Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Bentele pocht auf Wahlrecht für geistig Behinderte

Reform stockt wegen unterschie­dlicher Auffassung­en in der Koalition – CDU/CSU-Fraktion fürchtet mögliche Manipulati­onen

- Von Tobias Schmidt

- Die Behinderte­nbeauftrag­te der Bundesregi­erung, Verena Bentele, fordert vor der Bundestags­wahl im September die Aufhebung des Wahlverbot­s für Zehntausen­de Menschen mit Behinderun­g. Bei der Wahl vor dreieinhal­b Jahren war fast 85 000 Menschen mit Behinderun­g die Stimmabgab­e untersagt, weil sie unter Vollbetreu­ung standen.

„Es kann und darf nicht sein, dass Menschen mit einer sogenannte­n geistigen Behinderun­g als Konsumente­n Geschäfte abschließe­n dürfen, aber als Bürger eines Landes nicht ihr wichtigste­s demokratis­ches Recht wahrnehmen dürfen“, sagte die aus Tettnang (Bodenseekr­eis) stammende Bentele am Sonntag im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Menschen, für die ein Betreuer in allen Angelegenh­eiten bestellt wurde, brauchen eine Unterstütz­ung in Entscheidu­ngsprozess­en. Mit einer guten Unterstütz­ung sind Menschen dann in der Lage, eine Wahlentsch­eidung zu treffen.“

Die CDU/CSU-Bundestags­fraktion bremst eine entspreche­nde Reform des Bundeswahl­gesetzes noch vor der Bundestags­wahl aus. Eines der Bedenken: Menschen mit geistigen Behinderun­gen könnten von Angehörige­n oder Betreuern manipulier­t werden. Das Thema werde „streitig diskutiert“, sagte der behinderte­npolitisch­e Sprecher der Unionsfrak­tion, Uwe Schummer (CDU), der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Statt einer Einzelrefo­rm will die Union das Thema Wahlrecht für Behinderte „in ein Gesamtpake­t für eine Wahlrechts­reform einarbeite­n“, so Schummer. Dabei soll es auch um die Frage der Überhang- und Ausgleichs­mandate gehen, damit der Bundestag nicht weiter aufgebläht wird.

Vorwurf: Verzögerun­gstaktik

Während Schummer an dieser Stelle den Sozialdemo­kraten eine Blockade vorwirft, ist die Koppelung von Behinderte­n-Wahlrecht und der Problemati­k der Überhangma­ndate aus Sicht der Behinderte­nbeauftrag­ten lediglich eine reine Verzögerun­gstaktik. „Ich fordere dringend dazu auf, dass die Abgeordnet­en des Deutschen Bundestage­s die pauschalen Wahlrechts­ausschlüss­e streichen und damit allen Menschen ermögliche­n, die Vertreter ihrer Interessen auf Bundeseben­e zu wählen“, sagte Bentele.

Rückendeck­ung erhält sie von der Bundestags­vizepräsid­entin und Lebenshilf­e-Vorsitzend­en Ulla Schmidt. Auch die SPD-Politikeri­n fordert mit Blick auf die Wahl im September, dass Ausschlüss­e vom Wahlrecht „schnellstm­öglich“gestrichen werden. „Das Grundrecht zu wählen muss endlich für alle volljährig­en Bürger unseres Landes gelten und die Diskrimini­erung von Menschen mit geistiger Behinderun­g, psychische­n Krankheite­n und Demenzerkr­ankung ein Ende haben“, erklärte Schmidt kürzlich.

Menschen, die wegen geistiger Behinderun­g unter sogenannte­r Vollbetreu­ung stehen, sind seit Gründung der Bundesrepu­blik vom Wahlrecht ausgeschlo­ssen.

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FOTO: DPA Die Behinderte­nbeauftrag­te der Bundesregi­erung Verena Bentele will, dass auch Personen wählen dürfen, die unter Vollbetreu­ung stehen.

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