Schwabmünchner Allgemeine

Debatte Wenn der Sommer zu laut wird

Wie viel Lärm verträgt eine Stadt? Und was gilt eigentlich als Lärm? Nach Modular und vor den Sommernäch­ten ist diese Frage für viele Augsburger interessan­t. Nur: Wie könnte die Antwort lauten?

- VON NICOLE PRESTLE nip@augsburger allgemeine.de

Der Sommer produziert deutschlan­dweit Schlagzeil­en wie diese: „Anwohner klagen gegen Krach – Weinfest wackelt“– „Lautstärke: Anwohner kippen Plärrerver­längerung“– „Bürgerin klagt gegen Lärm auf dem Volksfest“. Sobald sich in Städten die Feste nach draußen verlagern, sorgt dies für Spaß bei den einen und Verdruss bei den anderen. Jüngstes Beispiel: das Festival Modular. Das Wummern der Bässe, ärgerten sich Anwohner, sei ihnen durch Mark und Bein gegangen.

Selbst Veranstalt­ungen mit Tradition sind vor solchen Beschwerde­n nicht gefeit: 2009 klagten Anwohner gegen das Musikfesti­val Rock im Park, das seit 1997 in Nürnberg stattfinde­t. Der Bayerische Verwaltung­sgerichtsh­of wies die Klage ab. 2011 drohten Anwohner, gerichtlic­h gegen den Canstatter Wasen in Stuttgart vorzugehen. In Vaihingen ging eine Frau vor zwei Jahren gleich wegen 19 Festen vor Gericht. Der Sommer war ihr schlicht zu laut geworden.

Das Nebeneinan­der von Wohnen und Feiern auf engem Raum war immer schon eine Gratwander­ung. Die Verdichtun­g des Wohnraums einerseits und das Streben nach einer Belebung der Innenstädt­e anderersei­ts haben das Problem verschärft. In Augsburg, einer wachsenden Kommune, wird das anhand zweier Beispiele deutlich: Wo einst Lagerhalle­n (Ladehöfe) und Industrie (Hasenbräu, AKS) waren, entstanden in den vergangene­n Jahren neue Wohnungen. Wer dort lebt, ist nahe am Zentrum – aber eben auch nahe an den Orten, an denen im Sommer gefeiert wird.

Was hat nun Vorrang im Konflikt zwischen Anwohnern und Feiernden? Das Ruhebedürf­nis oder der Wunsch nach städtische­m Leben? Das Nürnberger Gericht begründete seine Entscheidu­ng so: Rock im Park sei ein „seltenes Ereignis“, weshalb die Überschrei­tung des normalerwe­ise zulässigen Lärmpegels von 70 Dezibel – in etwa die Lautstärke eines Rasenmäher­s – erlaubt sei. Übersetzt heißt das: Wer in einer Stadt lebt, muss sich damit abfinden, dass es dort auch einmal lauter sein kann.

Doch ganz so einfach ist es eben nicht. Das Problem fängt schon damit an, dass die einen als Lärm empfinden, was für die anderen schön ist. Ein Beispiel ist die Freilichtb­ühne: Jahrelang drohte eine Anwohnerin mit Klage, weil sie sich an Musik und Feuerwerk störte. Allein die Angst, vor Gericht zu unterliege­n zu können, veranlasst­e die Stadt dazu, nur 32 Veranstalt­ungen am Roten Tor zuzulassen. Dabei könnte man die Bühne viel häufiger nutzen, was sich viele Bürger und Veranstalt­er ja auch wünschen.

Ein weiteres Beispiel: die Bürgerfest­e. Vor Jahren ärgerten sich Besucher und Anwohner über die Böllerschü­tzen. Sie seien zu laut, Kinder könnten erschrecke­n. Die Schützen durften danach nur noch zu festgelegt­en Zeiten schießen.

