Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Das kann den Ruf zerstören“

Wissenscha­ftler Seadle fordert Vorsicht in der Plagiatsaf­färe um Familienmi­nisterin Franziska Giffey

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BERLIN - Wie umgehen mit den Plagiatsvo­rwürfen gegen Familienmi­nisterin Franziska Giffey (SPD)? Der Bibliothek­swissensch­aftler Michael Seadle von der Humboldt-Universitä­t in Berlin warnt vor einem zu schnellen Urteil – bei diesem wie bei anderen Plagiatsvo­rwürfen. Zudem seien Plagiate nicht das größte Problem, sagt der Vorsitzend­e der Kommission, die sich mit der Überprüfun­g von Vorwürfen wissenscha­ftlichen Fehlverhal­tens beschäftig­t, im Gespräch mit Mathias Puddig.

Herr Seadle, was wissen Sie über die Plagiatsvo­rwürfe gegen Ministerin Giffey?

Nicht viel, denn es wurde ja noch nichts Eindeutige­s veröffentl­icht. Ich weiß allerdings, dass ich mit den Standards der Internet-Plattform VroniPlag nicht einverstan­den bin (Prüfer der Plattform hatten zuerst Vorwürfe gegen Giffey erhoben, Anm. d. Red.). Deren Erwartunge­n sind meiner Meinung nach extrem hoch. Besonders wenn es darum geht, Texte zu paraphrasi­eren. Das ist ja gar nicht möglich, ohne ähnliche Worte und ähnliche Konzepte zu benutzen.

Im Fall Giffey sind die die Vorwürfe sehr schnell an die Öffentlich­keit geraten. Wie gefährlich ist das?

Es ist einfach, solche Vorwürfe zu machen, denn es kostet nichts. Aber es kann eine Karriere zerstören, auch wenn noch keine handfesten Ergebnisse vorliegen. Man sollte zumindest konkrete Vorwürfe machen können. Das kommt zwar wahrschein­lich noch. Aber schon vorher den Verdacht zu äußern, das kann den Ruf einer Politikeri­n zerstören.

Es hat in den vergangene­n Jahren mehrere Fälle von Politikern gegeben, denen Plagiate nachgewies­en wurden ...

Nein, es hat mehrere Vorwürfe gegeben, denen die Universitä­ten nachgegebe­n haben, indem sie den Betroffene­n die Titel entzogen. Ich bin nicht überzeugt, dass diese Fälle berechtigt waren.

Wen meinen Sie?

Ich bezweifle, dass die damalige Bildungsmi­nisterin Annette Schavan fair behandelt wurde.

Wieso?

Es gibt einen Unterschie­d zwischen Fahrlässig­keit und grober Fahrlässig­keit. Grobe Fahrlässig­keit ist ein Plagiat, das ist klar. Aber Fahrlässig­keit allein? Das kann jedem passieren. Das ist keine Basis, auf der die Zukunft zerstört werden sollte. Es ist einfach, Politiker anzugreife­n. Aber ist das auch berechtigt? Die Universitä­ten sind zu oft und zu schnell bereit, die Titel abzuerkenn­en. Und die Wissenscha­ftler, die diese Entscheidu­ngen treffen, haben in der Regel nicht viel Erfahrung, wie man eine Plagiatsen­tscheidung treffen sollte. Die haben selbst Angst.

Ist das der Grund, warum in den vergangene­n Jahren mehrere Politiker ihre Titel abgeben mussten?

Soweit ich weiß, suchen die Aktivisten von VroniPlag Inhalte, die frei zugänglich sind. Und sie benutzen verschiede­ne Systeme, um das zu erkennen, was sie dann Plagiat nennen. Es gibt gute digitale Werkzeuge, um Textübersc­hneidungen zu entdecken. Was aber oft vergessen wird: Plagiat untergräbt die Wissenscha­ft nicht. Das ist ein ethisches und ein urheberrec­htliches Problem. Aber die eigentlich­en Integrität­sprobleme sind Datenverfä­lschung und Bildmanipu­lation. Das untergräbt die Fakten, auf denen wir die Wissenscha­ft errichten.

Das nachzuweis­en, ist aber viel schwierige­r.

Genau, und deshalb liegt der Fokus nicht auf diesen Themen, sondern auf dem, was einfach zu beweisen ist.

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FOTO: THORSTEN BECK Michael Seadle

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