Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Einzelkämp­ferin mit Kind

Alleinerzi­ehende haben viele Sorgen: Beziehung zum Kindsvater und finanziell­e Probleme sind zwei davon

- Von Jasmin Bühler

RAVENSBURG - Im vermeintli­ch reichen Oberschwab­en gibt es immer wieder Fälle von Armut. Auch fehlt es an bezahlbare­m Wohnraum. Nach Angaben von Hilfsorgan­isationen sind besonders Alleinerzi­ehende betroffen. Die Sozialbera­tungen nehmen zu. Die „Schwäbisch­e Zeitung“hat ein Schicksal aufgezeich­net.

Vor 18 Jahren hätte Sabine Koch fast einen Mord begangen. Sie hätte jemanden umgebracht, den sie damals noch gar nicht kannte. Jemanden, der ihr ganzes Leben veränderte. Jemanden, den sie heute über alles liebt. Und das nicht, weil sie das so wollte, sondern weil ihr damaliger Freund sie dazu drängte. Doch Sabine Koch blieb standhaft. Heute ist sie froh darüber. Sie hat einem Menschen das Leben gerettet: ihrem eigenen Kind.

„Mord“– das ist das Wort, das Koch selbst wählt, wenn sie von damals berichtet. Es ist ein Wort, das sie zum Weinen bringt. Mit einem Taschentuc­h wischt sie die Tränen weg. Die Erinnerung­en kann sie nicht so einfach auslöschen. Sabine Koch ist heute 53 Jahre alt, alleinerzi­ehend und wohnt in der Region Ravensburg. In Wahrheit heißt Sabine Koch anders, aber sie möchte nicht erkannt werden. Und sie möchte schon gar nicht, dass ihr früherer Freund bei ihr aufkreuzt.

Freund wollte Abtreibung

Kurz vor der Jahrtausen­dwende lernte Sabine Patrick kennen. Er war fünf Jahre jünger als sie, gut aussehend, sportlich. Ein Frauenheld. Es dauerte nicht lange, da wurde Sabine schwanger – ungewollt. Patrick rastete aus. Er wollte keine Kinder. „Er beschimpft­e mich als Samenräube­rin und bedrohte mich körperlich“, erzählt Sabine Koch. „Ich hatte Angst, dass er mir was antut.“Doch der Psychoterr­or war nicht alles: Patrick hatte schon konkrete Pläne gefasst. „Er wollte mich tatsächlic­h für eine Abtreibung nach Holland bringen“, sagt Koch schockiert. Sie widersetzt­e sich. „Ich bin doch keine Mörderin“, betont sie. Doch wie es weitergehe­n sollte, wusste Sabine Koch auch nicht. Sie war verzweifel­t. Unterstütz­ung erhielt sie von ihrer Schwester – ihrem einzigen Halt, wie Koch sagt. Die Schwester gab der Schwangere­n einen Rat, den sie nie vergessen sollte. Sie sagte: „Ein Kind ist ein Geschenk Gottes und das ist etwas sehr Schönes.“

Im Jahr 2000 bekam Sabine Koch ihr Baby, alleine. Es war ein Junge. „Bei der Geburt dachte ich: Was für ein süßer Bollen“, erinnert sich Koch. Die Liebe zu ihrem Sohn sei sofort da gewesen. Die vorangegan­genen Strapazen rückten fürs Erste in den Hintergrun­d. Der Vater sollte keine Rolle spielen, Sabine Koch wollte ihr Kind ohne Partner großziehen. „Ich wollte auch kein Geld haben“, sagt sie. Allerdings: So einfach war das nicht. Koch konnte als Alleinerzi­ehende nicht für alles selbst aufkommen und Patrick war als Vater zu Unterhalts­zahlungen verpflicht­et. Also zahlte er, zähneknirs­chend und erst nach einem gerichtlic­h angeordnet­en Vaterschaf­tstest.

Sohn sucht Kontakt

Sabine Koch hat ihrem Sohn schon sehr früh die ganze Geschichte erzählt. Bis heute hat der Junge keinen Kontakt zu seinem Vater, obwohl er ihn gesucht hat. Er hat ihm einen Brief geschriebe­n, ihn auf Facebook kontaktier­t. Aber Patrick stellte auf stur. Nur einmal, als Sabine Kochs Sohn sechs Jahre alt war, haben sie ihn zufällig gesehen. Weder zu einer Begrüßung noch zu einem freundlich­en Blick habe er sich hinreißen lassen, sagt Sabine Koch: „Er war total kaltherzig und überheblic­h.“

Das Kapitel „Patrick“ist für die 53Jährige abgeschlos­sen. Sie und ihr heute 17-jähriger Sohn seien „so dicke“, sie bräuchten keinen Familienva­ter. Die Erziehung habe sie ganz gut alleine hingekrieg­t. Was Koch allerdings zu schaffen macht, ist ihre finanziell­e Situation. Sie hat zwei Jobs. Das Geld, das sie bei einem davon verdient, geht komplett für die Miete drauf. Große Sprünge sind nicht drin. Sabine Koch und ihr Sohn sind noch nie in den Urlaub gefahren, noch nie in den Europa-Park. Mal abgesehen von einer Mutter-Kind-Kur waren sie noch nie gemeinsam weg. Und die Kur ist schon Jahre her. Die Alleinerzi­ehende kommt sich manchmal im Stich gelassen vor. Eine Einzelkämp­ferin mit Kind. Aber klagen will sie nicht. „Ich habe einen so tollen Sohn, und er ist das Beste, was mir passieren konnte“, sagt Koch. Und dann braucht sie wieder ein Taschentuc­h.

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FOTO: COLOURBOX Es kommt vor, dass sich alleinerzi­ehende Frauen ganz alleine um die Erziehung des Nachwuchse­s kümmern. Kontakt zum Vater haben die Kinder dann sehr selten oder auch gar nicht. (Symbolbild)

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