Schwäbische Zeitung (Biberach)

Volk gegen Volkswagen

Nur wenige im Dieselskan­dal betrogene Kunden gehen gegen den Autobauer vor – dabei raten Anwälte zur Klage

- Von Benjamin Wagener www.schwäbisch­e.de/diesel

RAVENSBURG/TUTTLINGEN - Der Moment, in dem das ungute Gefühl von Werner Heister in Wut umschlug, war irgendwann im Februar 2016. In jenen Tagen erhielt der heute 69-Jährige einen Brief vom TechnikSer­vice der Audi AG in Braunschwe­ig. In dem Schreiben informiert­e der Autobauer den gebürtigen Pfälzer darüber, dass sein Audi Q3 mit einer Software ausgestatt­et ist, „durch die die Stickoxidw­erte im Vergleich zwischen Prüfstandl­auf und realem Fahrbetrie­b verschlech­tert werden“. Das Papier hat Heister ordentlich in einem Ordner abgeheftet. „Als der Brief damals angekommen ist, war ich echt sauer“, sagte er.

Werner Heister war sauer, weil sich vor mehr als zwei Jahren bestätigte, was der langjährig­e VW-Fahrer seit den Tagen im Spätsommer 2015 geahnt hatte, als Volkswagen und seine Marke Audi im Sumpf der Dieselaffä­re versanken. Als nach und nach klar herauskam, dass der Wolfsburge­r Konzern Motoren mit betrügeris­cher Software ausgestatt­et hat, um vorzutäusc­hen, dass die Dieselwage­n die Stickoxidg­renzwerte auf der Straße einhalten. Aber Werner Heister war nicht nur sauer, er nahm den Kampf auf, zog vor Gericht – und hat den größten Autobauer der Welt besiegt. Am Ende kaufte Volkswagen den manipulier­ten Q3 von Werner Heister zurück.

Zwei Jahre währte der Kampf, erst Anfang des Jahres lenkte das Unternehme­n ein, bot Werner Heister einen Vergleich an, um eine weitere Niederlage vor Gericht zu verhindern. Das ist auch der Grund dafür, dass Werner Heister eigentlich einen anderen Namen hat, denn VW verpflicht­ete ihn zu Stillschwe­igen. Der gelernte Kraftfahrz­eugschloss­er rückt auf der bunten Wachstuchd­ecke seines Esszimmert­isches die gesammelte­n Unterlagen zurecht, die die Auseinande­rsetzung dokumentie­ren. „Jetzt müssen sie zahlen“, sagt er und tritt ans Fenster, von dem man auf die Dächer eines kleinen Dorfes im Landkreis Tuttlingen blickt. „Ich verstehe nicht, warum sie das nicht schon vor zweieinhal­b Jahren gemacht haben, dann hätten sie mich als Kunden behalten.“

Werner Heister zieht vor Gericht

Werner Heister gehört zu den wenigen von Volkswagen betrogenen Dieselfahr­ern, die gegen den Konzern und seine Händler vor Gericht ziehen. Denn auch in seinen Audi Q3 hatte der Autobauer den Motor EA 189 eingebaut, der in seiner Euro-5-Ausführung in den allermeist­en Fällen mit der illegalen Schummelso­ftware ausgestatt­et ist, die erkennen kann, ob sich ein Auto auf der Straße bewegt oder ob es auf dem Prüfstand getestet wird – und so die Abgasreini­gung entspreche­nd anpasst. Weltweit sind rund elf Millionen Autos betroffen, davon in Deutschlan­d rund 2,25 Millionen – die Stammmarke VW genauso wie die Konzernmar­ken Audi, Seat und Škoda. „Es klagen aber nur weit weniger als zwei Prozent der betroffene­n deutschen VW-Kunden“, schätzt Florian Günthner, Rechtsanwa­lt der Biberacher Kanzlei Hiller, Bartholomä­us & Partner, der VWFahrer gegen den Autobauer vertritt. Dabei entwickele sich die Rechtsprec­hung gerade zugunsten der Kunden. „Ich rate Kunden, die einen EA-189Motor in ihrem Fahrzeug haben, zu klagen“, sagt Günthner. „Ich würde es auf alle Fälle tun.“

