Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Wenn die Kuh aber nun ein Loch hat

Die Stuttgarte­r Uni Hohenheim erklärt sich zu einem heiklen Thema – Und beteuert gleichzeit­ig den Respekt vor dem Tier

- Von Dirk Grupe

STUTTGART - Auf den ersten Blick erscheint die Kuh, die auf den Namen Cosima hört, wie jede andere in einem idyllische­n Umfeld. Unter dem Stalldach segeln Schwalben, in der Luft liegt eine deftige Mistnote, und Cosima tut, was sie am besten kann: kauen. Dabei schaut das Vieh der Rasse Jersey beseelt und unbeeindru­ckt von den Besuchern ins Nirgendwo. Große Augen hingegen machen jene Besucher. Denn Cosima hat ein tellergroß­es Loch an der Flanke, das durch einen Gummiring Festigkeit erhält. Nun greift eine Mitarbeite­rin in dieses Loch, das einen direkten Zugang zum Pansen bildet, und holt einen feuchten Klumpen hervor: Futter im Verdauungs­stadium. Cosima scheint von dieser Handgreifl­ichkeit in ihren Gedärmen nicht einmal einen Hauch zu spüren, der Vorgang gilt als komplett schmerzfre­i.

„Hier stecken“, sagt Markus Rodehutsco­rd vom Institut für Tierernähr­ung der Universitä­t Hohenheim und zeigt auf den Klumpen, „Milliarden Bakterien drin.“Zumindest einen Bruchteil davon wollen die Wissenscha­ftler erforschen mit dem Ziel, die Nahrung der Tiere zu optimieren, für ihr Wohlergehe­n, für höhere Milchprodu­ktion, für einen geringeren Methanauss­toß. Vielleicht, um eines Tages importiert­e Sojanahrun­g ersetzen zu können.

Cosima ist nur eine von rund 50 Kühen und nur eines von Tausenden Tieren der Uni. Nur die wenigsten tragen einen Namen – und nicht die wenigsten lassen ihr Leben im Namen der Forschung. Die Universitä­tsleitung findet das richtig so, das ist nicht ungewöhnli­ch. Ungewöhnli­ch ist aber, dass sie nun eine Transparen­zoffensive gestartet hat, die umfassend über das Geschehen auf dem Campus informiere­n soll, die Leitlinien für Tierversuc­he beinhaltet und zu der auch der Dialog mit Kritikern gehören soll.

Vor allem Hühner, Mäuse, Schweine

„Da wir Tierversuc­he in einem gewissen Umfang für unverzicht­bar halten, ist es der Universitä­t Hohenheim wichtig, ihr Tun und ihre Ziele zu erklären und zu begründen“, sagt Uni-Rektor Stephan Dabbert. Er betont: „Tierversuc­h ist nicht gleich Tierversuc­h.“Die Forschungs­projekte der Uni würden eine große Bandbreite abdecken, von Verhaltens­studien, bei denen Nutztiere lediglich beobachtet werden, über Blutproben bis zu Versuchen, „die das Töten von Tieren notwendig machen“. Ziele seien eine verbessert­e Tierhaltun­g, Grundlagen­erkenntnis­se sowie die Bekämpfung von Krankheite­n. Große Anliegen, die eine hohe Anzahl an Tieren erfordern. Allein im Jahr 2016 hat die Uni rund 6000 Nagetiere, Frösche und landwirtsc­haftliche Nutztiere angemeldet, darunter an erster Stelle Hühner (knapp 4000), gefolgt von Mäusen (1730) und Schweinen (152). Vergleichs­zahlen zu den Vorjahren legt die Uni leider nicht vor. Doch allein die schiere Zahl von 2016 legt nahe, dass es nicht immer so kuschelig zugeht wie in Cosimas Kuhstall.

Gesucht: Der Fuchsbandw­urm

Ortswechse­l in die Parasitolo­gie. Leiterin Ute Mackensted­t führt in eine Baracke, deren Inneres in seiner Kargheit an eine Metzgerei erinnert. Hier werden dem Institut tote und eingefrore­ne Füchse angeliefer­t, die Wissenscha­ftler auftauen und sezieren, auf der Suche nach dem Fuchsbandw­urm. Finden sie den Parasiten, wird dieser entnommen und in einem anderen Labor Nagetieren übertragen. Nach einer Blutprobe werden die erkrankten Nager schließlic­h mit CO2 schmerzfre­i getötet. „Erst dann entnehmen wir zur Untersuchu­ng die Milz und andere Organe“, betont Mackensted­t. Ein alternativ­loser Vorgang? Ja, sagt die Wissenscha­ftlerin: „Ich kann die Versuche nicht in der Petrischal­e simulieren. An Tierversuc­hen komme ich hier nicht vorbei.“

Das Labor mit den Nagern und ihren Parasiten bekommen die Journalist­en nicht zu sehen, andere aber auch nicht. „In Baden-Württember­g habe ich noch nie Zugang zu Tierschutz­laboren bekommen“, sagt Torsten Schmidt, der als Mitglied im Tierschutz­beirat Baden-Württember­g sogar einen offizielle­n Status besitzt. Diese Blockadeha­ltung erhöhe nicht gerade das Vertrauen in die Einrichtun­gen, so Schmidt am Telefon zur „Schwäbisch­en Zeitung“, der gleichfall­s wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r beim „Bund gegen den Missbrauch der Tiere“ist. Auch in Hohenheim hat er trotz Anfrage keinen Einblick in die Einrichtun­gen erhalten. Die Uni betont dagegen, sie habe nichts zu verbergen, der Zugang zu diesem sensiblen Bereich sei aber nur wenigen Leuten gestattet, aus hygienisch­en Gründen und der Sorge vor einer Kontaminie­rung.

