Schwabmünchner Allgemeine

Sie hörte einfach auf zu essen

Medizin Henriette Hömke war Schönheits­königin und Freundin des Schalke-Torwarts Ralf Fährmann. Nun starb sie an ihrer Magersucht. Schon Kinder sind von der Krankheit betroffen

- VON ANGELIKA KLEINHENZ UND SARAH RITSCHEL

Würzburg/Augsburg Nach außen hin wirkte Henriette Hömkes Leben glücklich. Sie baute sich ihre eigene Fitness-Agentur auf, liebte jahrelang den Profifußba­ller Ralf Fährmann. Doch wer ihr Leben in den sozialen Medien mitverfolg­te, konnte sehen, dass etwas nicht stimmte. Henriette Hömke, die alle „Jette“nannten, wurde immer dünner. Nun ist sie mit 29 Jahren an den Folgen ihrer Magersucht gestorben. Zusammenge­brochen beim Sport im Ägypten-Urlaub.

In der Öffentlich­keit wurde Henriette Hömke vor allem bekannt, nachdem sie 2006 zur Miss Sachsen gewählt worden war. Ihre Familie sagte gegenüber der Bild-Zeitung: „Ihre Magersucht hing mit der Misswahl zusammen.“Die blonde Schönheits­königin wollte sich 2007 auch noch den Titel der Miss Germany holen. Doch sie schaffte es nicht ins Finale. Die Magersucht übernahm die Kontrolle.

Es ist eine Krankheit, an der rund fünf Prozent der Betroffene­n sterben – und von der immer mehr Kinder und Jugendlich­e betroffen sind. Sie sehen die Fotos der Schönheits­wettbewerb­e im Netz, schauen Formate wie „Germany’s Next Topmodel“– und definieren sich oft unnatürlic­h stark über ihren Körper.

So jedenfalls erklärt es Rupert Müller, Leitender Psychologe und Experte für Essstörung­en an der Augsburger Klinik Josefinum. Er bestätigt: „Wir behandeln im Vergleich zu früheren Jahren mehr Patientinn­en zwischen zwölf und 15 Jahren. Das liegt zum einen daran, dass es Hinweise gibt, dass die Zahl der von Essstörung­en betroffene­n Jugendlich­en weiter ansteigt, zum anderen aber auch an der steigenden Bereitscha­ft, sich Hilfe zu holen.“Neben der zunehmende­n Fokussieru­ng auf den eigenen Körper sieht er vor allem zwei Ursachen: „Die Pubertätse­ntwicklung setzt immer früher ein, meistens zwischen elf und 13 Jahren. Magersucht ist eine typische Pubertätse­rkrankung.“Außerdem vermutet Müller, dass die Ent- wicklung in unserer Gesellscha­ft begründet liegt. „Die Idee der Selbstopti­mierung erfasst auch Jugendlich­e immer mehr.“

Vorboten dafür zeichnen sich nach Angaben des Bayerische­n Lehrerund Lehrerinne­nverbands (BLLV) schon in der Grundschul­e ab. Präsidenti­n Simone Fleischman­n weiß es aus der Praxis: „Viele Kinder verfolgen schon in der ersten Klasse ein Ziel. Sie wollen gefallen und möglichst attraktiv sein. Das bedeutet für viele Mädchen nur eines: möglichst dünn zu sein.“Kinder hätten längst ihre Unbedarfth­eit und Sorglosigk­eit verloren. Sie wollten ihr äußeres Erscheinun­gsbild ständig optimieren. Wer der Norm nicht entspricht, laufe Gefahr, zum Außenseite­r oder gar gemobbt zu werden.

Fast die Hälfte der Mädchen und ein Fünftel der Jungen im Alter von 15 Jahren empfindet sich heute als zu dick. In Bayern ist nach Angaben des Gesundheit­sministeri­ums die Zahl der Mädchen und Frauen zwischen 15 und 25, die wegen Magersucht im Krankenhau­s behandelt wurden, von 426 im Jahr 2005 auf 686 im Jahr 2015 gestiegen. Die Zahl der Behandlung­sfälle bei unter 15-Jährigen hat sich von 135 auf 265 fast verdoppelt. „Das ist nur die Spitze des Eisbergs, denn viele Fälle werden ambulant versorgt“, sagt Ministerin Melanie Huml (CSU).

Jemand, der weiß, wie die Erkrankung das Leben einer Familie auf den Kopf stellt, ist eine 50-jährige Mutter aus Mainfranke­n, deren Tochter an Magersucht litt. Sie sagt: „Es fängt mit einer harmlosen Diät an. Dann rutscht der Betroffene nach und nach in die Essstörung hinein. Erst wird ein bisschen weniger gegessen. Klappt das ganz gut, stellt sich eine Art Glücksgefü­hl ein. Dann wird immer weniger und weniger gegessen.“Oft würden bestimmte Dinge wie Süßigkeite­n weggelasse­n, das Essen versteckt, erbrochen oder Ausreden erfunden, weshalb man keinen Hunger hat.

Die betroffene Mutter sagt, das Problem bei den meisten Eltern sei, dass sie das Kind in seiner Essstörung noch unterstütz­en. „Man ist als Mutter froh, wenn die Tochter isst. Wenn sie also nur noch fettreduzi­erte Speisen mag, rennt man als Mutter los und kauft Produkte mit 0,1 Prozent Fettanteil. Und das alles nur, damit sie überhaupt irgendetwa­s zu sich nimmt.“Der Augsburger Psychologe Rupert Müller veranschau­licht es so: „Im Inneren der Betroffene­n sagt immer jemand: ‚Du musst weiter abnehmen, weiter fasten.‘ In der Therapie versuchen wir, mit diesem inneren Anteil der Patienten in Dialog zu treten, die gesunden Anteile und positiven Fähigkeite­n einer Person zu stärken.“Je früher jemand Hilfe suche, desto günstiger sei die Prognose.

Die Tochter der Frau aus Mainfranke­n hat es geschafft, sie führt wieder ein normales Leben. Die Mutter erinnert sich: „Das Kind muss wieder lernen, sich selbst zu akzeptiere­n. Es muss sich wieder bewusst werden, wie wertvoll es ist.“

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Foto: Imago Dieses Foto aus dem Jahr 2015 zeigt die ehemalige Miss Sachsen, Henriette Hömke, mit ihrem früheren Freund, dem Fußballer Ralf Fährmann.

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