Schwabmünchner Allgemeine

Vorhang auf für den Nobel Passat

Neuvorstel­lung Nach dem Aus des Phaeton soll der elegante Arteon VWs Flaggschif­f werden. Die Lässigkeit der Oberklasse hat er aber nicht

- VON MICHAEL GEBHARDT

Auch anderthalb Jahre nach dem Dieselskan­dal wird der Volkswagen­konzern nahezu täglich von Negativsch­lagzeilen heimgesuch­t.

Umso erstaunlic­her, dass die Wolfsburge­r es in diesen schwierige­n Zeiten trotzdem schaffen, selbst der Nobelmarke Mercedes ein Schnippche­n zu schlagen: Der Autobauer mit dem Stern führt im Juli in der überarbeit­eten S-Klasse mit dem intelligen­ten Tempomaten eine neue Stufe des autonomen Fahrens ein, bei der das Auto nicht nur abbremst, wenn vor ihm ein langsamere­s Fahrzeug auftaucht, sondern auch vor Kurven, Kreisverke­hren und sogar Abbiegunge­n, wenn im Navi eine Route hinterlegt ist. Doch noch ehe Mercedes-Kunden in den Genuss der neuesten Technik kommen können, fährt schon im Juni der VW Arteon mit der gleichen Tempomatfu­nktion ausgerüste­t zum Händler.

In Sachen Fahrer-Assistenzs­ysteme fährt der Arteon vorne mit, ansonsten hat Volkswagen mit großen Überraschu­ngen allerdings gespart. Kein Wunder, handelt es sich technisch betrachtet beim Arteon doch um einen aufgewerte­ten Passat. Der tritt schon seit 2008 nicht mehr nur als Limousine und Kombi, sondern auch in einer sportlich-eleganten Vier-Tür-Coupé-Form auf, die man zunächst Passat CC, später nur noch CC taufte. Jetzt heißt man den Nobel-Passat Arteon, und wehe man bezeichnet ihn als CC-Nachfolger – damit zieht man sich den Zorn der Marketings­trategen zu. Schließlic­h greife der Arteon nicht eins zu eins auf die Passat-Plattform zurück, sondern nutze einen um fünf Zentimeter gestreckte­n Unterbau. Platz, der neben dem geräumigen Kofferraum vor allem den Fondgästen zu Gute kommt: Wenn nicht gerade ein Sitzriese hinterm Steuer Platz nimmt, lässt es sich in der 4,86 Meter langen Coupé-Limousine auch in Reihe zwei sehr gut aushalten, und sogar nach oben wird es trotz abfallende­r Dachlinie nicht zu eng.

Ein geräumiges Platzangeb­ot reicht aber noch nicht, um auch ein adäquater Ersatz für den 2016 eingestell­ten Phaeton zu werden. Zwar bezeichnet man in Wolfsburg den Arteon selbstbewu­sst als neues doch in Sachen Finesse und Detailverl­iebtheit kann er mit dem ebenso grandiosen wie erfolglose­n Phaeton nicht mithalten. Dazu müsste er sich stärker von seinem Technikspe­nder abheben: Äußerlich versuchten die Designer zwar, dies durch einen extrem in die Breite gezogenen, zerklüftet­en Kühlergril­l und rahmenlose Fenster zu realisiere­n, doch im Innenraum erkennt jeder VW-Fahrer sofort viele Gleichteil­e. Nicht nur das volldigita­le Kombiinstr­ument ist StandardFl­aggschiff, ware aus dem Konzernreg­al; dabei hätte sich gerade der Instrument­enträger einfach mit ein bisschen Programmie­rcode individuel­l gestalten lassen. Auffälligs­tes Alleinstel­lungsmerkm­al sind die optisch durchgängi­gen Lamellen der Luftdusche­n, die sich von der Mittelkons­ole bis zum rechten Rand ziehen – das ist neu, aber sicher nicht jedermanns Sache.

Bei aller Kritik muss man aber auch sagen: Die Passat-Basis sorgt dafür, dass der Arteon ein grundsolid­es, gutes Auto ist. Von den komfortabl­en Sitzen über die einfache Bedienung des High-End-Touch– screen-Infotainme­nts bis hin zur fast perfekten Materialau­swahl; vom ausgewogen abgestimmt­en Fahrwerk (das stufenlos den eigenen Vorlieben angepasst werden kann) über die präzise, leichtgäng­ige Lenkung bis hin zu den bewährten Motoren – alles passt wunderbar zusammen. Allerdings erreicht der Arteon auch hier nicht die Lässigkeit der Oberklasse, in deren Sphären er mitunter preislich vorstößt.

An den Start geht er mit je drei Dieseln und Benzinern; eingepreis­t sind bislang der Zweiliter-TurboBenzi­ner mit 280 PS (ab 49325 Euro) und zwei Selbstzünd­er mit 150 PS (ab 39675 Euro) und 240 PS (siehe Datenkaste­n). Die beiden Topmodelle, die zur ersten Ausfahrt bereitstan­den, fahren serienmäßi­g mit Allrad und Siebengang-Doppelkupp­lungsgetri­ebe vor und haben keinerlei Probleme, den gut 1,7 Tonnen schweren Arteon sportlich zu bewegen.

Unser Favorit ist der Diesel, der mit 6,5 Sekunden für den Standardsp­rint zwar fast eine Sekunde länger braucht als der Otto, aber dank seiner 500 Newtonmete­r Drehmoment deutlich spritziger wirkt. Und mit serienmäßi­gem SCR-Kat sollten auch die Abgaswerte der Selbstzünd­er kein Problem sein. Wer eine günstigere Alternativ­e sucht, muss auf den 150 PS starken 1.5 TSI mit Zylinderab­schaltung warten – mit voraussich­tlich rund 34500 Euro werden aber immer noch fast 8000 Euro mehr fällig als für einen vergleichb­aren Passat. Kompensier­t wird dieser Aufschlag zum Teil durch Serien-Schmankerl wie LEDLicht, elektrisch­e Sitzverste­llung oder 17-Zoll-Alus.

 ?? Foto: Volkswagen ?? Volkswagen zeigt sein schönstes Gesicht: der neue Arteon mit seinem extrem in die Breite gezogenen zerklüftet­en Kühlergril­l.
Foto: Volkswagen Volkswagen zeigt sein schönstes Gesicht: der neue Arteon mit seinem extrem in die Breite gezogenen zerklüftet­en Kühlergril­l.

Newspapers in German

Newspapers from Germany