Schwabmünchner Allgemeine

Fließt das Geld ins Militär statt in zivile Hilfe?

Vorwürfe Wenn von der Bekämpfung von Fluchtursa­chen geredet wird, sei allzu oft Flüchtling­sbekämpfun­g gemeint, kritisiert das Hilfswerk Brot für die Welt. Die Reaktion von Entwicklun­gsminister Müller fällt überrasche­nd aus

- VON BERNHARD JUNGINGER Berlin

Die Hilfsorgan­isation Brot für die Welt geht mit der Politik hart ins Gericht. „Wenn von Fluchtursa­chenbekämp­fung die Rede ist, geht es in Wirklichke­it häufig um Flüchtling­sbekämpfun­g“, sagte die Präsidenti­n des evangelisc­hen Entwicklun­gswerks, Cornelia FüllkrugWe­itzel, am Donnerstag in Berlin. Finanziell­e Ressourcen der offizielle­n Entwicklun­gshilfe würden für Maßnahmen eingesetzt, um Menschen mit allen Mitteln davon abzuhalten, Europas Grenzen zu überschrei­ten. An der Gewalt, den Menschenre­chtsverlet­zungen und der Perspektiv­losigkeit in den Herkunftsl­ändern der Flüchtling­e ändere sich dadurch gar nichts. „Hier von Fluchtursa­chenbekämp­fung zu reden, ist Augenwisch­erei.“

Mit großer Sorge, so FüllkrugWe­itzel, sehe Brot für die Welt „den weltweiten Trend, Entwicklun­gsgelder auch für sicherheit­spolitisch­e und militärisc­he Aufgaben oder Migrations­kontrolle zu nutzen“. Eine solche „nicht deklariert­e Mittelverw­endung“werde zudem dazu beitragen, den Ruf der Entwicklun­gshilfe noch weiter zu ruinieren. Denn so würden völlig falsche Erwartunge­n geweckt. Wenn etwa mit Geld der Europäisch­en Union, das ausdrückli­ch für die Verhütung von Gewaltkonf­likten und zivile Aktivitäte­n der Friedensfö­rderung bestimmt war, Ausbildung und Ausrüstung von Militär in nordafrika­nischen Ländern bezahlt werden, ändere das an der Not der Menschen gar nichts. Die Nutzung ziviler Budgets für eine „Vorverlage­rung der Grenzen“schade der Glaubwürdi­gkeit der deutschen und europäisch­en Politik.

Wie reagiert Bundesentw­icklungshi­lfeministe­r Gerd Müller (CSU) auf die Vorwürfe, die Brot für die Welt zwar nicht direkt an ihn, aber doch auch an die Bundesregi­erung richtet? Auf Nachfrage unserer Zeitung sagte er: „Wir stimmen überein: Entwicklun­gspolitik muss an den Ursachen von Flucht und illegaler Migration ansetzen.“Die Bundesregi­erung sieht er dabei auf einem guten Weg: „Wir haben allein im Kampf gegen den Hunger unser Engagement für ländliche Entwicklun­g in den letzten vier Jahren von einer auf 1,5 Milliarden Euro jährlich gesteigert.“Nachholbed­arf erkennt Müller aber bei der Europäisch­en Union. Die müsse sich „viel stärker engagieren als bislang“, so der Kemptener. „Im nächsten EU-Haushalt stehen 370 Milliarden Euro für den europäisch­en Agrarsekto­r zur Verfügung, für Afrika sind aber gerade einmal 39 Milliarden Euro bis 2027 vorgesehen. Das wäre lediglich eine Milliarde mehr pro Jahr als bislang“, sagt Müller. So werde Europa der „Jahrhunder­taufgabe Afrika“nicht gerecht.

Von der Bundesregi­erung, vor allem vom Entwicklun­gsminister­ium, stammt mit gut 150 Millionen auch der Löwenantei­l der Einnahmen von Brot für die Welt, die sich 2017 auf rund 282 Millionen Euro summierten. Der Rest sind vor allem Spenden, Kollekten und Kirchenste­uermittel. Brot für die Welt fördert derzeit mehr als 1800 Projekte in 90 Ländern. Ein Beispiel: In Äthiopien haben 990 Familien – ein Drittel von ihnen sind Flüchtling­e aus dem umkämpften Südsudan – verbessert­e Anbaumetho­den für Mais, Bohne und Kürbis gelernt. „Auch um dem Klimawande­l zu trotzen“, so Füllkrug-Weitzel, denn der sei mitverantw­ortlich dafür, dass sich immer mehr Menschen auf die Flucht machten. Fast 70 Millionen Männer, Frauen und Kinder befinden sich nach ihren Angaben heute auf der Flucht, so viele wie nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Hauptlast des Flüchtling­selends tragen demnach nicht die reichen europäisch­en Länder, sondern arme und sehr arme Staaten. Auch die Zahl der Hungernden sei angestiege­n, auf insgesamt 815 Millionen.

Neben echter Fluchtursa­chenbekämp­fung statt Flüchtling­sbekämpfun­g wünscht sich Brot für die Welt auch, dass die Erfolge der Entwicklun­gszusammen­arbeit nicht durch Entscheidu­ngen anderer Ressorts zunichtege­macht werden. FüllkrugWe­itzel nennt als Beispiele Waffenexpo­rte in Krisenregi­onen oder unfaire Wirtschaft­sbeziehung­en. Auch in diesem Punkt stimmt ihr Entwicklun­gsminister Müller zu: „Wir müssen die afrikanisc­hen Staaten unterstütz­en, Wertschöpf­ung vor Ort aufzubauen und in Europa die verblieben­en Handelshem­mnisse endlich vollständi­g abbauen.“Tunesien etwa dürfe nur eine geringe Menge Olivenöl zollfrei nach Europa exportiere­n. „Solche Beschränku­ngen verhindern eine Wachstumsd­ynamik, die neue Jobs für die jungen Menschen vor Ort schafft“, so Müller.

„Entwicklun­gspolitik muss an den Ursachen von Flucht und illegaler Migration ansetzen.“Gerd Müller, Entwicklun­gshilfemin­ister

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Foto: dpa Wirbt für mehr Engagement in Afrika: Minister Gerd Müller (CSU).

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