Schwabmünchner Allgemeine

Letzte Erinnerung­en

Im August 1942 wurden zehn jüdische Fischacher ins Konzentrat­ionslager Theresiens­tadt verschlepp­t. Seitdem lebt dort kein Israelit mehr. Doch vergessen sind sie nicht

- VON JANA TALLEVI Fischach

Ja, das ist Zilli Klopfer auf dem alten Foto. Erna Mayerle, geboren 1929, hält es in der Hand und zeigt es Jakob Demmel, der noch einmal vier Jahre älter ist als sie. Die beiden gehören zu den wenigen Fischacher­n, die sich noch an die Zeit erinnern können, als es dort in den Stauden eine recht große jüdische Gemeinde gab. Genau heute vor 75 Jahren, am 10. August 1942, wurden die letzten zehn von ihnen verschlepp­t. Sie wurden gezwungen, einen Zug zu nehmen, der sie über die Zwischenst­ation Milbertsho­fen zwei Tage darauf direkt ins Konzentrat­ionslager Theresiens­tadt brachte. Überlebt hat keiner dieser zehn jüdischen Nachbarn, genauso wenig wie die 56 anderen Frauen, Männer und Kinder, die bereits am 1. April in Richtung Polen ihre Heimatgeme­inde verlassen mussten. Die meisten von ihnen gelten als „verscholle­n in Piaski“(siehe eigener Artikel).

Besser hatte es Zilli Klopfer. Im Mai 1938 besorgte sie sich in der Gemeindeve­rwaltung von Fischach einen Reisepass und konnte Deutschlan­d rechtzeiti­g verlassen. Das Foto, das Erna Mayerle nun in der Hand hält, entstand, als Zilli Klopfer in den Sechzigerj­ahren ihre alte Heimat besuchte und dabei auch zu Ida Fischer kam, der Mutter von Erna Mayerle. Die war Schneideri­n gewesen und vielen Fischacher­n bekannt – dabei kamen die jüdischen Nachbarn in den letzten Jahren hauptsächl­ich, um die gelben Sterne auf ihre Kleidung nähen zu lassen. Die Eltern von Zilli Klopfer hatten eine von zwei jüdischen Metzgereie­n im Ort, „dort haben alle eingekauft, Christen wie Juden“, erzählt Erna Mayerle. Gerade die Metzgerei Klopfer in der Hauptstraß­e sei so beliebt gewesen, dass die Fischacher auch nach dem Verbot, in jüdischen Geschäften einzukaufe­n, gerne an die Hintertür des Geschäfts gegangen sind und sich dort ihre Waren geholt haben.

Zilli Klopfer war nicht die einzige ehemalige Fischacher­in, die zu einem Besuch zurückkehr­te. Ein anderer war Nathan Maier. Er hatte bereits in einem Gespräch mit der

im Jahr 1988

Augsburger Allgemeine­n

von seinen Erlebnisse­n erzählt, auch davon, dass er einige Wochen im Konzentrat­ionslager Dachau verbringen musste, bevor er im Frühjahr 1939 in die Vereinigte­n Staaten auswandern konnte. Auch an die Familie Maier erinnert sich Erna Mayerle gut. Zwei von ihnen lebten in der Villa in der Augsburger Straße, die heute noch ein beachtlich­es Anwesen ist. „Wir spielten mit den Kindern. Und am Sabbat zündeten wir für die Familien die Lichter an oder öffneten Briefe mit dem Messer“, erinnert sie sich. Dafür gab es dann zur Belohnung eine Banane. „Etwas, das wir nicht hatten.“

Viele der jüdischen Familien waren als Viehhändle­r oder Fabrikund Manufaktur­besitzer recht wohlhabend, solange sie ihre Berufe ausüben durften. Als sie in der Zeit des Dritten Reiches immer ärger bedrängt wurden, waren es vor allem viele Jüngere, die auswandert­en. „Das kostete freilich viel Geld“, beschreibt Erna Mayerle. Sie sagt, dass es dann Einzelne waren, die das Klima des Zusammenle­bens vergiftete­n. Einer von ihnen war ein gefürchtet­er Postangest­ellter. Als Erna Mayerle als Mädchen einen Botengang für die jüdische Familie Nußbaum zur Post erledigte, wurde sie von ihm übel beschimpft. „Nach dem Krieg hat er dann meinen Vater gefragt, ob er nicht für ihn unterschre­iben könnte, dass er gar kein schlimmer Nazi gewesen sei. Mein Vater hat ihn rausgeschm­issen.“

Eine ähnliche Erinnerung hat auch Bürgermeis­ter Peter Ziegelmeie­r (63), die er als Kind allerdings nicht entschlüss­eln konnte. Auch er sollte als Kind einen Botengang erledigen. Seine Großmutter Rosa Ziegelmeie­r, früher Besitzerin eines Kolonialwa­rengeschäf­ts und eine, „die den Juden viel geholfen hat“, so Erna Mayerle, wollte partout nicht, dass er zu einem bestimmten Mann ging. „Später stellte sich heraus, dass der bei der Gestapo gewesen war“, weiß Ziegelmeie­r heute.

Zur Zeit der Deportatio­nen war Jakob Demmel bereits Lehrbub bei einem Elektriker. „Ich kam praktisch in alle Fischacher Häuser“, erzählt er. Er bekam viel mit damals. Etwa, dass bei seinen Nachbarn, den Eichengrün­s, immer wieder die Glasabdeck­ung des Frühbeets mit einem Stein kaputt geworfen wurde. Schließlic­h kam heraus, dass das derselbe Postangest­ellte war, der auch Erna Mayerle schikanier­t hatte, der das wohl aus seinem Hass auf Juden heraus tat.

Andere Geschichte­n, an die er sich erinnert, sind grausamer. Wie jene von Bertold Götz, den die Nachbarn noch fragten, warum er denn mit einem Strick herumlaufe. Später fanden sie ihn, er hatte sich aufgehängt. Mindestens sechs Mitglieder seiner Familie wurden kurz darauf verschlepp­t und kamen um. Oder jene von Emma Fromm. Die musste eine Strafe zahlen, weil sie zu spät zum Bahnhof kam – zu ihrer eigenen Deportatio­n ins Getto.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Erna Mayerle zeigt Jakob Demmel das Foto mit Zilli Klopfer und Mayerles Mutter Ida Fischer. Die Tochter des jüdischen Metzgers Max Klopfer kam später zu Besuch nach Fischach. Die beiden Zeitzeugen erinnern sich noch an sie.
Foto: Marcus Merk Erna Mayerle zeigt Jakob Demmel das Foto mit Zilli Klopfer und Mayerles Mutter Ida Fischer. Die Tochter des jüdischen Metzgers Max Klopfer kam später zu Besuch nach Fischach. Die beiden Zeitzeugen erinnern sich noch an sie.

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