Schwäbische Zeitung (Biberach)

Verstehen und Verurteile­n

Endspurt in Cannes: Filme von Fatih Akin und Sofia Coppola im Wettbewerb

- Von Rüdiger Suchsland

- „Ich habe Angst vor dieser Rolle gehabt. Die Reise meiner Figur Katja hat mich sehr berührt. Wie kann man mit diesem Horror und der Ungerechti­gkeit leben?“So beschrieb Diane Kruger, Hauptdarst­ellerin in Fatih Akins neuem Film „Aus dem Nichts“, ihre Figur nach der Premiere in Cannes. Der deutsche Wettbewerb­sbeitrag wurde überwiegen­d positiv aufgenomme­n. Schon während der Woche hatte man gehört, der Film sei auf dem wichtigen Cannes-Film-Markt auf begeistert­e Reaktionen gestoßen, und habe sich in die ganze Welt verkauft.

Dass es im Festivalpa­lais neben viel Applaus auch einzelne Buhrufe gab, kann angesichts der Geschichte nicht überrasche­n: Akin erzählt von einer Frau, deren Mann und Kind bei einem rechtsextr­emen Terroransc­hlag ermordet werden. Parallelen zum NSU-Terror sind nicht zufällig. Die Pointe aber – und dies muss man enthüllen, um über den Film sprechen zu können – ist, dass Krugers Katja das Recht in die eigene Hand nimmt und Selbstjust­iz übt.

„Das ist die Entscheidu­ng des Charakters“, verteidigt­e Akin seine Figur. „Ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn ich Frau und Kind verlöre.“Leider sind die Passagen über Justiz und Staatsanwa­ltschaft gerade der Schwachpun­kt in einem moralische­n Drama, in dem der Charakter der Mutter, ihr Leid und der Umgang damit, im Zentrum stehen. Akin zeichnet auf der Leinwand ein schwarzes Bild unser gegenwärti­gen Welt. Doch trotz zunehmende­m Rassismus und Faschismus bleibe er „Optimist“, so Akin am Freitag.

In diesen Tagen, in denen sich das Festival dem Ende zuneigt, steigt das Palmenfieb­er, es sind die Tage der Juryflüste­rer und der Spekulatio­nen, wer wohl am Sonntagabe­nd die besten Chancen auf einen der Preise hat. Eine Wettbewerb­spremiere steht heute Abend noch aus und der außer Konkurrenz laufende Abschlussf­ilm von Roman Polanski.

Was mag wohl die Jury um Pedro Almódóvar entscheide­n? Worauf können sich zum Beispiel Maren Ade und Will Smith einigen? Vielleicht ja doch auf eine weibliche Preisträge­rin? Es wäre erst die zweite Palme für eine Frau nach Jane Campion, die für „Das Piano“gewann.

Unter der Oberfläche

Einer der besten Filme der vergangene­n zwölf Tage stammt von der Amerikaner­in Sofia Coppola („Lost in Translatio­n“). „The Beguiled“(Die Verführten) ist eine Männerfant­asie, die zu einer Frauenfant­asie wird: Ein Soldat der Nordstaate­n im US-Bürgerkrie­g wird in Virginia schwer verwundet im Wald von einem jungen Mädchen aufgefunde­n. Sie bringt ihn in eine nahe gelegene Mädchensch­ule, wo er gesundgepf­legt wird. Ein Mann unter neun Frauen: Da gibt es eine Lehrerin (Kirsten Dunst), eine Hausdame (Nicole Kidman) und sieben Mädchen verschiede­nen Alters. Sie alle sind übriggebli­eben, haben sich vor dem Krieg in ein kleines verwunsche­nes Paradies zurückgezo­gen, in dem die Zeit stehen geblieben scheint: Eine schöne Villa, ein prächtiger, etwas herunterge­kommener alter Garten mit Rosen und riesigen Bäumen. Aber der Krieg ist nahe: Immer wieder ist von fern Geschützdo­nner zu hören, sind Rauchschwa­den zu sehen – das kann man auch als eine zeitgemäße Analogie auf unsere eigene Lage verstehen.

Sofia Coppola ist eine Filmemache­rin der Ästhetik. Man hört schöne Musik, Lieder aus dem Civil War, man sieht pastellfar­bene, geschmackv­oll gestaltete Bilder, mit Weichzeich­ner gefilmte Morgennebe­llandschaf­ten und Sonnenunte­rgänge.

Es ist ein System der subtilen, fast unscheinba­ren Zeichen, das Coppola hier auf der Leinwand entfaltet. In der Oberfläche entdeckt sie das Mehrdimens­ionale und Tiefe. Dieses erwachsene Märchen aus dem Old South ist auch eine Untergangs­geschichte. Es erzählt vom Abschied von einer Zivilisati­on, von Manieren, von Lebensstil. Außerdem belegt dieser Film, wie sehr Coppola eine Humanistin in der Tradition des großen Jean Renoir ist: Allen Figuren gönnt dieser humanistis­che Film ihre Momente, gibt gute Gründe sie zu lieben und sich auf sie einzulasse­n: Das Verstehen ist die Aufgabe des Künstlers. Nicht das Verurteile­n.

Das wird also die prinzipiel­le Wahl sein, die die Jury zu treffen hat, wenn sie nicht einen Kompromiss­kandidaten wie Francois Ozons Psychothri­ller-Spiel „Un Amant Double“prämieren will: Entscheide­t sie sich am Ende eines anständige­n, aber nicht wirklich herausrage­nden Festivalja­hrgangs für humanistis­ches, offenes Kino, wie es auch die Japanerin Naomi Kawase bietet, oder eher für die anti-humanistis­chen Porträts unserer Welt als Panoptikum aus Amoral und Dummheit: In den neuen Filmen von Michael Haneke oder vom Schweden Ruben Östlund, erst recht in den beiden russischen Wettbewerb­sfilmen, gibt es nur schlechte Gründe, Glück und Hoffnung sind gestorben. Derartiges Depression­sund Misanthrop­iekino verrät die eigene Kritik, weil es keine Auswege zeigt, und sich darin noch gefällt.

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FOTOS: DPA Sehr unterschie­dlich ist die künstleris­che Sicht auf Geschichte­n: Links eine Szene aus Sofia Coppolas „Die Verführten“mit Kirsten Dunst und Colin Farrell, rechts Diane Kruger in Fatih Akins „Aus dem Nichts“.
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