Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Aus der Not eine Jugend
Nach Platz elf bei der Eishockey-WM glaubt Marco Sturm an weitere Rücktritte Arrivierter
HERNING (SID/dpa) - Eines weiß Marco Sturm ganz genau: Die Silbermannschaft von Pyeongchang ist Geschichte. Doch mit wem der Eishockey-Bundestrainer die Zukunft planen kann, muss er erst noch herausfinden. „So viel Auswahl habe ich ja nicht“, sagte der 39-Jährige vor der Heimreise nach dem Vorrunden-Aus bei der Weltmeisterschaft in Dänemark und prophezeite: „Der eine oder andere wird nicht mehr dabei sein.“
Nach dem sensationellen Olympiaerfolg hatten bereits die Führungsspieler Christian Ehrhoff (35 Jahre alt), Marcel Goc (34) und Patrick Reimer (35) ihren Rücktritt erklärt, im Sommer werden weitere folgen. Kandidaten sind vor allem Torhüter Danny aus den Birken (33), die Verteidiger Yannic Seidenberg (34) und Frank Hördler (33) sowie Stürmer Marcus Kink (33), die – bis auf Seidenberg – aus unterschiedlichen Gründen auch ihre WM-Teilnahme abgesagt hatten.
„Da könnte schon noch was kommen“, mutmaßte Verbandspräsident Franz Reindl und nannte auch NHLProfi Dennis Seidenberg (36), der über eine Rückkehr nach Deutschland oder ein Ende seiner Laufbahn nachdenkt. Angreifer Patrick Hager, einer von nur zehn Olympiahelden bei der Weltmeisterschaft, fürchtet jedoch keinen radikalen Umbruch. „Ich gehe nicht davon aus“, sagte der Müncher, „dass noch eine Rücktrittswelle kommen wird.“
Dennoch muss Marco Sturm zwangsläufig auf die Jugend setzen. „Es ist schwierig, junge Spieler rauszuzaubern“, sagte er, „es schaut noch ein bisschen mager aus.“Die besten Talente, die bei der WM trotz Platz elf großes Potenzial offenbarten, spielen in Nordamerika: Neben Stürmerstar Leon Draisaitl (22 Jahre jung) bei den Edmonton Oilers, mit zwei Toren und sieben Vorlagen bester deutscher Scorer des Turniers, wird es in der nächsten Saison Dominik Kahun (22) bei den Chicago Blackhawks versuchen. Frederik Tiffels (22), Markus Eisenschmid (23) und Manuel Wiederer (21) kämpfen in Farmteams um ihre NHL-Chance. Marc Michaelis (22) hängt noch ein Jahr an der Minnesota State University dran. Für die nächsten Weltmeisterschaften sollen gerade die Erfahrungen helfen, die diese Jugend-Combo in Herning sammelte. Allein von der Qualität seiner Mannschaft her wäre auch diesmal das Viertelfinale möglich gewesen, sagte Marco Sturm: „Das Vertrauen untereinander hat gefehlt, es war alles zu neu.“
Zusätzliche Gelegenheiten, ein neues Team zu formen, wird der Bundestrainer vor der WM im nächsten Jahr in der Slowakei nicht erhalten. Der Deutschland Cup im November in Krefeld ist die einzige Zusammenkunft während der Saison, im Februar sollen Perspektivspieler in der neuen U23-Nationalmannschaft gegen die Schweiz an das internationale Niveau herangeführt werden.
„Es ist ausgereizt. Die Spieler machen zwischen 90 und 100 Spiele, da reicht’s jetzt auch“, sagte Reindl: „Mehr ist nicht drin, man muss auch an die Gesundheit der Spieler denken.“Vielleicht macht es Sturm wie vor zwei Jahren, als er sein Team in Garmisch-Partenkirchen zur Fackelwanderung den Berg hinauf und zum zünftigen Hüttenabend mit Spanferkel und bayerischer Musik einlud. „Da hat alles begonnen“, erklärte Reindl, „das muss man wieder versuchen.“
Wie lange der deutsche NHL-Rekordspieler allerdings den Umbau moderiert, ist offen. Sein Vertrag wurde zwar vor Olympia bis 2022 verlängert. Doch Sturm macht keinen Hehl daraus, dass er gerne als Trainer in die NHL zurückkehren würde. Irgendwann.
„Momentan“, sagte er auch, „bin ich Bundestrainer, und es macht mir Riesenspaß. Über alles andere brauchen wir nicht zu reden.“Auch nicht übers Verzagen angesichts eventueller weiterer Rücktritte: „Dann hätte ich den falschen Job. Ich freue mich auf die Zukunft.“