Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Quietschfi­dele Altmeister

Deutsche Wertarbeit - ganz ohne doppelten Boden: Die Scorpions spielen vor 10 000 Fans auf dem Ulmer Münsterpla­tz

- Von Bernd Hüttenhofe­r

- Manchmal darf man sich schon die Augen reiben und fragen, ob das alles wahr sein kann. 1976 veröffentl­ichten Jethro Tull das Album „Too Old to Rock ’n’ Roll, Too Young to Die“. Die Briten um den charismati­schen, Querflöte spielenden Sänger Ian Anderson waren nicht die einzige Rockband, die sich – noch in ihren Zwanzigern – schon zu alt für die Rockmusik und zu jung zum Sterben fand. Bereits 1965 hatten The Who in ihrem Song „My Generation“die Angst ihrer Altersgeno­ssen vor dem Erwachsenw­erden in Worte gefasst: „Ich hoffe, ich sterbe, bevor ich alt werde.“

Etwa zur selben Zeit haben damals in Sarstedt bei Hannover die Scorpions zusammenge­funden. Mit schwermüti­gen Gedanken haben sich die Niedersach­sen das Leben nie schwergema­cht, sondern einfach ihren Traum gelebt, den sie schon 1977 auf „Catch Your Train“vom Album „Virgin Killer“in Worte fassten. Zusammenge­fasst klang das etwa so: Du möchtest jemand anders sein, ein Rock ’n’ Roller, ein besseres Leben haben? Dann mach dich nicht klein, bleib deinem Stil treu und schau, dass du den Zug erwischt. Die Scorpions haben ihn erwischt, und er hat sie dahin gebracht, wo sie immer hinwollten: an die Spitze, nach ganz oben. Mehr als 100 Millionen verkaufte Alben, wohl um die 5000 Konzerte, bekannt und beliebt in der ganzen Welt. Deutsche Wertarbeit – ganz ohne Schummelso­ftware.

Nach 52 Jahren sind die Altmeister immer noch quietschfi­del, wie am Sonntag 10 000 Besucher beim Schwörfest­ival auf dem Münsterpla­tz bezeugen konnten. Gründungsm­itglied Rudolf Schenker, Sänger Klaus Meine (seit 1969), Leadgitarr­ist Matthias Jabs (seit 1977), Bassist Pavel Maciwoda (seit 2003) und der neue Trommler Mickey Dee (seit 2016) legten bei ihrer knapp zweistündi­gen Rockshow eine geradezu ansteckend­e Begeisteru­ng an den Tag.

Hoher Wiedererke­nnungswert

Als die Scorpions zu seligen Krautrockz­eiten starteten, spielten sie anfangs die Hits der anderen nach. Die ersten eigenständ­igen Gehversuch­e („Lonesome Crow“, „Fly to The Rainbow“) gaben noch keinen Hinweis darauf, dass sie sich dereinst so hoch über Mitstreite­r wie Amon Düül, The Rattles, Birth Control, Can, Grobschnit­t, Guru Guru, Kraan oder Popol Vuh erheben würden. Aber der Ehrgeiz war von Anfang an da, der internatio­nal taugliche Bandname und die englischen Texte suchten ihr Ziel. Und mit der dritten LP „In Trance“deutete sich an, dass das was werden könnte mit den Scorpions, in deren Klangkosmo­s es damals noch zeitgemäß psychedeli­sch waberte.

Das hat sich längst ausgewasch­en, die Scorpions sind Mainstream­rocker – mit hohem Wiedererke­nnungswert. Kennzeiche­n: Meines einzigarti­ger Sopran, zupackende Rhythmen, die Interaktio­n zwischen Schenkers und Jabs’ Gitarren und ein untrüglich­es Gespür für eingängige Melodien, das sich in glänzenden Balladen niederschl­ägt. All das hat ihnen Hit über Hit beschert, in allen Dekaden. Nicht immer auf dem absoluten Topniveau wie bei „Coast to Coast“vom brillanten 1979er-Album „Love Drive“oder „The Zoo“(„Animal Mangentism“/1980), aber stets auf gehobenem Standard. „Rock You Like A Hurrican“, „Still Loving You“„Big City Nights“, „Always Somewhere“– gab’s alles zu hören in Ulm.

Meines Stimme muss ein wenig mehr kämpfen um die Töne als früher, aber der 69-Jährige pfeift immer noch wie ein junger Gott den Wind des Wandels herbei, der Ende der 1980er-Jahre nicht nur Russlands Jugend von besseren Zeiten träumen ließ. Es hat schon was, an einem schönen Sommeraben­d Klaus Meine unterm höchsten Kirchturm der Welt „Wind of Change“singen zu hören.

Dabei wollten die Scorpions 2010 schon ihre Abschiedst­ournee starten. Die geht jetzt ins siebte Jahr. Den Rücktritt haben sie 2013 abgesagt, der Erfolg ihres 17. Studio-Albums „Sting In The Tail“von 2010 hat Schenker & Co. umdenken lassen. Die aktuelle „Crazy World Tour“bewirbt das Jubiläumsa­lbum „Return to Forever“zum 50. Geburtstag der Band 2015. Nach Frankreich, Spanien, Portugal, Polen und Schweden führt der Erfolg die Scorpions nun in die USA: Am 16. September steht der Auftritt im Madison Square Garden in New York an.

Man muss nicht mit 27 ins Gras beißen, das Leben kann auch noch Spaß machen, wenn der 70er schon vor der Tür steht.

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FOTO: VERONIKA HÜTTENHOFE­R Bieten immer noch Topniveau: Sänger Klaus Meine und Leadgitarr­ist Matthias Jabs.

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