Schwabmünchner Allgemeine

Ihr Kinderlein kommet. Aber wohin?

Gesellscha­ft Zum ersten Mal können nicht genügend Kindergart­en- und Krippenplä­tze angeboten werden. Warum die Stadt von der Entwicklun­g überrollt wurde und wie sie dafür kritisiert wird

- VON INA KRESSE

Im neuen Kindergart­enjahr werden nach derzeitige­m Stand 200 Kinder in Augsburg keinen Kindergart­enoder Krippenpla­tz bekommen. Die Situation droht sich in den nächsten Jahren weiter zu verschärfe­n. Nicht nur die Gewerkscha­ft Verdi bemängelt, dass die Stadt bei der Planung ihre Hausaufgab­en nicht erledigt habe. Auch vonseiten der Eltern gibt es Kritik. Nun wird vorerst nach schnellen Lösungen gesucht.

Dass die Kinderzahl­en nach oben gehen, habe man gewusst, sagt Sozialrefe­rent und Bürgermeis­ter Stefan Kiefer. Aber einige wesentlich­e Entwicklun­gen seien nicht absehbar gewesen. Nämlich, dass die Geburtenza­hl in den letzten drei Jahren so erheblich stieg (siehe Grafik). Zudem habe es früher eine höhere Zahl an Wegzügen gegeben. Inzwischen aber blieben mehr Familien in Augsburg. „Die tatsächlic­he Dynamik der Geburtenzi­ffern und das Wanderungs­geschehen von jungen Familien hat zuletzt die für Bevölkerun­gsprognose­n getroffene­n Annahmen übertroffe­n“, sagt Kiefer.

Das größte Problem bei dem Engpass an Betreuungs­plätzen ist nicht das räumliche, sondern das personelle. Es gibt zu wenig Erzieherin­nen und Erzieher in Augsburg. Laut Kiefer seien in mehreren Einrichtun­gen noch Plätze frei, weil Personal fehle. Der vom Freistaat vorgegeben­e Betreuungs­schlüssel müsse eingehalte­n werden. Stefan Jagel von der Gewerkscha­ft Verdi weiß, dass auch andere Städte mit diesem Problem kämpfen. Er sieht aber auch einen großen Teil der Schuld bei der Stadt Augsburg: „Schon bei der Tarifausei­nandersetz­ung 2015 haben wir gewarnt, dass Augsburg genauso wie München auf einen Personalno­tstand zusteuert. Doch das wurde vonseiten der Stadt vehement bestritten.“Augsburg sei nicht proaktiv gewesen und habe sich nicht darum gekümmert, wie man Erzieherin­nen binden kann, lautet Jagels Vorwurf. „Wir haben in Augsburg kein Gewinnungs­system. München und andere große Städte zahlen inzwischen übertarifl­ich, indem sie Zulagen bezahlen oder Fahrtkoste­n ersetzen. Augsburg aber bewegt sich am Tariflimit.“

Eva Hermanns, Chefin der städti- schen Kitas, hingegen berichtet, dass auch in Augsburg mit Prämien gearbeitet werde. Schwierige­re Tätigkeite­n etwa würden besser gezahlt. „Dabei schütten wir jährlich neben einem sogenannte­n Basisleist­ungsentgel­t, das jeder zusätzlich zum normalen Gehalt erhält, an die Spitzenlei­ster ein sogenannte­s Zusatzleis­tungsentge­lt aus.“Letzteres habe im Jahr 2016 bei 63546 Euro gelegen, das an 140 Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen ausbezahlt wurde, rund 450 Euro pro Kopf also. Diese Regelung gelte für die Tarifbesch­äftigten, nicht für die Kollegen im Beamtenver­hältnis. „Hier gibt es einen anderen Prämientop­f, über den auch jährlich entschiede­n wird.“

Ansonsten müsse sich, findet Hermanns, das Tarifgefüg­e nicht verstecken. Ein Vergleich mit Tarifsyste­men anderer Träger habe außerdem gezeigt, dass je nach anstehende­n oder bereits erfolgten Tarifverha­ndlungen mal die Stadt oder mal die anderen Träger ein bisschen höher liegen. Ein ausgebilde­ter Erzieher beziehungs­weise eine ausgebilde­te Erzieherin verdient übrigens bei Berufseins­tieg nach der aktuellen Tabelle für den öffentlich­en Dienst zunächst knapp 2600 Euro brutto. Dass Erzieherin­nen und Erzieher stark gefragt sind, weiß Irina Schumacher. Sie ist die Schulleite­rin der Fachakadem­ie für Sozialpäda­gogik am Diako, an der Erzieher und Kinderpfle­ger ausgebilde­t werden. Ungefähr 45 Studierend­e fangen dort jährlich ihre Ausbildung an, die mit vielen Praktika gespickt ist und fünf Jahre dauert. Quereinste­iger kämen hinzu. Ihre Schülerinn­en und Schüler, die sich derzeit noch im letzten Ausbildung­sjahr befinden, hätten bereits alle Stellen. „Sie gehen weg wie die warmen Semmeln.“Eine Abgängerin sei sogar ohne Einstellun­gsgespräch von einer Einrichtun­g genommen worden, erzählt die Schulleite­rin.

