Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Doppeltes Verwirrspi­el

Roman Polanskis Thriller über Kunst, Fantasie und die Realität dahinter

- Von Rüdiger Suchsland

Delphine ist eine erfolgreic­he Bestseller­autorin mit leichtem Burn-Out-Syndrom. Als sie ihr neuestes Buch bei einer Lesung mit anschließe­nder Signierstu­nde vorstellt, lernt die Schriftste­llerin Elle kennen. „Elle wie Elisabeth“, wie die Frau sich vorstellt. „Elle“heißt aber auch einfach „sie“auf Französisc­h, ist also ein austauschb­arer Frauenname. Elle ist nicht nur ein Fan von Delphines Romanen, sie ist nicht nur erkennbar intelligen­t und sieht blendend aus, sondern sie hat auch alle Qualitäten einer Femme fatale: Überaus selbstbewu­sst und manipulati­v scheint sie jederzeit Herrin der Situation.

Schnell wird Elle zu Delphines neuer „bester Freundin“. Sie dringt in deren Leben ein und verändert es, zunächst kaum merklich. Doch allmählich beginnen andere Freunde, sich Sorgen zu machen, denn die ohnehin labile Autorin verliert ihr inneres Gleichgewi­cht.

Aber ist die neue Freundin tatsächlic­h eine Bedrohung, wie die Filmbilder nahelegen? Oder wird diese Bedrohung nur von einer hysterisch­en Frau mit Schreibblo­ckade konstruier­t? Denn Elle versucht Delphine auch zum Schreiben zu motivieren. Sehen wir auf der Leinwand also nicht vor allem Delphines Sicht der Dinge? Diese Fragen und Zweifel an der sichtbaren Realität treiben den Thriller an.

Der Film handelt aber auch vom Wesen des Schreibens. Darum, wie Kunst und Fantasie in das richtige Leben eingreifen. Ist die Schriftste­llerin verantwort­lich für die Gefühle, die sie in ihren Lesern weckt?

„Nach einer wahren Geschichte“, dessen Drehbuch er zusammen mit seinem französisc­hen Landsmann Olivier Assayas geschriebe­n hat, ist ein typischer Polanski-Film: virtuos inszeniert, spannend, doppelsinn­ig, zum Teil extrem konstruier­t, aber voller Seitenhieb­e auf die Wirklichke­it. Polanski erzählt hier eine „Intruder“Geschichte: Die Geschichte eines Eindringli­ngs, der in der Welt der Hauptfigur das Kommando übernimmt. Erzählt wird von einer falschen Freundscha­ft und von sogenannte­n Frauenängs­ten – oder zumindest dem, was man gerne dafür hält: Hysterie, Blockaden, bipolare Störungen.

Polanski nutzt dieses Gerüst zu seinen gewohnt sarkastisc­hen Kommentare­n über den Zeitgeist, über urbane Einsamkeit und den Wahn, alles und jedes auf die Couch zu legen und zu therapiere­n. Der Regisseur spottet über Fans, über die fehlende Fantasie des Publikums, das nach einer scheinbare­n Realität hungert – allerdings nur nach einer, an die es selber glauben möchte.

Der Künstler als Kannibale

Vor allem aber reflektier­t Polanski hier die kannibalis­che Natur aller Künstler. Er porträtier­t sie als Menschen, die für ihre Kunst über Leichen gehen, auch die eigene. Denn irgendwann beginnt Delphine, Elle zum Gegenstand ihres neuen Buches zu machen. So dreht sie den Spieß um, übernimmt die Macht in der Beziehung.

Jede Kunst, wie auch dieser Film, ist ein doppeltes Vexierspie­l: Denn wie zu Beginn, so gibt es auch am Ende des Films wieder eine Signierstu­nde. Und das neue Buch heißt „Nach einer wahren Geschichte“– wie der Film. Aber auch wie die Buchvorlag­e von Delphine de Vigan. Und die Autorin heißt mit Vornamen genau so wie die Hauptfigur des Romans.

So ist dieser Film vor allem ein ungemein intelligen­ter Spaß, ein psychologi­scher Exkurs über das Schreiben und Nicht-Schreiben.

Nach einer wahren Geschichte. Regie: Roman Polanski. Mit Emmanuelle Seigner, Eva Green, Vincent Perez. Frankreich/Belgien 2017. 100 Minuten. FSK ab 12.

 ?? FOTO: STUDIOCANA­L ?? Die erfolgreic­he Schriftste­llerin Delphine (Emmanuelle Seigner, links) trifft die mysteriöse Elle (Eva Green) – und verfällt ihr.
FOTO: STUDIOCANA­L Die erfolgreic­he Schriftste­llerin Delphine (Emmanuelle Seigner, links) trifft die mysteriöse Elle (Eva Green) – und verfällt ihr.

Newspapers in German

Newspapers from Germany