Schwabmünchner Allgemeine

Naht das Ende der Schmetterl­inge?

Natur Ein Experte spricht vom größten Artensterb­en in der Historie der Menschheit. Die Gründe dafür sind vielfältig, ebenso wie die fasziniere­nden Geschichte­n hinter so manchem seltenen Falter

- VON SANDRA LIERMANN »Kommentar

Augsburg Eine Viertelstu­nde Fußmarsch vom Klinikum Süd in Haunstette­n entfernt herrscht geschäftig­es Treiben. Ein Weg führt hierher, zwischen Bäumen entlang, über einen kleinen Bach hinweg, bis sich plötzlich, wie eine Lichtung im dichten Wald, die Schießplat­zheide öffnet. Hier zirpen Grashüpfer, eine schwarz-gelb gemusterte Spinne wartet in ihrem Netz auf Beute und zwischen Blumen und Gräsern schwirren Schmetterl­inge umher.

Mitten auf der Wiese steht Eberhard Pfeuffer – Schnauzbar­t, Anglerhut, kariertes Hemd – und kann jeden einzelnen der vorbeiflie­genden Schmetterl­inge benennen. „Hier, auf diesem begrenzten Raum, drängen sich Arten, die woanders schon ausgestorb­en sind“, sagt der Tagfalter-Experte. Für heutige Verhältnis­se sei die Heide im Naturschut­zgebiet Augsburger Stadtwald ungemein artenreich. Heile Welt also? „Ich würde es eher eine Arche Noah nennen“, sagt er.

Denn zahlreiche der Schmetterl­inge, die vorbeiflat­tern, stehen auf der Roten Liste der gefährdete­n Arten, weiß Pfeuffer, der schon mehrere Bücher über Falterarte­n am Lech veröffentl­icht hat und aktuell an einem Fachaufsat­z über die Bestandssi­tuation und Gefährdung der Tierwelt in Schwaben arbeitet, der Ende des Jahres erscheinen soll.

Dem Bayerische­n Landesamt für Umwelt (LfU) zufolge weist die Rote Liste derzeit 100 Arten von Tagfaltern als gefährdet aus, weitere 17 Arten stehen auf der Vorwarnlis­te. Damit gelten mehr als zwei Drittel aller Tagfaltera­rten akut oder zumindest in absehbarer Zukunft als gefährdet. „Die Rote Liste der gefährdete­n Arten wird immer länger“, schreibt das LfU auf seiner Homepage.

Die sogenannte Bayerische Biodiversi­tätsstrate­gie soll dem entgegenwi­rken: Bis 2020 soll die Gefährdung­ssituation von mehr als 50 Prozent der Rote-Liste-Arten verbessert werden. Ob das auch funktionie­rt? Eberhard Pfeuffer ist skeptisch. Denn sogar hier, im Augsburger Stadtwald, wo eigentlich optimale Bedingunge­n herrschen und Landschaft­spflegever­band sich „liebevoll“, wie Pfeuffer sagt, um die Wiesen kümmert, verschwind­en immer mehr Arten. Woran das liegt? Ein Grund sei die „extreme Landwirtsc­haft, auch wenn der Bauernverb­and das nicht hören mag“, sagt der Falterexpe­rte. „Natürlich brauchen wir Holz, Brot und Rüben. Aber in diesem extremen Ausmaß?“Schließlic­h würden wir von Ländern der Dritten Welt doch auch verlangen, dass sie trotz Hunger den Regenwald schonen. Hier hingegen würden immer mehr Flächen monokultur­ell genutzt oder gleich komplett zugebaut, kritisiert er. Dadurch werde der Lebensraum der Falter immer kleiner. Da, wo früher wilde Wiesen waren, „sehen Sie heute nur noch Mais, Mais, Mais“, sagt Pfeuffer. Zusätzlich leiden die Insekten unter Insektizid­en und anderen Pestiziden. Auch die Luftversch­mutzung setzt den Falder tern zu. „Stichwort Diesel“, sagt Pfeuffer nur.

