Vorhang auf für den Nobel Passat
Neuvorstellung Nach dem Aus des Phaeton soll der elegante Arteon VWs Flaggschiff werden. Die Lässigkeit der Oberklasse hat er aber nicht
Auch anderthalb Jahre nach dem Dieselskandal wird der Volkswagenkonzern nahezu täglich von Negativschlagzeilen heimgesucht.
Umso erstaunlicher, dass die Wolfsburger es in diesen schwierigen Zeiten trotzdem schaffen, selbst der Nobelmarke Mercedes ein Schnippchen zu schlagen: Der Autobauer mit dem Stern führt im Juli in der überarbeiteten S-Klasse mit dem intelligenten Tempomaten eine neue Stufe des autonomen Fahrens ein, bei der das Auto nicht nur abbremst, wenn vor ihm ein langsameres Fahrzeug auftaucht, sondern auch vor Kurven, Kreisverkehren und sogar Abbiegungen, wenn im Navi eine Route hinterlegt ist. Doch noch ehe Mercedes-Kunden in den Genuss der neuesten Technik kommen können, fährt schon im Juni der VW Arteon mit der gleichen Tempomatfunktion ausgerüstet zum Händler.
In Sachen Fahrer-Assistenzsysteme fährt der Arteon vorne mit, ansonsten hat Volkswagen mit großen Überraschungen allerdings gespart. Kein Wunder, handelt es sich technisch betrachtet beim Arteon doch um einen aufgewerteten Passat. Der tritt schon seit 2008 nicht mehr nur als Limousine und Kombi, sondern auch in einer sportlich-eleganten Vier-Tür-Coupé-Form auf, die man zunächst Passat CC, später nur noch CC taufte. Jetzt heißt man den Nobel-Passat Arteon, und wehe man bezeichnet ihn als CC-Nachfolger – damit zieht man sich den Zorn der Marketingstrategen zu. Schließlich greife der Arteon nicht eins zu eins auf die Passat-Plattform zurück, sondern nutze einen um fünf Zentimeter gestreckten Unterbau. Platz, der neben dem geräumigen Kofferraum vor allem den Fondgästen zu Gute kommt: Wenn nicht gerade ein Sitzriese hinterm Steuer Platz nimmt, lässt es sich in der 4,86 Meter langen Coupé-Limousine auch in Reihe zwei sehr gut aushalten, und sogar nach oben wird es trotz abfallender Dachlinie nicht zu eng.
Ein geräumiges Platzangebot reicht aber noch nicht, um auch ein adäquater Ersatz für den 2016 eingestellten Phaeton zu werden. Zwar bezeichnet man in Wolfsburg den Arteon selbstbewusst als neues doch in Sachen Finesse und Detailverliebtheit kann er mit dem ebenso grandiosen wie erfolglosen Phaeton nicht mithalten. Dazu müsste er sich stärker von seinem Technikspender abheben: Äußerlich versuchten die Designer zwar, dies durch einen extrem in die Breite gezogenen, zerklüfteten Kühlergrill und rahmenlose Fenster zu realisieren, doch im Innenraum erkennt jeder VW-Fahrer sofort viele Gleichteile. Nicht nur das volldigitale Kombiinstrument ist StandardFlaggschiff, ware aus dem Konzernregal; dabei hätte sich gerade der Instrumententräger einfach mit ein bisschen Programmiercode individuell gestalten lassen. Auffälligstes Alleinstellungsmerkmal sind die optisch durchgängigen Lamellen der Luftduschen, die sich von der Mittelkonsole bis zum rechten Rand ziehen – das ist neu, aber sicher nicht jedermanns Sache.
Bei aller Kritik muss man aber auch sagen: Die Passat-Basis sorgt dafür, dass der Arteon ein grundsolides, gutes Auto ist. Von den komfortablen Sitzen über die einfache Bedienung des High-End-Touch– screen-Infotainments bis hin zur fast perfekten Materialauswahl; vom ausgewogen abgestimmten Fahrwerk (das stufenlos den eigenen Vorlieben angepasst werden kann) über die präzise, leichtgängige Lenkung bis hin zu den bewährten Motoren – alles passt wunderbar zusammen. Allerdings erreicht der Arteon auch hier nicht die Lässigkeit der Oberklasse, in deren Sphären er mitunter preislich vorstößt.
An den Start geht er mit je drei Dieseln und Benzinern; eingepreist sind bislang der Zweiliter-TurboBenziner mit 280 PS (ab 49325 Euro) und zwei Selbstzünder mit 150 PS (ab 39675 Euro) und 240 PS (siehe Datenkasten). Die beiden Topmodelle, die zur ersten Ausfahrt bereitstanden, fahren serienmäßig mit Allrad und Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe vor und haben keinerlei Probleme, den gut 1,7 Tonnen schweren Arteon sportlich zu bewegen.
Unser Favorit ist der Diesel, der mit 6,5 Sekunden für den Standardsprint zwar fast eine Sekunde länger braucht als der Otto, aber dank seiner 500 Newtonmeter Drehmoment deutlich spritziger wirkt. Und mit serienmäßigem SCR-Kat sollten auch die Abgaswerte der Selbstzünder kein Problem sein. Wer eine günstigere Alternative sucht, muss auf den 150 PS starken 1.5 TSI mit Zylinderabschaltung warten – mit voraussichtlich rund 34500 Euro werden aber immer noch fast 8000 Euro mehr fällig als für einen vergleichbaren Passat. Kompensiert wird dieser Aufschlag zum Teil durch Serien-Schmankerl wie LEDLicht, elektrische Sitzverstellung oder 17-Zoll-Alus.