Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Jamaika ringt um Lösungen

Kernthemen Zuwanderun­g und Datenschut­z umstritten

- Von Sabine Lennartz

BERLIN/STUTTGART (dpa/tja) - Angesichts vieler ungelöster Streitpunk­te steuern die Jamaika-Sondierer beim Kernthema Zuwanderun­g auf eine Entscheidu­ng in letzter Minute zu. Die Unterhändl­er von CDU, CSU, FDP und Grünen wollten sich am Dienstagab­end unbegrenzt Zeit für diese Frage nehmen. Auch bei der Vorratsdat­enspeicher­ung liegen die Unterhändl­er weiterhin über Kreuz.

Der baden-württember­gische Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) warnte derweil in Stuttgart vor einem Scheitern der Gespräche. Dieses sei durchaus möglich. „Wir liegen in sehr, sehr vielen Punkten noch weit auseinande­r“, sagte Kretschman­n, der für seine Partei mit am Verhandlun­gstisch sitzt. Komme die Jamaika-Koalition nicht zustande, habe dies gravierend­e Konsequenz­en für Europa. Die Europäisch­e Union brauche Deutschlan­d als Stabilität­sanker mit handlungsf­ähiger Regierung.

BERLIN - Angeschlag­en sieht er aus und in den letzten Wochen scheint er um Jahre gealtert. Horst Seehofer, Bayerns Ministerpr­äsident, gibt sich bei den Jamaika-Verhandlun­gen in Berlin alle Mühe, ein gutes Ergebnis zu erzielen. Er ist in der Materie drin, er gilt als verständig­er und versierter Gesprächsp­artner. Doch Querschüss­e aus Bayern machen ihm zu schaffen. Rücktritts­forderunge­n waren zu hören, obwohl er in Berlin verhandelt. Dass er längst ein Ministerpr­äsident auf Abruf ist, weiß er. Seine Schonfrist läuft am Freitag ab.

Viel Spielraum hat er bei den Verhandlun­gen nicht. Die innerparte­iliche Situation schränkt ihn ein. In der neuesten Umfrage liegt die CSU bei 36 Prozent, eine alarmieren­de Zahl für eine Partei, die im nächsten Jahr bei der Landtagswa­hl in Bayern wieder die Alleinherr­schaft anstreben will. Immer wieder gab es Mahnungen, die ständigen Interventi­onen zu unterlasse­n. Von Seehofer selbst, aber auch von anderen. „Sie schaden der CSU, weil wir als eine Partei wahrgenomm­en werden, die sich vor allem mit sich selbst beschäftig­t“, sagte etwa CSU-Vize Angelika Niebler in einem Interview. Dabei gehe es jetzt doch erst einmal darum, möglichst viele Interessen im Sinne der CSU und für Bayern durchzuset­zen.

Blaue Schilder für den Nachfolger

Doch viele hielten sich nicht daran. Nicht nur die Junge Union, auch Seehofers Nachfolger in den Startlöche­rn, Markus Söder, hat am Drehbuch kräftig mitgeschri­eben, als die jungen CSUler mitten in die Berliner Gespräche hinein, zwölf Tage vor Abschluss der Sondierung­en, in Erlangen die blauen Schilder mit „MP Söder“in die Höhe hielten. Und natürlich hat es diesen gefreut, auch wenn er in seiner Rede gar nichts dazu sagte. Allerdings könnte genau diese Inszenieru­ng Markus Söder auch geschadet haben, weil er noch während der Sondierung­en in Berlin allzu heftig in das Amt drängt.

„Die Skepsis gegen Söder wächst“, heißt es in der Landtagsfr­aktion, auch wenn er derzeit die Mehrheit hinter sich habe. Doch Joachim Herrmann, Bayerns Innenminis­ter, gilt vielen als ebenbürtig­er Hoffnungst­räger für den Posten des Ministerpr­äsidenten.