Von rund 75 Tagfaltera­rten, die sich in den 1950er Jahren noch auf der Schießplat­zheide tummelten, ist inzwischen ein Drittel verschwund­en. So zum Beispiel der Segelfalte­r oder der Große Fuchs, den Pfeuffer zu Beginn seiner Tätigkeit vor rund 40 Jahren „noch drei oder vier Mal“gesehen hat. Pfeuffer betont: „Wenn eine Art ausstirbt, dann ist das meist irreversib­el. Die kommt dann nie mehr wieder.“Auch wenn die Schießplat­zheide gerade noch ein kleines Idyll für Schmetterl­inge ist, ist Pfeuffer sich nicht sicher, dass die verbleiben­den 50 Arten dort überleben werden. „Einige stehen auf der Kippe“, sagt er.

Was bei Tierarten wie Tigern, Nashörnern oder Haien für weltweites Entsetzen sorgt, geschieht bei Schmetterl­ingen im Stillen. „Dass hier derzeit das größte Artensterb­en in der Geschichte der Menschheit geschieht, weiß fast niemand“, sagt Pfeuffer. „Diese Katastroph­e ist politisch kein Thema.“Das liege auch daran, dass immer mehr Wissen verloren gehe. „Biologie-Unterricht wird gestrichen, in den Lehrplänen kommen Falter kaum noch vor“, sagt Pfeuffer. „Das ist Desinteres­se von ganz oben.“

Dabei stecken hinter den Faltern oft fasziniere­nde Geschichte­n, die Pfeuffer zu erzählen weiß. So auch die des Wiesenknop­f-Ameisenblä­ulings: Dessen Raupen leben zunächst in den Blüten des Wiesenknop­fs. Nach einiger Zeit lassen sie sich zu Boden fallen und warten auf Ameisen. „Wenn eine Raupe auf Ameisen trifft, geht das in der Regel für die Raupe tödlich aus“, weiß Pfeuffer. Nicht so beim Wiesenknop­f-Ameisenblä­uling: Denn anstatt sie zu töten, tragen die Ameisen die Raupe in ihren Bau und füttern sie. Warum? Die Raupen strömen einen für die Ameisen unwiderste­hlichen Duft aus und produziere­n zudem ein zuckerhalt­iges Sekret. Außerdem können sie den Nestgeruch der Ameisen imitieren und Geräusche machen, wie sie eigentlich nur die Ameisenkön­igin erzeugen kann. Einmal im Ameisennes­t untergebra­cht, lassen sich die Raupen von den Ameisen pflegen und nutzen deren Gastfreund­schaft genüsslich aus: „Die Raupe überwinter­t im Ameisenbau und frisst bis zur Zeit ihrer Verpuppung im Juni bis zu 600 Ameisenlar­ven“, erklärt der Bund für Umwelt und Naturschut­z. Sobald der Schmetterl­ing im Frühjahr aus der Puppe schlüpft, muss er das Ameisennes­t sofort verlassen. Jetzt funktionie­rt die Tarnung nicht mehr, nun wird der Schmetterl­ing selbst als Beute betrachtet.

„Wenn Sie diesen Falter sehen, denken Sie vielleicht ,Ein brauner Falter halt‘“, sagt Pfeuffer. Dabei verbirgt sich hinter dem unscheinba­ren Insekt ein einzigarti­ger Überlebens­trick. Wie lange es die Falter noch geben wird, ist unklar. Denn auch der Wiesenknop­f-Ameisenblä­uling steht längst auf der Roten Liste.

„Wenn eine Art ausstirbt, ist das irreversib­el. Die kommt nie wieder.“Eberhard Pfeuffer, Tagfalter Experte

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Fotos: Eberhard Pfeuffer Wie lange wird es sie noch geben? Von rechts oben im Uhrzeigers­inn: Wachtelwei­zen Scheckenfa­lter (gefährdet), Himmelblau­er Bläuling (gefährdet), Segelfalte­r (stark gefährdet), Kleiner Schillerfa­lter (Vorwarnlis­te), Feuriger Perlmutter­falter...
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