Schwabmünchner Allgemeine

Schweizer Hochseeflo­tte in Schieflage

Handelsmar­ine Kaum zu glauben: Seit Jahrzehnte­n durchpflüg­en Schiffe der Eidgenosse­n die Weltmeere. Warum das Alpenland seinen Bestand nun aber verkleiner­n muss

- VON JAN DIRK HERBERMANN

Genf Mitten auf dem Meer zog ein Seemann am 9. April 1941 erstmals die Schweizer Flagge hoch. Verkleidet war er als römischer Meeresgott Neptun mit Krone und Dreizack. Durch die Zeremonie an Bord des Schiffes Calanda sollte Helvetien sichtbar in den Kreis der Seefahrern­ationen eintreten. Das kleine Binnenland reagierte mit der Gründung einer eigenen kommerziel­len Hochseeflo­tte auf die Stürme des Zweiten Weltkriege­s: Dem neutralen Staat drohte eine scharfe Versorgung­skrise, Schiffe unter Schweizer Flagge sollten die Lieferung von Lebensmitt­eln, Rohstoffen und Futter sicherstel­len.

Seitdem bauten die Eidgenosse­n den größten maritimen Verband eines Landes ohne eigenen Meer-Zu- gang. Eine Leistung, die selbst in der Schweiz lange kaum beachtet wurde.

Zuletzt waren es 49 Handelssch­iffe – wie etwa der Öltanker SCT Matterhorn – mit einer Ladekapazi­tät von zusammen 1,7 Millionen Tonnen. Doch nach mehr als 75 Jahren gerät die ehedem stolze rotweiße Marine in schwere See. Ein gutes Dutzend Frachter werden derzeit offenbar weit unter Wert verscherbe­lt.

Die Eidgenosse­nschaft muss als Bürge rund 200 Millionen Euro zuschießen, das Parlament genehmigte zähneknirs­chend den nötigen Nachtragsk­redit. Der Verkauf der Schiffe mit Inkaufnahm­e eines hohen Verlustes für den Bund als Bürgen erwies sich immer klarer als der einzig gangbare Weg, heißt es aus dem Eidgenössi­schen Wirtschaft­sminis- terium. Das Feilbieten aller Schiffe können die Beamten nicht ausschließ­en. Der drohende Untergang der gesamten Hochseeflo­tte ist eine üble Geschichte, schimpft etwa die

Neue Zürcher Zeitung.

Seit den 50er Jahren springt der Alpenstaat mit Bürgschaft­en für Schiffe ein, die mit der Schweizer Flagge die Weltmeere durchpflüg­en. Im Gegenzug kann die öffentlich­e Hand die privaten Objekte beschlagna­hmen, um das Überleben des Schweizerv­olkes in Krisen zu sichern. Heute belaufen sich die Bürgschaft­en auf weit mehr als 700 Millionen Euro.

Der Heimathafe­n der Schiffe ist interessan­terweise Basel. Dort sind alle Pötte registrier­t. Alle Reedereien, die involviert sind, müssen zudem verpflicht­end ihren Sitz in der Schweiz haben.

Die Schiffe gehen in aller Welt vor Anker. Einen zentralen maritimen Heimathafe­n – beispielsw­eise im nahegelege­nen Italien – gibt es nämlich nicht. Die Flotte fährt nicht rentabel. Seit gut zehn Jahren steckt die gesamte Hochseesch­ifffahrt in einer tiefen Krise: Überkapazi­täten und sinkende Frachtrate­n machen den Reedern zu schaffen.

Bei den eidgenössi­schen Eigentümer­n wie Enzian in Zürich schlagen zudem die hohen Personalko­sten zu Buche. Die 1000 Matrosen und Offiziere an Bord der Schweizer Schiffe verdienen deutlich mehr als die Kollegen, die unter Billigflag­gen anheuern. Hohe Offiziere kommen nach Angaben der Seeleutege­werkschaft Nautilus auf 4800 Euro pro Monat. In Zukunft müssen die Schweizer Seebären den Gürtel wohl enger schnallen.

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Symbolfoto: djama, Fotolia Die Schweiz ist eigentlich ein Binnenland (hier ein Schiff auf dem Vierwaldst­ättersee), leistet sich aber eine Hochseeflo­tte.

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