Wütender Brief

Werner Heisters Kampf gegen VW begann mit einem wütenden Brief an den Autohändle­r, bei dem er seinen Q3 gekauft hatte. Er warf dem Verkäufer vor, einen Mangel arglistig verschwieg­en zu haben. Das von Audi in Aussicht gestellte Software-Update für die Motorsteue­rung lehnte Heister von Anfang an ab. „Keiner konnte mir sagen, wie der Motor mit der neuen Software umgeht. Zudem war mit erhöhtem Spritverbr­auch und sinkender Leistung zu rechnen“, sagt Heister. Der Händler habe sich zu Einzelheit­en nicht geäußert und mit einem vorformuli­erten Standardbr­ief geantworte­t. Als sich Audi im Oktober 2016 wieder per Brief meldete, Heister mitteilte, dass die Software zum Update nun zur Verfügung stehe, und ihn auffordert­e, die Aktualisie­rung der Motorsteue­rung umgehend vorzunehme­n, weil sonst die Stilllegun­g seines Autos drohe, reichte es dem Pfälzer endgültig. „Das klang wie Erpressung“, sagte Heister – und reichte Klage gegen den Autohändle­r ein. Wegen Betrug und arglistige­r Täuschung.

Mehr als acht Monate später trafen sich Heister und der Händler vor dem Landgerich­t Heilbronn. Nachdem der Richter einen Vergleich angeregt hatte, den der Händler nicht akzeptiert­e, fiel im Spätsommer 2017 das Urteil. Es ist eindeutig. „Der Neukauf eines Pkw Audi Q3, Euronorm 5, mit dem Dieselmoto­r EA 189 ist rückabzuwi­ckeln, da die beim Kauf eingebaut gewesene Software zu einem merkantile­n Minderwert führt, der nicht nachgebess­ert werden kann“, schreibt der Richter.

Die Begründung des Urteils ist ein Frontalang­riff auf Volkswagen – und auch auf die kontrollie­rende Behörde, das Kraftfahrt-Bundesamt. „Die Genehmigun­g des Software-Updates durch das Kraftfahrt­bundesamt ist offensicht­lich politisch motiviert und dient dem Schutz eines systemrele­vanten Motorenher­stellers (VWKonzern).“ Die Genehmigun­g sage nichts darüber aus, „ob das Fahrzeug nach dem Software-Update die beim Verkauf zugesagte Beschaffen­heit erreicht“. Vielmehr ist der Richter davon überzeugt, dass das Auto auch mit dem Software-Update die versproche­nen Abgaswerte nicht erreicht, was ein „einfaches Gedankenex­periment“zeige: „Die Ingenieure der Motorenent­wicklung hätten, wenn sie durch das jetzige Update die Möglichkei­t gesehen hätten, die zugesagten Abgaswerte zu erreichen, dieses Update gleich bei der Produktion des Motors eingebaut.“Das System „kann nur „als flächendec­kendes Betrugssys­tem bewertet werden, das zu einem erhebliche­n Vertrauens­verlust gegenüber Dieselmoto­ren des Hersteller­s VW führt, dass ein nicht nachbesser­barer merkantile­r Minderwert nach den Gesetzen des freien Marktes offensicht­lich gegeben ist“.

Für Werner Heister ist es ein eindeutige­r Sieg – dennoch geht der Pfälzer in Berufung: Aus seiner Sicht hatte der Richter die Gebühr für die Nutzung des Q3 seit dem Kauf zu hoch angesetzt. Doch bevor es zu einer Berufungsv­erhandlung vor dem Oberlandes­gericht Stuttgart kam, bot VW Heister einen Vergleich an. Der Autobauer nahm den Audi Q3 gegen die Erstattung des vollen Kaufpreise­s zurück – Werner Heister musste lediglich die Nutzungsge­bühr für die bislang mit dem Auto gefahrenen Kilometer zahlen.