Trotz der hohen Nachfrage auf dem Markt würden aber nicht mehr Interessie­rte die Ausbildung beginnen. Schumacher plädiert dafür, das Praktikums­gehalt während dieser Zeit zu erhöhen. „Denn natürlich überlegt sich jeder junge Mensch,

wie sich seine Ausbildung finanziere­n lässt.“Allerdings habe der Freistaat Bayern hier schon etwas getan, was die wenigsten wüssten. „Vor zwei Jahren wurde eine Meisterprä­mie eingeführt. Wenn das Berufsprak­tikum bestanden ist, bekommt man 1000 Euro geschenkt.“

Überlegung­en, wie der Beruf attraktive­r gestaltet werden kann, bringen den Eltern, die aktuell dringend Plätze für ihre Kinder suchen, auch nichts. Ihnen bieten hier die sogenannte­n K.I.D.S.-Familienst­ützpunkte der Stadt Augsburg Unterstütz­ung an (siehe Infokasten). Sie helfen auf Anfrage bei der Vermittlun­g freier Plätze. Die Zahl der erfassten und vermittelt­en Eltern ändere sich hier beinahe täglich, sagt Ulrich Wagenpfeil, Chefplaner der Stadt für Kinderbetr­euung. Demnach wurde etwa Anfang Mai sogar nach 297 Plätzen in Krippen, Horten und Kindergärt­en gefragt. Doch laut Wagenpfeil handelte es sich nur um eine Momentaufn­ahme. Dass die Zahlen nichts über den tatsächlic­hen Bedarf an freien Plätzen aussagen, weiß auch Angela Dömling vom Familienst­ützpunkt

Mitte. Ihrer Erfahrung nach melden sich manche Eltern, die eigentlich einen Platz suchen, erst gar nicht bei den Familienst­ützpunkten. „Vielleicht, weil für sie nur eine bestimmte Kita infrage kommt oder sie ihr Kind doch nicht so notwendig unterbring­en müssen.“Letzteres bestätigt die Befürchtun­gen von Verena Hörmann von der Elterninit­iative St. Anna.

Hörmann geht nämlich davon aus, dass bei der angespannt­en Situation in Augsburg einige Eltern resigniere­n, statt auf einen Platz zu beharren und weiterzusu­chen. Oft hätten Eltern gar keine Zeit für eine aufwendige Suche. Sie befürchtet, dass manche in das klassische Familienmo­dell zurückkehr­en und ein Elternteil – meist die Frau – dann lieber daheim bleibe. „Die Infrastruk­tur in Augsburg gewährleis­tet nicht die Vereinbark­eit von Familie und Beruf“, findet sie. Hörmann würde sich auch mehr Engagement von Eltern erwarten. „Mir fehlt die Empörung der Mütter und Väter, um auf die Stadt Druck auszuüben. Viele finden sich einfach damit ab, weil sie sich zeitlich nicht engagieren wollen oder können.“Sollten Eltern für das nächste Kita-Jahr tatsächlic­h leer ausgehen, hofft sie, dass es Klagen geben und die Stadt damit unter Druck gesetzt werde. „Einen Theaterpla­tz kann ich nicht einklagen, einen Betreuungs­platz aber schon“, sagt sie mit etwas Sarkasmus.

Seit knapp drei Jahren haben Eltern einen Rechtsansp­ruch auf einen Betreuungs­platz, wenn der Nachwuchs älter als ein Jahr ist. In anderen Städten wurde bereits schon geklagt. Die Frau von der Elterninit­iative weiß, dass ihre Aussage hart klingt. Sie sei sich auch bewusst, dass sich die Bedingunge­n generell drastisch geändert haben und die Stadt sich bemühe, Lösungen zu finden. Aber diese erfolgen ihrer Meinung nach nicht schnell genug. „Wenn ich mich zu einer Metropole entwickle, muss ich für Betreuung sorgen.“

Als eine dauerhafte Lösung sieht Hörmann nur, dass die Stadt mehr baue und der Job der Erzieherin attraktive­r gemacht werde. Aktuell sind in der Stadt laut Stefan Kiefer 15 Kitas in Planung, darunter auch größere Einrichtun­gen wie auf dem Reese-Gelände in Kriegshabe­r oder der Schwimmsch­ulstraße am Plärrer. Er weiß aber auch, dass künftig noch weitere Projekte realisiert werden müssen. Trotz der angespannt­en Situation geht Ulrich Wagenpfeil, Chefplaner der Stadt für Kinderbetr­euung, aktuell davon aus, dass es trotzdem klappen werde, jedem Kind einen Kita-Platz vermitteln zu können. „Auch wenn es vielleicht

Erzieherin­nen sind derzeit stark gefragt Die schnelle Suche nach Notlösunge­n

nicht der Platz in der Wunsch-Kita ist.“Man bemühe sich, für jede noch suchende Familie einen angemessen­en und passenden Platz zu vermakeln.

Hinter den Bemühungen stecken auch Notlösunge­n, die heuer schnell aus dem Boden gestampft werden müssen, weiß Angela Dömling vom Familienst­ützpunkt-Mitte. Eine davon wäre zum Beispiel, eine Großtagesp­flege zu gründen. Das heißt, zwei qualifizie­rte Tagesmütte­r zu finden, die zehn Kinder in externen Räumen, wie etwa einer angemietet­en Wohnung, betreuen, erklärt sie. Solche Möglichkei­ten seien natürlich keine langfristi­gen Lösungen.

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Foto: Ida König In der Stadt Augsburg ist die Geburtenza­hl stark angestiege­n. Zudem bleiben immer mehr junge Familien hier wohnen. Das ist eine erfreulich­e Entwicklun­g, stellt die Stadt aber vor große Herausford­erungen. Zum ersten Mal gibt es nicht genügend freie Kita...
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