Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Schwerer Verdacht gegen Berliner Polizei

Eltern einer bei einem Unfall getöteten Frau in Berlin wittern einen Justizskan­dal

- Von Ulrike von Leszczynsk­i und Jutta Schütz

BERLIN (dpa) - Der Verdacht wiegt schwer: Ist eine junge Frau getötet worden, weil ein Polizist mit Alkohol im Blut in ihr Auto raste? Und haben die Behörden in Berlin nach dem Unfall vor einem Jahr versucht, bei den Ermittlung­en das Thema Trunkenhei­t zu vertuschen?

Der Anwalt der Eltern des 21 Jahre alten Todesopfer­s vermutet genau das – er spricht von einem „furchtbare­n Justizskan­dal“. Auch von politische­r Seite werden Rufe nach Aufklärung lauter. Die Berliner Staatsanwa­ltschaft sieht bisher jedoch keine Anhaltspun­kte für einen Vertuschun­gsversuch.

Rückblick: Am 29. Januar 2018 parkt eine junge Frau ihr Auto in der Nähe des Alexanderp­latzes ein. Ein Polizeiwag­en, mit Blaulicht im Einsatz, rammt ihren Wagen mit hohem Tempo. Die 21-Jährige stirbt schwer verletzt noch am Unfallort.

Für ihre Eltern fühlt sich dieser Unfall heute wie eine doppelte Tragödie an. Sie haben ihre Tochter verloren – und den Verdacht, dass ein Staatsdien­er als möglicher Verursache­r des Unfalls schonend davonkomme­n sollte. Vom „Ehrenkodex bei der Polizei“sprechen die Eltern in Berliner Medien. Neben all ihrer Trauer wirken sie verbittert. Denn lange liefen die Ermittlung­en allein wegen fahrlässig­er Tötung. Dem Verdacht Alkohol am Steuer geht die Staatsanwa­ltschaft erst seit kurzem nach – nach anonymen Hinweisen.

Nach einem Bericht der „Berliner Morgenpost“(Sonntag) lässt die Polizei dieser Fall alles andere als kalt. Alle Personen, die am Unfalltag Kontakt zu dem Fahrer des Funkstreif­enwagens hatten, sollen erneut befragt werden, heißt es. „Wir wollen wissen, wie es wirklich war. Mit allen Konsequenz­en“, zitiert das Blatt Polizeikre­ise. Offiziell gibt es dafür keine Bestätigun­g. Die Pressestel­le der Polizei schweigt am Sonntag und verweist auf die Ermittlung­en der Berliner Staatsanwa­ltschaft.

Fraglich ist zum Beispiel, warum der Polizist direkt nach dem Unfall keine Blutprobe abgeben musste. Bemerkten seine Kollegen nicht, dass er betrunken gewesen sein könnte? Eine Blutprobe nahm damals erst die Berliner Charité ab, als der Polizist nach dem Crash dort eingeliefe­rt wurde.

Der Ärztliche Direktor der Charité, Ulrich Frei, wundert sich, dass sich mehr als ein Jahr lang kein Ermittler für die Patientena­kte interessie­rte. Es habe die Mediziner damals auch verblüfft, dass bei dem Polizisten nicht schon am Unfallort der Blutalkoho­lwert gemessen worden sei, sagte er dem Berliner „Tagesspieg­el“.

Ein solcher Test sei nicht zwingend, erwidert eine Sprecherin der Staatsanwa­ltschaft. Die Charité sei auch nicht verpflicht­et gewesen, ihre Erkenntnis­se den Ermittlung­sbehörden mitzuteile­n: Schweigepf­licht. Mediziner hätten die Ermittlung­en nicht behindert.

Inzwischen hat die Staatsanwa­ltschaft die Patientena­kte aber beschlagna­hmt. Das Ergebnis des damaligen Blutalkoho­ltests an der Charité lautet: rund ein Promille. Ab einer Blutalkoho­lkonzentra­tion von 1,1 Promille liegt laut ADAC absolute Fahruntüch­tigkeit vor. Dann am Steuer zu sitzen, ist eine Straftat.

Ein lupenreine­r Beweis könnte aber auch der Charité-Test nicht sein. Denn theoretisc­h könnte der Polizist nach dem Crash und vor der Untersuchu­ng in der Klinik Alkohol getrunken haben. Um ganz sicher zu sein, brauche man auch immer zwei Alkoholtes­ts, sagen Experten.

Die Ermittlung­en laufen nun unter dem Verdacht fahrlässig­er Tötung und Gefährdung des Straßenver­kehrs durch Trunkenhei­t. Der Beamte ist nach Angaben der Polizei zurzeit nicht im Dienst. Ob er suspendier­t wurde und wann. All das blieb bisher trotz vieler Nachfragen offen.

Die wachsende Dimension des Fall bringt auch Berlins Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) und Polizeiprä­sidentin Barbara Slowik unter Druck. Berliner Politiker wollen mehr wissen. „Es darf nicht der Anschein erweckt werden, gegen Polizisten als Tatverdäch­tige werde nachlässig ermittelt und erst nach anonymen Hinweisen die erforderli­chen Schritte eingeleite­t“, schreibt der Innenexper­te der Grünen im Abgeordnet­enhaus, Benedikt Lux, in seinem Blog. Seine Fraktion werde in der kommenden Innenaussc­husssitzun­g am 18. Februar Fragen stellen.

Lux' Liste ist lang. Einige Fragen lauten: Wann fand die erste Vernehmung des Fahrers statt? War er schon vor dem Fall durch Alkohol im Dienst auffällig? Die Vorwürfe müssten alle verantwort­lichen Stellen dazu veranlasse­n, hier die absolute Transparen­z herzustell­en, sagte auch der Berliner CDU-Fraktionsc­hef Burkard Dregger am Samstag dem Sender rbb. „Damit aufgeklärt werden kann, was schief gelaufen ist.“

Es gehe auch darum, das Vertrauen in den Rechtsstaa­t und die Glaubwürdi­gkeit von Polizei und Staatsanwa­ltschaft nicht zu gefährden, ergänzte Dregger. Er glaube jedoch nicht an ein generelles Problem mit Alkohol und Rasern in den Reihen der Polizei. Er verstehe aber auch die Eltern. „Wenn man sein Kind verliert, ist das, glaube ich, das schlimmste Trauma, was man erleben kann. Deswegen verstehe ich absolut den Willen zur unbedingte­n Aufklärung, den ich teile.“

Wie lange die „ergänzende­n Ermittlung­en“nach dem Alkoholver­dacht dauern, ist nach Angaben der Sprecherin der Staatsanwa­ltschaft noch offen. „Wir sind bestrebt, den Fall so zügig wie möglich abzuschlie­ßen“, sagte sie.

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FOTO: MAURIZIO GAMBARINI Ein Bild von der Unfallstel­le: Eine junge Frau starb bei dem Unfall mit dem Polizeiaut­o. Der Polizist soll betrunken gewesen sei. Die Eltern des Opfers vermuten, das sollte vertuscht werden.

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