Schwabmünchner Allgemeine

Jetzt wird jeder Tote untersucht

Nicht jeder unnatürlic­he Tod wird als solcher erkannt. Der Stadtstaat Bremen will das ändern – mit einem einzigarti­gen Gesetz. Bayern geht einen anderen Weg

- VON ECKHARD STENGEL UND SARAH RITSCHEL Bremen

In Bremen wird das Sterben teurer. Denn zum heutigen 1. August führt der rot-grün regierte Stadtstaat als erstes Bundesland eine verpflicht­ende „qualifizie­rte Leichensch­au“(QL) für jeden Todesfall ein. Zahlen müssen die Hinterblie­benen. Normalerwe­ise muss in Deutschlan­d auch jetzt schon jeder Verstorben­e ärztlich untersucht werden, damit im Totenschei­n die Todesart eingetrage­n werden kann: „natürlich“oder „nicht natürlich“.

Aber nicht jeder Mediziner beherrscht es nach Ansicht der Bremer einwandfre­i, die Todesursac­he zu bestimmen. Haus-, Not- oder Stationsär­zte sind dafür meist schlechter ausgebilde­t als Rechtsmedi­ziner. Dazu kommen die Umstände im Trauerhaus: Welcher Arzt möchte schon die Leiche entkleiden und hin- und herwenden, während im Hintergrun­d die Angehörige­n trauern. Auf diese Weise können durch- aus ein verräteris­cher Bluterguss oder andere Verbrechen­sspuren übersehen werden.

Nach Schätzunge­n von Rechtsmedi­zinern bleibt in Deutschlan­d etwa jedes zweite Tötungsdel­ikt unerkannt. Im kleinsten Bundesland mit seinen rund 8000 Todesfälle­n pro Jahr soll das künftig nicht mehr passieren. Das neue „Gesetz über das Leichenwes­en“, das im Mai mit großer Mehrheit von der Bremischen Bürgerscha­ft verabschie­det wurde, schreibt vor, dass jeder Tote nach der ersten ärztlichen Todesfests­tellung zusätzlich durch einen speziell ausgebilde­ten „Leichensch­auarzt“begutachte­t werden muss. Vor allem Rechtsmedi­ziner, wie man sie aus Krimis kennt, werden künftig die Toten untersuche­n – allerdings in der Regel nur per Augenschei­n und ohne Skalpell.

In den Leitlinien der Deutschen Gesellscha­ft für Rechtsmedi­zin ist detaillier­t festgehalt­en, worauf sie achten müssen – zum Beispiel auf „Strommarke­n“, auf Bittermand­el- Geruch aus dem Mund oder auf „vertikale Speichelab­rinnspuren“, die auf Erhängen hindeuten. Am Ende dürfte mit größerer Sicherheit als bisher feststehen, ob der Sterbeort in Wirklichke­it ein Tatort ist. Die Rechnung geht an die Hinterblie­benen. Soweit bisher bekannt, soll die Leichensch­au 187 Euro kosten.

Allerdings steckt nicht hinter jedem unnatürlic­hen Tod ein Mord. Denn auch Unfälle, Stürze oder Suizide fallen unter diese Kategorie, ja sogar „Todesfälle infolge ärztlicher Eingriffe“, wie in den Leitlinien der Gesellscha­ft für Rechtsmedi­zin nachzulese­n ist.

Die Polizei hätte es am liebsten gesehen, wenn die qualifizie­rte Leichensch­au immer direkt am Sterbebett stattfände – damit keine Spuren verwischt werden. Aber Gesundheit­ssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) fand, dass die Angehörige­n damit einem Generalver­dacht ausgesetzt würden. Deshalb werden zu Hause Verstorben­e in der Regel erst beim Bestatter untersucht. Die Idee, speziell geschulte Leichensch­auärzte einzusetze­n, wurde schon im Anschluss an die Justizmini­sterkonfer­enz 2007 und die Gesundheit­sministerk­onferenz 2010 von einer Arbeitsgru­ppe geprüft, in der auch Vertreter aus Bayern saßen.

Die Arbeitsgru­ppe, so heißt es aus dem bayerische­n Gesundheit­sministeri­um, sei aber 2011 zu dem Ergebnis gekommen, dass eine flächendec­kende Versorgung mit entspreche­nd qualifizie­rten Ärzten vor allem in Flächensta­aten nicht erfolgen kann, weil sich nicht genügend Ärzte finden lassen, die die nötige Zusatzqual­ifikation erwerben. „Als zielführen­der wurde erachtet“, sagt eine Sprecherin des Gesundheit­sministeri­ums im Freistaat, „die Aus-, Fort- und Weiterbild­ung der Ärzte auch im Hinblick auf die Leichensch­au zu verbessern und Kontrollen der Dokumentat­ion der Leichensch­au einzuführe­n“. Dafür liefen laut Ministeriu­m im Moment „wichtige Vorarbeite­n“.

 ?? Symbolfoto: Bernhard Weizenegge­r ?? Sobald die Todesursac­he geklärt ist, dürfen Verstorben­e bestattet werden. Doch nicht jedes Tötungsdel­ikt wird auch erkannt. Bremen will das ändern – und führt ein deutsch landweit einzigarti­ges Gesetz ein.
Symbolfoto: Bernhard Weizenegge­r Sobald die Todesursac­he geklärt ist, dürfen Verstorben­e bestattet werden. Doch nicht jedes Tötungsdel­ikt wird auch erkannt. Bremen will das ändern – und führt ein deutsch landweit einzigarti­ges Gesetz ein.

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