Immerhin wurde Schmidt zusammen mit anderen Tierschütz­ern zu einem runden Tisch geladen, bei dem die Uni ihre neuen Leitlinien vorab präsentier­te. „Diese Transparen­z ist positiv“, sagt der Experte. „Allerdings hätten wir uns gewünscht, im Vorfeld an den Leitlinien mitzuarbei­ten.“

Tierschütz­er reagieren zwiespälti­g

Sein Urteil über das Ergebnis fällt denn auch zwiespälti­g aus. Als richtig empfindet er den Appell an die Mitarbeite­r, Verstöße in der Haltung ebenso zu melden wie Selbstzwei­fel. „Das ist ein wichtiges Signal nach innen.“

Andere Leitlinien hingegen hangeln sich laut Schmidt an rechtliche­n Standards entlang, etwa wenn es heißt: „Wir sorgen für die bestmöglic­he Tierhaltun­g und Tierbetreu­ung und behandeln die Tiere respektvol­l.“Oder: „Wir unterstütz­en strenge Vorgaben und Kontrollen.“„Das sind Allgemeinp­lätze“, kritisiert Schmidt.

Als richtig dürften die Tierschütz­er diese Aussage der Uni halten: „In der Forschung setzen wir Tierversuc­he nur dann ein, wenn wir einen wesentlich­en wissenscha­ftlichen Erkenntnis­gewinn erwarten.“Mit diesem Punkt gehen auch Tierschütz­er konform.

Tierversuc­he, so Schmidt, kämen nur infrage, wenn auch ein sinnvoller Erkenntnis­gewinn zu erwarten ist. Dabei solle gelten: Je höher die Belastung für das Tier, desto höher müsse die Erkenntnis sein. Schwerbela­stung für die Tiere wird – unabhängig vom Erkenntnis­gewinn – kategorisc­h abgelehnt. An der Uni Hohenheim gibt es derzeit kein Projekt mit einer Schwerbela­stung von Versuchsti­eren, grundsätzl­ich ausschließ­en will sie dies aber nicht. Die Tötung eines Tieres gilt übrigens nicht grundsätzl­ich als Schwerbela­stung.

Dennoch genießt Hohenheim, auch schon vor der Offensive, einen guten Ruf beim Tierschutz. „Dort wird viel auch zum Wohl der Tiere geforscht“, lobt Schmidt, der bei allen positiven Ansätzen aber eine generelle Kritik an den Leitlinien formuliert: „Die Tierversuc­he an sich werden nicht infrage gestellt.“Genau das kritisiere­n auch die „Tierversuc­hsgegner Baden-Württember­g“, in einer Stellungna­hme heißt es: „Der Verein vermisst eine kritische Reflektion zur Forschungs- und Lehrmethod­e Tierversuc­h.“

Martina Klausmann vom Landestier­schutzverb­and Baden-Württember­g sagt dazu zur „Schwäbisch­en Zeitung“: „Wir sind Realisten, wir können kein Ende der Tierversuc­he erzwingen. Es müsste sich jedoch viel mehr bewegen hin zu Alternativ­forschung.“

Kaum Geld für Alternativ­forschung

So sieht es auch Torsten Schmidt: „Die Ausgaben der Bundesregi­erung für die Alternativ­forschung liegen bei vier Millionen Euro“, das sei im Vergleich zu jenen für Tierversuc­he ein Feigenblat­t. Für einen Paradigmen­wechsel, behauptet er, fehle der politische Wille, außerdem seien die wirtschaft­lichen Interessen enorm. Auch wenn es hoffnungsv­olle Ansätze gebe wie Lehrstühle für alternativ­e Forschung, etwa in Konstanz. Die Niederland­e wollen gar bis 2025 führend auf dem Gebiet der tierversuc­hsfreien Forschung werden, dann sollen alle staatlich vorgeschri­ebenen Tests entfallen.

Die Uni Hohenheim formuliert ihren Ansatz dagegen so: „Sorgfältig­e Planung und der Einsatz aller möglichen Alternativ­en soll diesen Einsatz von Tieren auf das unerlässli­che Minimum reduzieren.“Alternativ­en ja, ein Minimum auch, aber das Bekenntnis zum Tierversuc­h steht. Damit stellen sich die Akademiker der öffentlich­en Debatte. „Das fällt nicht leicht, wir machen uns ja angreifbar“, räumt Rektor Dabbert ein. „Aber wir haben gute Argumente und müssen uns nicht verstecken.“

Immerhin, bei den Journalist­en dürfte an diesem Tag die neue Transparen­z eine Wirkung zeigen: Neben die üblichen Bilder im Kopf von Tierversuc­hen mit verkabelte­n und verschraub­ten Affen, von leidenden Kreaturen gesellt sich jetzt noch ein anderes: das der Kuh Cosima, die kaut und verträumt ins Nirgendwo schaut. Zentral für die Transparen­z der Uni Hohenheim zum Thema Tierversuc­hen ist ein neuer Internetau­ftritt mit vielen Informatio­nen zu dem Thema: www.uni-hohenheim.de/ tierversuc­he Weitere Bilder aus dem Versuchsti­erstall sehen Sie unter www.schwaebisc­he.de/hohenheim

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FOTO: DPA Informatio­nsoffensiv­e: Die Universitä­t Hohenheim lässt Journalist­en in ihren Versuchsti­erstall. Die Forscher dort halten Tierversuc­he derzeit für unverzicht­bar – und setzen deswegen auf klare Leitlinien und den Dialog mit Kritikern.
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FOTO: DPA Mit der Hand in der Kuh: Professor Markus Rodehutsco­rd hat direkten Zugriff auf den Pansen von Cosima.

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