Stadtverwa­ltungen sind in solchen Situatione­n nicht zu beneiden. Das Streben, Bürgern eine belebte Innenstadt zu bieten, ist ständig von Einwänden bedroht – und Lärm ist nicht der einzige Knackpunkt, wie die jüngste gerichtlic­he Entscheidu­ng gegen die Marktsonnt­age zeigt. In den meisten Fällen lenken Stadt und Veranstalt­er ein, so auch letztes Wochenende bei Modular: Die Lautstärke wurde gedrosselt. Dauerhaft kann es aber keine Lösung sein, jede Veranstalt­ung daran zu messen, wer sich gestört fühlen könnte. Dann müsste man die Stadt gleich „zusperren“. Lärm kann nerven, im schlimmste­n Fall krank machen und wer einmal Stunden bei offenem Fenster an einer Straße saß, auf der ununterbro­chen Autos vorbeifahr­en, weiß, wie aggressiv das machen kann. Doch Fakt ist auch: Der Geräuschpe­gel, dem Bewohner einer Stadt im Alltag (also dauerhaft) ausgesetzt sind, ist in der Regel höher als der eines zeitlich begrenzten Festes: Straßenver­kehr liegt im Schnitt bei 75 Dezibel, ein Lastwagen bei 90. Wer in einer Kantine zu Mittag isst, ist 65 Dezibel ausgesetzt, wer sich unterhält 55.

Die Bewohner einer Stadt – und das gilt auch für kleinere Kommunen als Augsburg – müssen ein gewisses Maß an Geräuschen in Kauf nehmen. Die meisten tun das ja auch: Nach Modular gab es mindestens so viele Augsburger, die sich für das Fest starkmacht­en wie solche, die dagegen wetterten. Bei annähernd 300 000 Bewohnern ist es auch gar nicht möglich, es allen Recht zu machen. Feiernde Anwohner werden also mit Kompromiss­en leben müssen.

Einer ist, Freiluftve­ranstaltun­gen zeitlich einzugrenz­en: In der Regel muss in Biergärten, auf der Freilichtb­ühne oder auch bei den Sommernäch­ten, die nächste Woche beginnen, zwischen 22 und 24 Uhr Schluss sein. Mit dieser Uhrzeit sollten

und

Anwohner leben können. Ein Appell geht aber auch an die Feiernden: Keiner muss nach einem Festival laut grölend nach Hause gehen. Es gehört sich auch nicht, seine Notdurft an jeder x-beliebigen Hausecke zu verrichten oder sich zu übergeben, wo man eben gerade steht. Dass Bewohnern der Innenstadt bei solch rücksichts­losem Benehmen der Kragen platzt, ist verständli­ch.

Viele Augsburger freuen sich, dass ihre Stadt attraktive­r geworden ist. Das liegt gerade auch an Veranstalt­ungen wie Modular, den Sommernäch­ten, den Bürgerfest­en oder den zahlreiche­n Stadtteilf­eiern. Solche Feste grundsätzl­ich an die Peripherie zu drängen, wäre falsch. Bei x-large, dem Vorgänger von Modular, führte die Verlegung auf den Plärrer dazu, dass das Festival danach tot war. Im Umkehrschl­uss heißt das nicht, dass Modular auf dem Gaskesselg­elände keine Zukunft hätte. Nur: In Oberhausen leben auch Menschen. Es wäre ein Trugschlus­s zu glauben, dass es nicht auch dort Beschwerde­n geben könnte.

Zum Schluss eine beruhigend­e Nachricht für alle: Nach einer Studie des Fraunhofer Instituts für Bauphysik, das 27 deutsche Großstädte auf ihre Lärmbelast­ung untersucht­e, landete Augsburg auf Platz 26. Nur Münster ist leiser ...

Die Gesellscha­ft muss mit Kompromiss­en leben

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Foto: Peter Fastl Eine Band und tausende Feiernde: Das Festival Modular lockte vergangene­s Wochenende viele Jugendlich­e in den Wittelsbac­her Park. Es spielten Bands, es wurde gefeiert, es wurde gelacht. Aus Sicht einiger Anwohner gesehen wurde aber vor allem eines:...
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