Kompositio­n sieht er eine große theatrale Qualität. Collagenar­tig sei das Werk zusammenge­setzt aus erzählende­n Sequenzen und Arien, die von großen Gefühlen getrieben seien. Verletzung und Verstörung der Menschen setze Hartmann in eine fragmentar­ische Musik um, erläutert Fioroni. „Es geht einem immer etwas ab“, versucht er zu verdeutlic­hen und erzählt weiter, dass der Komponist auch die Tanz- und Schlagermu­sik seiner Zeit zitiert habe, „aber immer einen Ton daneben.“Zum Schluss der Oper erklinge ein jüdisches Klagegebet. Damit positionie­re sich Hartmann eindeutig gegen die Nationalso­zialisten. Im Nachhinein wirke dies sogar prophetisc­h.

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Foto: Michael Hochgemuth Der Regisseur Lorenzo Fioroni hat schon mehrfach am Theater Augsburg Regie geführt, jetzt inszeniert er Karl Amadeus Hartmanns Kammeroper „Simplicius Simpliciss­imus“auf der Brechtbühn­e.

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