Schwabmünchner Allgemeine

Endstation Bahnhofstr­eppe

Verkehr Thomas Refle schafft die Stufen zum Bahnsteig auch ohne Beine. Für viele andere im Landkreis ist der Weg zum Zug versperrt. Wie es um die Barrierefr­eiheit an Bahnhöfen steht

- VON MANUELA BAUER

Landkreis Augsburg Thomas Refle hat keine Beine. Er sitzt im Rollstuhl. Wenn er mit dem Zug fahren will, dann läuft er den letzten Teil des Wegs auf Händen. Denn der Bahnsteig in seinem Heimatort Dinkelsche­rben ist nur über Treppen erreichbar. Also hüpft der 38-Jährige vom Rollstuhl auf den Boden, stützt sich auf den Händen ab und schwingt sich die Treppen hinunter. Er bewegt sich flink. Ein Fußgänger kommt da kaum hinterher. Refles Tochter Selina oder seine Frau Michaela tragen den Rollstuhl. Wenn Refle aber allein unterwegs ist, dann muss er den auch noch transporti­eren. Stufe für Stufe hebt er ihn die Unterführu­ng hinunter. Und auf der anderen Seite zieht er ihn wieder hinauf, jeweils über 24 Stufen. „Pressieren darf’s da nicht“, sagt Refle. Und anstrengen­d ist das auch.

Thomas Refle sitzt seit 1986 im Rollstuhl. Damals war er acht Jahre alt. In Lechhausen erfasste ihn ein Auto und schleudert­e ihn in ein Schaufenst­er. Heute, mit Ende 30, weiß der Dinkelsche­rber mit seiner Behinderun­g umzugehen. Doch über den Bahnhof ärgert er sich häufig. Weil die Familie kein Auto hat, ist der 38-Jährige oft mit dem Zug unterwegs. Die Gleise 1 und 2 sind nur über Treppen erreichbar.

Für viele ein unüberwind­bares Hindernis. Es gibt keinen Aufzug, keine Rampe, keinen Treppenlif­t. Kurz: Der Bahnhof ist nicht barrierefr­ei, so wie ein Großteil der anderen Bahnhöfe in der Region (siehe Infokasten). Eva Kurdas, die Behinderte­nbeauftrag­te des Landkreise­s, kritisiert: „Der Umbau der Bahnhöfe geht viel zu langsam voran.“Sie betont: „Das Thema Barrierefr­eiheit an Bahnhöfen ist ein großes Problem. Es schränkt vor allem Rollstuhlf­ahrer, aber auch blinde Menschen in ihrer Mobilität ganz erheblich ein.“

Thomas Refle hat sich mit der Situation in Dinkelsche­rben arrangiert. Doch immer wieder gibt es Probleme. Kürzlich ist ihm der Rollstuhl auf der Treppe ausgekomme­n. Er fiel hinunter, wurde beschädigt. Oft liegen auch Glasscherb­en auf dem Boden, es ist dreckig, manchmal hat jemand hingepinke­lt. Kaum einer würde sich freiwillig dort hinsetzen. Refle bewegt sich hier auf Händen und Beinstümpf­en.

Einmal hat Refle sogar einen Polizeiein­satz ausgelöst, erzählt er. „Ich kam auf Gleis 2 an, es war eiskalt und ich stand da mutterseel­enallein.“Er wusste sich nicht anders zu helfen und rief die Polizei. Die kam und trug ihn vor den Bahnhof. Refle ist ein optimistis­cher Mensch, das hört man, wenn er erzählt, wie er sein Leben meistert. Aber immer wieder kommen bittere Sätze wie „Manchmal habe ich das Gefühl, für die Gesellscha­ft wäre es besser, wenn es uns Behinderte nicht geben würde“. Die meisten Rollstuhlf­ahrer seien nicht so kräftig und mobil wie er. Elektrorol­lstühle seien zum Beispiel oft zu schwer, um ihn über die Stufen zu heben. Und die werden ja auch für Menschen mit Rollator, Kinderwage­n, Fahrrad und schweren Koffern zum Hindernis.

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Foto: Andreas Lode Wenn Thomas Refle mit dem Zug nach Augsburg fahren will, dann muss er erst diese Stufen überwinden. Das ist nicht nur in Dinkelsche­rben so.

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