Supermarkt zeigt demente Frau (91) an
Gesellschaft Eine hochbetagte Seniorin vergisst an der Kasse, alle Waren zu bezahlen. Sie wird des Diebstahls bezichtigt. Die alte Dame ist schockiert und untröstlich. Wie der Fall ausgeht und warum Experten einen sensibleren Umgang fordern
Seit zwei Wochen schon machen sich Uli Masch und Partnerin Monika Hell* Sorgen um ihre 91-jährige Nachbarin. „Ihre Oma“, wie sie sie nennen, ist schlecht beieinander. Immer wieder fragen sie nach, was denn mit ihr los sei. Ihr gehe es nicht gut und sie wolle nicht mehr leben, meint die alte Dame. Mehr will sie nicht sagen. Dann aber steht die 91-Jährige eines Tages weinend vor der Tür der Nachbarn und erzählt, was sie seit vielen Tagen bedrückt.
Die Seniorin war beim Bummeln in der Innenstadt. So wie sie es jeden Tag gerne macht. Die 91-Jährige ist beginnend dement. Sie hat Pflegegrad 1, ist aber noch recht rüstig. Bei Rewe-City in der Maxstraße legte die Rentnerin Waren in ihren Einkaufsbeutel. Einen Teil zahlte sie, den anderen hatte sie in ihrem Beutel vergessen. Supermarktmitarbeiter bemerkten es. Die 91-Jährige wurde des Diebstahls beschuldigt, die Polizei informiert. Für die alte Dame ist das alles entsetzlich, wie sie schildert. Sie schäme sich fürchterlich. „Wenn ich jetzt rausgehe, sehen die Menschen mir an, dass ich eine Diebin bin“, sagt sie und weint. „So alt, wie ich geworden bin, ist mir das noch nie passiert.“Ihre Nachbarn versuchen sie zu beruhigen. Sie solle sich den Vorfall nicht so zu Herzen nehmen. Sie sind mit der Frau, die seit dem Tod ihres Mannes keine Angehörigen mehr hat, eng verbunden. Man lebt auf derselben Etage. Seit Jahren betreut das Paar die Frau. Uli Masch hat sogar eine Generalvollmacht. Er weiß, dass das Kurzzeitgedächtnis „seiner Oma“stark beeinträchtigt ist. Masch und seine Lebensgefährtin finden es schade, wie in dem Supermarkt mit der 91-Jährigen umgegangen wurde. Die alte Dame sei seitdem ein Häufchen Elend. Sie appellieren an die Mitmenschen, in solchen Situationen sensibler und abwägender zu reagieren. „Man weiß nie, wie man selbst mal mit 91 Jahren unterwegs ist.“
Der richtige Umgang mit dementen Menschen werde immer wichtiger, bestätigt Bernhard Gattner von der Caritas. Schließlich würden die immer älter, die Krankheit werde häufiger auftreten. Man hätte mit der 91-Jährigen sprechen müssen, meint er. Auch um herauszufinden, wie ihr geistiger Zustand ist. „Demenzkranke sind ohnehin verunsichert und wissen oft nicht, was mit ihnen passiert.“
Seine Kollegin Michaela Weber, Leiterin im Bereich Pflege, fordert sogar eine Schulung der Mitarbeiter von Supermärkten, Banken und Apotheken. „Sie sollten über die Krankheit Demenz aufgeklärt werden, um solche Fälle zu erkennen.“Wolfgang Puff vom Handelsverband betrachtet dies als unrealistisch. Das sei zu viel verlangt. Aber im vorliegenden Fall wäre mehr Sensibilität wünschenswert gewesen. „Ich appelliere an das Gespür für einen anderen Menschen, vor allem wenn dieser älter ist.“
Demenz ist eine häufige Erkrankung im Alter. Laut Gesundheitsreport Bayern ist die Mehrzahl der de- menziell Erkrankten bei der Diagnosestellung noch nicht pflegebedürftig und wird zu Hause betreut. Für die Betroffenen hat dies den Vorteil, dass ihnen die vertraute Umgebung erhalten bleibt. So verhält es sich auch bei der 91-jährigen Augsburgerin. Mit Unterstützung ihrer Nachbarn kann sie noch gut in den eigenen vier Wänden leben.
Der Vorfall im Supermarkt wird für die Frau keine Folgen haben. Laut Franz Lutz vom Augsburger Anwaltsverein sei jemand, der dement ist, sowieso nicht schuldfähig. Doch das auch beweisen zu müssen, bleibt der alten Dame jetzt erspart. Denn als Rewe mit der Krankheit der Seniorin konfrontiert wird, zieht der Supermarkt die Anzeige zurück. Zwar habe sich der Markt korrekt verhalten, betont Pressesprecherin Ursula Egger. „Aber es gibt Einzelfälle, in denen man kulant ist.“Egger sagt, dass Angehörige oder Betroffene in derartigen AusnahmesiMenschen tuationen das Gespräch suchen könnten. Die Supermarktkette arbeite mit der Deutschen AlzheimerGesellschaft zusammen, so Jens Schneider, Vorsitzender der Alzheimer-Gesellschaft Augsburg. „Schade, wenn gute Ansätze da sind, aber nicht bis zu den Mitarbeitern durchdringen. In diesem Fall hätten die Angestellten nicht die Polizei rufen müssen.“Das sehen Uli Masch und Monika Hell ähnlich. „Der Vorfall hat bei Oma einen Schock ausgelöst.“»Kommentar
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Angebot Die Alzheimer Gesellschaft Augsburg bietet Bürgern und Firmen Grundschulungen zum Umgang mit De menzkranken an. Sie dauern etwa ein einhalb Stunden. Info: 0821/3193130.