Debatte Wenn der Sommer zu laut wird
Wie viel Lärm verträgt eine Stadt? Und was gilt eigentlich als Lärm? Nach Modular und vor den Sommernächten ist diese Frage für viele Augsburger interessant. Nur: Wie könnte die Antwort lauten?
Der Sommer produziert deutschlandweit Schlagzeilen wie diese: „Anwohner klagen gegen Krach – Weinfest wackelt“– „Lautstärke: Anwohner kippen Plärrerverlängerung“– „Bürgerin klagt gegen Lärm auf dem Volksfest“. Sobald sich in Städten die Feste nach draußen verlagern, sorgt dies für Spaß bei den einen und Verdruss bei den anderen. Jüngstes Beispiel: das Festival Modular. Das Wummern der Bässe, ärgerten sich Anwohner, sei ihnen durch Mark und Bein gegangen.
Selbst Veranstaltungen mit Tradition sind vor solchen Beschwerden nicht gefeit: 2009 klagten Anwohner gegen das Musikfestival Rock im Park, das seit 1997 in Nürnberg stattfindet. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wies die Klage ab. 2011 drohten Anwohner, gerichtlich gegen den Canstatter Wasen in Stuttgart vorzugehen. In Vaihingen ging eine Frau vor zwei Jahren gleich wegen 19 Festen vor Gericht. Der Sommer war ihr schlicht zu laut geworden.
Das Nebeneinander von Wohnen und Feiern auf engem Raum war immer schon eine Gratwanderung. Die Verdichtung des Wohnraums einerseits und das Streben nach einer Belebung der Innenstädte andererseits haben das Problem verschärft. In Augsburg, einer wachsenden Kommune, wird das anhand zweier Beispiele deutlich: Wo einst Lagerhallen (Ladehöfe) und Industrie (Hasenbräu, AKS) waren, entstanden in den vergangenen Jahren neue Wohnungen. Wer dort lebt, ist nahe am Zentrum – aber eben auch nahe an den Orten, an denen im Sommer gefeiert wird.
Was hat nun Vorrang im Konflikt zwischen Anwohnern und Feiernden? Das Ruhebedürfnis oder der Wunsch nach städtischem Leben? Das Nürnberger Gericht begründete seine Entscheidung so: Rock im Park sei ein „seltenes Ereignis“, weshalb die Überschreitung des normalerweise zulässigen Lärmpegels von 70 Dezibel – in etwa die Lautstärke eines Rasenmähers – erlaubt sei. Übersetzt heißt das: Wer in einer Stadt lebt, muss sich damit abfinden, dass es dort auch einmal lauter sein kann.
Doch ganz so einfach ist es eben nicht. Das Problem fängt schon damit an, dass die einen als Lärm empfinden, was für die anderen schön ist. Ein Beispiel ist die Freilichtbühne: Jahrelang drohte eine Anwohnerin mit Klage, weil sie sich an Musik und Feuerwerk störte. Allein die Angst, vor Gericht zu unterliegen zu können, veranlasste die Stadt dazu, nur 32 Veranstaltungen am Roten Tor zuzulassen. Dabei könnte man die Bühne viel häufiger nutzen, was sich viele Bürger und Veranstalter ja auch wünschen.
Ein weiteres Beispiel: die Bürgerfeste. Vor Jahren ärgerten sich Besucher und Anwohner über die Böllerschützen. Sie seien zu laut, Kinder könnten erschrecken. Die Schützen durften danach nur noch zu festgelegten Zeiten schießen.
Stadtverwaltungen sind in solchen Situationen nicht zu beneiden. Das Streben, Bürgern eine belebte Innenstadt zu bieten, ist ständig von Einwänden bedroht – und Lärm ist nicht der einzige Knackpunkt, wie die jüngste gerichtliche Entscheidung gegen die Marktsonntage zeigt. In den meisten Fällen lenken Stadt und Veranstalter ein, so auch letztes Wochenende bei Modular: Die Lautstärke wurde gedrosselt. Dauerhaft kann es aber keine Lösung sein, jede Veranstaltung daran zu messen, wer sich gestört fühlen könnte. Dann müsste man die Stadt gleich „zusperren“. Lärm kann nerven, im schlimmsten Fall krank machen und wer einmal Stunden bei offenem Fenster an einer Straße saß, auf der ununterbrochen Autos vorbeifahren, weiß, wie aggressiv das machen kann. Doch Fakt ist auch: Der Geräuschpegel, dem Bewohner einer Stadt im Alltag (also dauerhaft) ausgesetzt sind, ist in der Regel höher als der eines zeitlich begrenzten Festes: Straßenverkehr liegt im Schnitt bei 75 Dezibel, ein Lastwagen bei 90. Wer in einer Kantine zu Mittag isst, ist 65 Dezibel ausgesetzt, wer sich unterhält 55.
Die Bewohner einer Stadt – und das gilt auch für kleinere Kommunen als Augsburg – müssen ein gewisses Maß an Geräuschen in Kauf nehmen. Die meisten tun das ja auch: Nach Modular gab es mindestens so viele Augsburger, die sich für das Fest starkmachten wie solche, die dagegen wetterten. Bei annähernd 300 000 Bewohnern ist es auch gar nicht möglich, es allen Recht zu machen. Feiernde Anwohner werden also mit Kompromissen leben müssen.
Einer ist, Freiluftveranstaltungen zeitlich einzugrenzen: In der Regel muss in Biergärten, auf der Freilichtbühne oder auch bei den Sommernächten, die nächste Woche beginnen, zwischen 22 und 24 Uhr Schluss sein. Mit dieser Uhrzeit sollten
und
Anwohner leben können. Ein Appell geht aber auch an die Feiernden: Keiner muss nach einem Festival laut grölend nach Hause gehen. Es gehört sich auch nicht, seine Notdurft an jeder x-beliebigen Hausecke zu verrichten oder sich zu übergeben, wo man eben gerade steht. Dass Bewohnern der Innenstadt bei solch rücksichtslosem Benehmen der Kragen platzt, ist verständlich.
Viele Augsburger freuen sich, dass ihre Stadt attraktiver geworden ist. Das liegt gerade auch an Veranstaltungen wie Modular, den Sommernächten, den Bürgerfesten oder den zahlreichen Stadtteilfeiern. Solche Feste grundsätzlich an die Peripherie zu drängen, wäre falsch. Bei x-large, dem Vorgänger von Modular, führte die Verlegung auf den Plärrer dazu, dass das Festival danach tot war. Im Umkehrschluss heißt das nicht, dass Modular auf dem Gaskesselgelände keine Zukunft hätte. Nur: In Oberhausen leben auch Menschen. Es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass es nicht auch dort Beschwerden geben könnte.
Zum Schluss eine beruhigende Nachricht für alle: Nach einer Studie des Fraunhofer Instituts für Bauphysik, das 27 deutsche Großstädte auf ihre Lärmbelastung untersuchte, landete Augsburg auf Platz 26. Nur Münster ist leiser ...
Die Gesellschaft muss mit Kompromissen leben