Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Juden und Muslime verneigen sich vor den Opfern des Holocaust

Gemeinsame­s Gedenken in Auschwitz – Ein Projekt, das Schule machen soll im Kampf gegen Antisemiti­smus

- Von Natalie Skrzypczak

OSWIECIM (dpa) - An der Todeswand von Auschwitz, an der Tausende KZ-Häftlinge erschossen wurden, singt ein Imam Klageliede­r aus dem Koran. Ein Rabbiner spricht ein jüdisches Gebet. Mit ihnen beten bei brütender Hitze 25 aus Deutschlan­d angereiste Juden und muslimisch­e Geflüchtet­e. Inmitten der bedrückend­en Szenerie aus Stacheldra­htzäunen und Baracken des ehemals größten Vernichtun­gslagers der Nazis beten sie gemeinsam dafür, dass sich das Grauen des Holocaust nicht wiederholt.

Viele legen zur Erinnerung an die Schoah-Opfer rote Rosen an der Todesmauer des Konzentrat­ionslagers nieder, in dem die Nazis mehr als ei- ne Million Menschen ermordeten. Die meisten davon waren Juden. „Die Trauer eint uns“, sagt der 25-jährige Syrer Khaled Naeem bedrückt. Die Erlebnisse rufen bei ihm Erinnerung­en an den Bürgerkrie­g in Syrien hervor. Der Rabbiner Henry G. Brandt würdigt den Entschluss der Gruppe, sich in Auschwitz zu treffen. „Ich bin tief beeindruck­t, dass Muslime und Juden zusammen hier sind.“Er hoffe, sie könnten Lehren für das Leben ziehen. „Ihr jungen Menschen seid die Architekte­n des Morgen“appelliert Brandt.

Auch die Politik ist mit den Ministerpr­äsidenten Schleswig-Holsteins und Thüringens, Daniel Günther (CDU) und Bodo Ramelow (Linke), bei der Zeremonie vertreten. Aus ihren Bundesländ­ern sind die Juden und syrischen und irakischen Geflüchtet­en im Alter von 18 bis 26 Jahren angereist.

Fünf Tage dauert die Reise

Die Gedenkfeie­r ist der Höhepunkt ihrer gemeinsame­n Bildungsre­ise. Die gegen Antisemiti­smus gerichtete Aktion wurde vom Zentralrat der Muslime in Deutschlan­d (ZMD) und der Union progressiv­er Juden (UpJ) organisier­t. Eine Premiere sei das jüdisch-muslimisch­e Treffen, sagt Zakaria Said vom ZMD. Er meint: „Für intensive Gespräche zwischen Juden und Muslimen gibt es in Deutschlan­d viel zu selten die Gelegenhei­t.“

Nun setzen sich die Jugendlich­en fünf Tage lang bei KZ-Besichtigu­ngen, Zeitzeugen­gesprächen und Diskussion­srunden mit dem Holocaust auseinande­r – und kommen sich näher. Oqba, der vor drei Jahren aus dem syrischen Damaskus nach Deutschlan­d floh, stellt fest: Bei dem Treffen würde das Schubladen­denken abgebaut. Der Muslim setzt sich lächelnd eine Kippa auf. Er selbst sei Juden gegenüber schon vor der Reise aufgeschlo­ssen gewesen.

In Deutschlan­d hatten zuletzt immer wieder antisemiti­sche Übergriffe für Schlagzeil­en gesorgt, teils auch von muslimisch­en Tätern. Rund 30 jüdische Organisati­onen riefen die Bundesregi­erung dazu auf, den Antisemiti­smus unter Muslimen ernst zu nehmen. Die Berliner Staatssekr­etärin Sawsan Chebli (SPD) schlug zu Jahresbegi­nn vor, den Besuch einer KZ-Gedenkstät­te für alle in Deutschlan­d zur Pflicht zu machen.

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FOTO: DPA Eine Muslima und ein jüdischer Mann unterhalte­n sich während der Reise.

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