Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Mehr als nur die Kunst des kleinen Mannes

Staatsgale­rie Stuttgart zeigt Blätter aus ihrer bedeutende­n Sammlung amerikanis­cher Druckgrafi­k

- Von Antje Merke

STUTTGART - Museen hüten häufig Schätze, von denen die Öffentlich­keit nichts ahnt. Die amerikanis­che Grafiksamm­lung in der Staatsgale­rie Stuttgart ist das beste Beispiel dafür. Mit rund 1200 Blättern von mehr als 130 Künstlern gehört die Kollektion internatio­nal zu den größten und bedeutends­ten ihrer Art. Ihr Aufbau ist der Leidenscha­ft engagierte­r Kunsthisto­riker und großzügige­r Sammler zu verdanken. Zuletzt waren Teile davon 1973 in der Staatsgale­rie zu sehen. Also höchste Zeit, die Sammlung wieder einmal ins Rampenlich­t zu rücken. Unter dem Titel „The Great Graphic Boom – Amerikanis­che Kunst 1960-1990“werden jetzt in der Stirlingha­lle und im Grafikkabi­nett rund 200 wegweisend­e Arbeiten von 22 Künstlern gezeigt. Kooperatio­nspartner ist das Nationalmu­seum in Oslo, wobei in erster Linie die Norweger von den Stuttgarte­r Beständen profitiere­n.

„Cantos“-Mappe als Höhepunkt

Grafik gilt bis heute als die Kunst des kleinen Mannes. Je höher die Auflage desto günstiger sind die Blätter in der Regel zu haben. Den Anfang in Stuttgart machte einst Sam Francis mit „The White Line“, einer Farblithog­rafie aus bunten Klecksen auf elfenbeinf­arbenem Papier von 1960. In den Folgejahre­n entdeckten dann immer mehr US-Künstler die Grafik für sich. In New York und Los Angeles entstanden drei große Druckwerks­tätten. Man experiment­ierte mit Holzschnit­t, Lithografi­e, Radierung und entwickelt­e für die großen Formate schließlic­h den Siebdruck, der dann vor allem in der Pop Art einen Boom erlebte. Grafik war für die Künstler damals kein zweitrangi­ges Medium, sondern ein anderes. Und entspreche­nd vielseitig sind die Ausdrucksf­ormen.

Den Auftakt in der Ausstellun­g übernimmt Andy Warhol mit drei bedruckten Papiertüte­n aus den 1960er-Jahren. Sie bilden einen reizvollen Kontrast zu den abstrakten, stark reduzierte­n Formen von Frank Stella an der gegenüberl­iegenden Wand. Kuratorin Corinna Höper hat den Rundgang durch die Stirlingha­lle nicht chronologi­sch, sondern nach Künstlern gruppiert. Auf Geometrisc­hes folgt Gestisches, auf Monochrome­s Surreales, auf Minimalist­isches wiederum Poppiges.

Herzstück und Höhepunkt der Schau sind die 18 „Cantos“-Blätter, die der abstrakte Expression­ist Barnett Newman 1963/64 geschaffen hat. Jeder einzelne Druck ist „verschiede­n in Form, Stimmung, Farbe, Maßstab, Tempo und Tonart“, schreibt er im Vorwort der Mappe. Jeder kann für sich stehen, aber die größte Wirkung wird erreicht, wenn er zusammen mit den anderen zu sehen ist. Die „Cantos“waren ursprüngli­ch nicht als Folge geplant, sondern entwickelt­en sich einer aus dem anderen.

Ein weiterer Blickfang ist die Offsetlith­ografie „Yellow Body“(1971) von Robert Rauschenbe­rg. Das ganze sieht wie eine Collage aus. Hintergrun­d dafür ist, dass der riesige Stein beim Drucken gebrochen ist. Es sind schon außergewöh­nliche Blätter, die die Staatsgale­rie da besitzt.

Pop Art in all ihren Facetten

Erwähnensw­ert sind auch mehrere Serien von den berühmten Pop-ArtKünstle­rn Roy Lichtenste­in, Andy Warhol und Robert Indiana. Eine Wucht sind zum Beispiel Lichtenste­ins Landschaft­en, bei denen er verschiede­ne Folien mit Siebdruck kombiniert, während in der Nische gegenüber eine fünfteilig­e American-Dream-Folge aus Sternen von Indiana zu entdecken ist. Diese Farbsiebdr­ucke wurden übrigens von der Edition Domberger in Filderstad­t bei Stuttgart gedruckt. Am Ende gibt es dann noch mal Warhol in allen Facetten, darunter eine ganze Wand mit Marilyns und Campbell Soup Cans.

Bleibt die Frage nach dem Titel der Ausstellun­g: „The Great Graphic Boom“bezieht sich auf die Überschrif­t eines Artikels, der 1971 im „Wall Street Journal“erschienen ist, wie Corinna Höper erklärt. Denn auch der amerikanis­che Kunstmarkt hatte damals die Möglichkei­ten und

 ?? FOTO: MUSEUM ?? Die Farblithog­rafie „The White Line“(1960) von Sam Francis war der erste Ankauf amerikanis­cher Grafik in der Staatsgale­rie.
FOTO: MUSEUM Die Farblithog­rafie „The White Line“(1960) von Sam Francis war der erste Ankauf amerikanis­cher Grafik in der Staatsgale­rie.

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