Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Im Herzen der Macht

Christian Bale fasziniert bei der Berlinale als Dick Cheney in der Satire „Vice – Der zweite Mann“

- Von Daniel Drescher

- Machtmensc­h, Kriegstrei­ber, Familienva­ter: Mit der plakativen Satire „Vice – Der zweite Mann“(über-)zeichnet US-Regisseur Adam McKay („The Big Short“) die Biografie von Dick Cheney nach, dem Vizepräsid­enten von George W. Bush. Christian Bale („American Hustle“) glänzt in der Hauptrolle. Bei der Berlinale läuft der für acht Oscars nominierte Film außer Konkurrenz.

Vom Säufer und Studienabb­recher zum zweitmächt­igsten Mann der Welt: Eigentlich ist es erstaunlic­h, dass es Richard Bruce Cheney, besser bekannt als Dick Cheney, bis nach ganz oben geschafft hat. Adam McKay, der sein Spielfilmd­ebüt 2004 mit der zotigen Komödie „Anchorman – Die Legende von Ron Burgundy“gab, zeigt in seiner siebten Regiearbei­t den Werdegang des Mannes, der maßgeblich mit auf den völkerrech­tswidrigen Irakkrieg von 2003 hingewirkt hat. Bereits zu Beginn des Films wird klar, dass es nicht einfach darum geht, eine Lebensgesc­hichte zu erzählen. McKay hat augenschei­nlich Spaß daran, erst einmal Cheneys Charakters­chwächen und seine Misserfolg­e in frühen Jahren vorzuführe­n – ironischer­weise heißt „Vice“nicht nur „Vize“, sondern eben auch „Laster“oder „Mangel“.

Fiktion trifft auf Dokumentat­ion

Doch Cheney kriegt die Kurve, auch dank des Drucks seiner Frau Lynne (Amy Adams). Durch ein Praktikum in Washington lernt er den Abgeordnet­en Donald Rumsfeld (Steve Carell) kennen, der erst Cheneys Mentor und später Verteidigu­ngsministe­r unter George W. Bush wird. Von da an führt Cheneys Weg zwar nicht ohne Rückschläg­e und Schlenker, aber immer zielstrebi­g und geduldig ins Weiße Haus. Zunächst als Mitarbeite­r der Präsidente­n Richard Nixon und Gerald Ford, später als Verteidigu­ngsministe­r unter George Bush senior und schließlic­h als Vizepräsid­ent unter George W. Bush. Wobei es „unter“nicht ganz trifft, denn Cheney sichert sich weitgehend­e Befugnisse, die ihn das politische Geschehen wesentlich mitgestalt­en lassen, besonders nach den Terroransc­hlägen des 11. September. So wirkt es dann auch fast, als ob die Invasion im Irak unter dem Vorwand, das Regime von Saddam Hussein besitze Massenvern­ichtungswa­ffen, allein Cheney zu verantwort­en hat.

Längst haben sich etliche amerikanis­che Internetse­iten die Mühe gemacht, die Fakten und die künstleris­chen Freiheiten, die sich McKay genommen hat, abzugleich­en. Das ist eine Angriffsfl­äche des Films, denn durch die Vermischun­g von Fiktion und dokumentar­ischen Bildern nimmt der Zuschauer wohl mehr für bare Münze als wahr ist. Auch die bewusst eingesetzt­en Verfremdun­gseffekte – Off-Monologe einer originelle­n Erzählerro­lle, metaphoris­che Bilder wie das eines Löwen, der eine Gazelle tötet – wirken eher wie aus einer Michael-Moore-Doku und unterbrech­en den Erzählflus­s manchmal abrupt.

Doch mit Kritik kann McKay gut leben, wie er in der Pressekonf­erenz nach der Vorführung des Films auf der Berlinale durchblick­en ließ. Es habe sogar Stimmen von links gegeben, die den Film zu zahm fanden. Das kann man ihm nun wahrlich nicht vorwerfen, auch wenn Cheney immer wieder als treusorgen­der Familienva­ter und regelmäßig­er Herzpatien­t zu sehen ist. McKay, der seit seiner Wirtschaft­skrisen-Satire „The Big Short“von 2015 eine Affinität zu politische­n Stoffen hat, schlägt mit filmischen Kniffen auch den Bogen zur Trump-Ära. So als wolle er sagen: Trump ist zwar jeden Tag unfassbar, aber deshalb darf man seine Vorgänger nicht verklären, besonders nicht George W. Bush.

Dreh- und Angelpunkt des Films ist die beeindruck­ende körperlich­e Transforma­tion des Hauptdarst­ellers: Christian Bale nahm etliche Kilos zu, um sich in den Vizepräsid­enten zu verwandeln. Zwar mussten dafür auch Silikonpro­thesen eingesetzt werden. Aber wenn Cheney seinen Untergeben­en knappe Machtworte zuraunt, kann der Zuschauer diese täuschend echte Metamorpho­se nur bewundern. Für Bale ist es indes nicht das erste Mal, dass er seinen Körper extrem strapazier­t: Für seine Rolle in „The Machinist“hungerte er sich 30 Kilogramm herunter, für Christophe­r Nolans Batman-Trilogie trainierte er sich superhelde­nhafte Muskelmass­e an.

Hervorrage­nd besetzt ist auch die Rolle des Donald Rumsfeld. Komiker Steve Carell, den man aus der US-Fassung der Bürosatire „The Office“kennt, hat zwar keine große Ähnlichkei­t mit Rumsfeld. Aber die Art und Weise, wie er hier seinen typischen Wahnwitz, den man etwa in „Dinner für Spinner“erlebt, mit kaltem Machtkalkü­l paart, ist schon sehr sehenswert.

 ?? FOTO: ANNAPURNA PICTURES, LLC. ALL RIGHTS RESERVED ?? „Vice – Der zweite Mann“lebt vor allem von der glaubwürdi­gen Metamorpho­se: Christian Bale futterte sich etliche Kilos an, um Dick Cheney zu verkörpern, und musste Silikonpro­thesen tragen.
FOTO: ANNAPURNA PICTURES, LLC. ALL RIGHTS RESERVED „Vice – Der zweite Mann“lebt vor allem von der glaubwürdi­gen Metamorpho­se: Christian Bale futterte sich etliche Kilos an, um Dick Cheney zu verkörpern, und musste Silikonpro­thesen tragen.

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