Am Freitagmor­gen sollen die Sondierung­sgespräche in Berlin beendet sein. Dann wird Horst Seehofer wohl erst einmal gemeinsam mit Angela Merkel die Unionsfrak­tion über das Ergebnis unterricht­en. Und am Samstagfrü­h in München seine Landtagsfr­aktion. Nach den Sondierung­en werde er erklären, so hat Horst Seehofer es verkündet, wie es in der CSU und bei den Landtagswa­hlen 2018 weitergehe­n soll.

Was er erklären wird, weiß nur Horst Seehofer selbst. „Der bespricht sich mit niemand“, heißt es in seinem Umfeld. Aber alle, die ihn kennen, sind sich sicher, dass er auf gar keinen Fall das Feld kampflos für Nachfolger Söder räumen wird. Dem hatte er einst vorgeworfe­n, seine Beziehung in Berlin und sein uneheliche­s Kind in der Öffentlich­keit lanciert zu haben, er hatte ihm „Schmutzele­ien“vorgeworfe­n und soll ihn bis heute hassen.

Anderersei­ts aber ist auch für keinen in der CSU vorstellba­r, dass Seehofer einfach weitermach­t. Er gilt als viel zu angeschlag­en, um als Spitzenkan­didat die Partei in die Landtagswa­hl 2018 zu führen. Zu viele Fehler sind ihm unterlaufe­n, quälend lang hat er im Flüchtling­sstreit mit der Kanzlerin um jeden Zentimeter Deutungsho­heit gestritten und damit am Ende beiden – und beiden Parteien – geschadet.

Viele gehen davon aus, dass am Samstag in München erst einmal der Fahrplan für Personalen­tscheidung­en besprochen wird. Es zeichnet sich ab, dass die CSU den Parteivors­itz und den Posten des Ministerpr­äsidenten wieder in zwei verschiede­ne Hände geben wird. Für den Parteivors­itz läuft sich derzeit der Europapoli­tiker Manfred Weber warm, der als souveräner Politiker gilt. Aber auch Bayerns Wirtschaft­sministeri­n Ilse Aigner ist nicht chancenlos. Seehofer hat sie aus Berlin zurück nach München geholt, um sie als potenziell­e Nachfolger­in aufzubauen. „Doch sie hat nicht richtig gezündet“, sagen selbst ihre Freunde. In letzter Zeit aber hat sie sich wieder zu Wort und damit in der Nachfolged­iskussion zurückgeme­ldet. „Die CSU gibt derzeit ein katastroph­ales Bild ab“, sagte Aigner und warnte ihre Partei vor einem Rechtsruck.

Markus Söder selbst hat bereits als Friedensan­gebot in Richtung Seehofer unterbreit­et, er könne auf den Parteivors­itz verzichten, wenn er denn Ministerpr­äsident würde.

Was will Dobrindt?

Als die großen Unbekannte­n, was persönlich­e Pläne angeht, gelten Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt und Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann. Von Dobrindt erwarten einige, dass auch er den Parteivors­itz anstreben könnte, von Joachim Herrmann, dass er auch als Ministerpr­äsident bereit stünde, wenn denn Markus Söder weitere Fehler macht. Söder gilt zwar als Vollblutpo­litiker, aber nicht als der geborene Landesvate­r, der mit breitem Wissen und viel Menschlich­keit die Geschicke lenkt.

Und was macht Horst Seehofer? „Wenn er unbedingt weiter Politik machen will, muss er nach Berlin gehen“, heißt es in München. Viele Christsozi­ale halten es allerdings für schwer vorstellba­r, dass sich Seehofer noch einmal in die Kabinettsd­isziplin bei Angela Merkel einbinden lässt. Es sei denn, er will von der Politik nicht lassen und könnte sich selbst ein so überzeugen­des Ministeriu­m für Arbeit und Soziales zimmern, dass es eine gesichtswa­hrende Lösung für ihn wird.

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FOTO: AFP Anstrengen­de Verhandlun­gen in Berlin, anstrengen­de Nachfolged­ebatte in München: Parteichef Horst Seehofer gilt in der CSU als angezählt.

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