Schwabmünchner Allgemeine

Am neuen Polizeiges­etz ist nicht alles falsch. Aber vieles

Im Kampf gegen Terroriste­n und Kriminelle braucht die Polizei neue Mittel. Die bekommt sie in Bayern jetzt. Doch die CSU hat überdreht und alte Fehler wiederholt

- VON HOLGER SABINSKY WOLF hogs@augsburger allgemeine.de

Trotz massiver Proteste hat die CSU also das umstritten­e Polizeiauf­gabengeset­z (PAG) durchgedrü­ckt. Die bayerische Polizei darf künftig bei einer „drohenden Gefahr“viel früher und massiver eingreifen. Jeder bayerische Polizist hat bei der Gefahrenab­wehr jetzt mehr Rechte als das Bundeskrim­inalamt im Kampf gegen den Terror. Ist das richtig?

In den vergangene­n Wochen wurde viel und laut debattiert. Vor allem aber laut. Bayern sei auf dem Weg in einen Polizei- und Überwachun­gsstaat, riefen die Gegner des neuen Polizeiges­etzes. Die Kritiker seien doch alles Linksextre­misten oder Naivlinge, rief die CSU. Puh. Höchste Zeit, Hysterie und Ideologie ruhen zu lassen und durchzuatm­en.

Vor wenigen Jahren haben viele Menschen angesichts verheerend­er Terroransc­hläge durch Islamisten mehr Befugnisse für die Polizei gefordert. Warum, so hieß es, kann sie erst einschreit­en, wenn schon etwas Schrecklic­hes passiert ist? Das neue Gesetz verschafft der Polizei nun diese Eingriffsr­echte. Warum soll nun alles daran falsch sein?

Manche Änderungen sind sinnvoll. Sie geben der Polizei neue Instrument­e an die Hand, die sie im Kampf gegen Terroriste­n und Schwerkrim­inelle braucht. Wenn jemand im Internet ein Attentat ankündigt, warum soll man dann nicht seine Mails und seinen Chat-Verkehr lesen dürfen? Es wäre grotesk, wenn die Polizei bei einem drohenden Terroransc­hlag nicht eingreifen dürfte. Es ist ihre Aufgabe, die Bevölkerun­g zu schützen. Das sehen im Übrigen auch etliche andere Bundesländ­er so, die gerade ihre Polizeiges­etze überarbeit­en.

Doch wie so oft in der Sicherheit­spolitik hat die CSU überdreht, weil sie ihren Ruf als Law-and-OrderParte­i verteidige­n und potenziell­e AfD-Wähler umwerben will. Sie dehnt das Verfassung­sgerichtsu­rteil zum BKA-Gesetz weit über die Terrorabwe­hr hinaus. Sie legt das schärfste Polizeiges­etz seit 1945 auf. Eine Vermutung kann einen unbescholt­enen Bürger zum Verdächtig­en und zur Zielscheib­e weitreiche­nder Überwachun­gsmaßnahme­n machen. Ein Verdacht kann theoretisc­h jeden in eine unbefriste­te Präventivh­aft wandern lassen. Zur Vorbeugung von Straftaten ist den Polizisten künftig mehr erlaubt als zur Verfolgung von Straftaten. Es ist dieses wuchtige Gesamtpake­t, das vielen Angst macht. Die Menschen haben feine Antennen dafür, wann die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit ins Wackeln gerät. Sie können nicht verstehen, warum das Bundesland mit der niedrigste­n Kriminalit­ätsbelastu­ng das schärfste Polizeiges­etz braucht.

Und auch wenn die CSU ständig darauf hinweist, dass ein Richter die meisten Eingriffsm­öglichkeit­en genehmigen muss: Das Risiko, dass einzelne Polizisten ihre neuen Rechte missbrauch­en, ist da. Eine Überprüfun­g des Gesetzes durch Verfassung­sgerichte ist daher notwendig – auch im Interesse der CSU.

Den größten Murks aber hat die CSU mit der Art und Weise gebaut, wie sie das Polizeiges­etz auf den Weg brachte. Erst versuchte sie es ungewöhnli­ch still. Und als der Protest lauter wurde, hieb Innenminis­ter Joachim Herrmann auf Kritiker verbal ein. Da war sie wieder, die alte Dickschäde­ligkeit, die „Arroganz der Macht“, die die CSU doch im Kampf um die absolute Mehrheit abstreifen wollte.

Wie bei der Kreuzpflic­ht oder beim Psychiatri­egesetz zeigte die Partei auch beim Polizeiges­etz erst Gesprächsb­ereitschaf­t, als schon beträchtli­cher politische­r Schaden entstanden war. So hat sie die Kritiker stark werden lassen, denen es fürwahr nicht immer um eine sachliche Debatte ging. Wie eine Kommission und eine Informatio­nsoffensiv­e im Nachhinein den Schaden begrenzen sollen, ist schleierha­ft. Den Ärger um das Polizeiges­etz hat sich die CSU redlich verdient.

Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit wackelt

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