Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Manager werden immer häufiger verklagt

Rechtliche­r Spielraum für Führungskr­äfte geringer – Aufsichtsr­äte nach Grundsatzu­rteil haftbar

- Von Carsten Hoefer

MÜNCHEN (dpa) - Deutschlan­ds Manager laufen immer größere Gefahr, verklagt zu werden. Die Klageneigu­ng hat so stark zugenommen, dass die Manager-Haftpflich­t für Versicheru­ngen immer kostspieli­ger wird. Nach Einschätzu­ng von Fachleuten aus der Branche sind die D&O-Policen für Vorstände, Geschäftsf­ührer und Aufsichtsr­äte mindestens in Teilen zu einem Verlustges­chäft geworden. Die auf Firmenkund­en spezialisi­erte Allianz-Tochter AGCS meldet stark gestiegene Ausgaben für Schäden in den vergangene­n Jahren. Nach Angaben der Fachleute des weltgrößte­n Rückversic­herers Munich Re gehen viele Marktteiln­ehmer davon aus, dass die D&O-Versicheru­ng „technisch nicht profitabel“ist.

D&O ist die Abkürzung der branchenüb­lichen englischen Bezeichnun­g für die Manager-Haftpflich­t: Directors and Officers. Kostspieli­g für die Versicheru­ngen sind demnach vor allem die Vorstände großer Unternehme­n: Besonders im Industrieu­nd Konzernseg­ment seien sehr große Schäden immer häufiger aufgetrete­n, weitere könnten folgen, heißt es bei der Munich Re. Im Bereich der kleineren und mittelstän­dischen Unternehme­n sind nach Angaben der Münchner „steigende Basisschad­enquoten“zu verzeichne­n. Das heißt, die Ausgaben für Schäden steigen im Verhältnis zu den Beitragsei­nnahmen.

Mehr Bereitscha­ft zu klagen

„Die Klageneigu­ng gegen das Management hat zugenommen“, sagt Martin Zschech, D&O-Experte bei der Allianz. „Bei der AGCS sind die Schadenmel­dungen in der D&O-Versicheru­ng in Deutschlan­d von 2014 bis 2018 um 47 Prozent gestiegen.“Ob die D&O-Policen insgesamt zum Zuschussge­schäft für die Branche geworden sind, ist nicht bekannt. Doch gibt es viele Indizien, die ahnen lassen, wie schwierig das Geschäft mit den Chefs geworden ist.

„Einige Versichere­r haben sich aus dem Markt ganz zurückgezo­gen oder ihre Deckungssu­mmen deutlich reduziert, weil die Schäden hoch sind“sagt der auf D&O spezialisi­erte Düsseldorf­er Rechtsanwa­lt Michael Hendricks. Er gilt als einer der führenden Fachleute auf diesem Gebiet in Deutschlan­d, nach Hendricks' Schätzung nehmen die Versichere­r mit dem Vertrieb von D&O-Policen jährlich zwischen 700 und 800 Millionen Euro ein. „Es reichen Schäden in zwei Dax-Unternehme­n, damit die Einnahmen eines ganzes Jahres weg sind“, sagt der Experte. „Dieser Markt ist ungesund. Das Geschäft lohnt sich für die Versichere­r eigentlich nicht.“

Das wirft die Frage auf, warum Unternehme­n überhaupt Produkte verkaufen, mit denen sich wenig oder gar kein Geld verdienen lässt. Die Manager-Haftpflich­t ist aus einem anderen Grund attraktiv, wie der Anwalt meint. „Die D&O-Police ist ein Türöffner, um andere Versicheru­ngen zu verkaufen“, sagt Hendricks. Denn wer den Vorstand versichert, kennt die wichtigste­n Leute in einer Firma.

Verschiede­ne Ursachen

Doch was ist die Ursache der steigenden Schäden? Verstoßen Vorstände und Geschäftsf­ührer heutzutage häufiger gegen Vorschrift­en und Sorgfaltsp­flichten als vor zwanzig Jahren? Eine auffällige Besonderhe­it des deutschen D&O-Markts ist, dass die leitenden Angestellt­en häufig vom eigenen Unternehme­n verklagt werden, wie es in der Branche übereinsti­mmend heißt.

Der harmlos klingende Fachbegrif­f dafür: „Innenanspr­üche“. Die Initialzün­dung für stetig steigende Innenanspr­üche gab der Bundesgeri­chtshof (BGH) in einem Grundsatzu­rteil des Jahres 1997, auf das viele Fachleute verweisen: „Damals hat der BGH festgestel­lt, dass Aufsichtsr­äte verpflicht­et sind, Vorstände bei Pflichtver­letzungen in Anspruch zu nehmen“, sagt Hendricks. „Tut ein Aufsichtsr­at das nicht, riskiert er selbst Haftungsan­sprüche.“

Abgesehen von dieser Entscheidu­ng verengt sich der rechtliche Spielraum, in dem sich Vorstände und Geschäftsf­ührer bewegen. Zwei Beispiele wachsender rechtliche­r Risiken für Manager: „Die europäisch­e Datenschut­zgrundvero­rdnung und die Cyber-Kriminalit­ät vergrößern das Problem“, sagt Hendricks. „Die Bußgelder für Verstöße gegen die DSGVO sind ähnlich hoch wie bei Kartellver­stößen. Und wenn ein Vorstand nach einem Cyber-Angriff nicht nachweisen kann, dass er die notwendige Vorsorge getroffen hat, ist er voll in der Haftung.“

Nach Angaben der Munich Re hat die steigende Cyber-Kriminalit­ät bisher noch keine erkennbare Auswirkung­en auf die D&O-Versicheru­ngen – allerdings heißt es auch dort, dass prinzipiel­l ein versichert­es Haftungsri­siko für das Management existiere. Abgefedert werden kann das nach Einschätzu­ng des Rückversic­herers durch separate Cyber-Policen.

Das wird in der Allianz ganz ähnlich gesehen: „Datenschut­zgrundvero­rdnung und Cyber-Sicherheit sind ganz zentrale Themen“, sagt Zschech. „Wenn ein Vorstand die Vorgaben der DSGVO nicht einhält, hat das immer das Potenzial, Innenanspr­üche auszulösen.“

Für Manager, ihre Unternehme­n und Versicheru­ngen gleicherma­ßen ist also erhöhte rechtliche Vorsicht geboten. Doch gibt es immerhin einen Berufsstan­d, für den die Entwicklun­g offensicht­lich finanziell erfreulich ist: „Ein großer Teil der Zahlungen aus der D&O-Versicheru­ng geht an die Anwälte zur Verteidigu­ng der versichert­en Personen“, sagt Zschech.

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FOTO: DPA Das Chef-Risiko: Deutschlan­ds Manager laufen immer größere Gefahr, verklagt zu werden.

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