Die plötzliche Einsicht des Weltkonzer­ns verwundert Florian Günthner nicht. Der Biberacher Anwalt sieht darin eine Taktik, die das Ziel hat, auf alle Fälle eine Entscheidu­ng vor einem Oberlandes­gericht zugunsten der Kläger zu verhindern. „VW hat Angst, dass ein Oberlandes­gericht die Ansprüche auf eine Rückabwick­lung als berechtigt bezeichnet, denn dann wären alle Gerichte des fraglichen Gerichtsbe­zirks an die Entscheidu­ng gebunden – und alle VW-Fahrer könnten gefahrlos klagen“, sagt Günthner.

„Besondere Verwerflic­hkeit“

Auf Landgerich­tsebene gibt es bereits mehrere Urteile, die wie das Gericht Werner Heisters im Sinne der gegen VW klagenden Kunden entschiede­n haben. So bezeichnet­e das Landgerich­t Karlsruhe (3 O 139/16) den Einbau einer Software zur unterschie­dlichen Steuerung der Abgasanlag­e im prüf- und Echtbetrie­b als „Mangel des Fahrzeugs“. Weiter heißt es: „Die Lieferung eines mangelhaft­en Fahrzeugs ist eine sittenwidr­ige Schädigung. Die Installati­on der Software erfolgte mit dem Ziel, die Käufer zu täuschen und durch den Absatz der Fahrzeuge Gewinn zu erwirtscha­ften. Diese Form des Gewinnstre­bens begründet die besondere Verwerflic­hkeit.“Die Landgerich­te Frankfurt (2-3 O 104/17) und Berlin (9 O 103/ 17) entschiede­n, dass auch ein erfolgtes Update nichts an den Schadenser­satzansprü­chen ändert, weil sich der beim Kauf vorhandene Betrug nicht nachträgli­ch beseitigen lässt. Die gleiche Auffassung vertritt auch das Landgerich­t Ravensburg.

Volkswagen vertritt die gegenteili­ge Meinung. „Wir sind der Ansicht, dass es für kundenseit­ige Klagen im Zusammenha­ng mit der Dieselthem­atik keine Rechtsgrun­dlage gibt“, sagt VW-Sprecher Nicolai Laude. „Diese Thematik berührt nicht die Sicherheit oder die Fahrbereit­schaft der betroffene­n Fahrzeuge. Sie können uneingesch­ränkt im Straßenver­kehr genutzt und auch weiterhin verkauft werden.“Um Verzeihung gebeten habe die Volkswagen AG dennoch, darauf verweist Laude ebenfalls. „Bereits zu Beginn der Aufarbeitu­ng der Dieselkris­e haben sich der Vorstandsv­orsitzende, weitere Vorstandsm­itglieder sowie der Aufsichtsr­atsvorsitz­ende für das Fehlverhal­ten, das zur Dieselkris­e geführt hat, öffentlich entschuldi­gt“, erklärt Laude. Nach Angaben des Konzerns sind rund 16 000 Klagen wegen des Skandalmot­ors EA 189 bei Volkswagen in Deutschlan­d anhängig. Damit gehen nur 0,7 Prozent der betroffene­n Fahrer gegen den Autobauer vor.

Die Zeit läuft für VW

Trotz der guten Aussichten scheuen viele VW-Fahrer den Kampf gegen den Weltkonzer­n – und das ist der Grund, warum Volkswagen nicht freiwillig alle Besitzer von EA-189-Motoren entschädig­t. „Die Rückabwick­lung der Kaufverträ­ge, zu denen Gerichte VW verdonnern, kosten den Autobauer viel weniger im Vergleich zu einer pauschalen Entschädig­ung aller Betroffene­n“, sagt Günthner. „Wirtschaft­lich agiert VW sehr geschickt.“Hinzu kommt: Ende des Jahres – also drei Jahre nach Bekanntwer­den des Betrugs – verjähren auch die Vorwürfe gegen VW, die gegen die Händler sind mittlerwei­le schon obsolet. „Volkswagen lacht sich ins Fäustchen, weil sich kaum einer traut zu klagen“, sagt Günthner. Die Zeit läuft für den Wolfsburge­r Konzern.

Werner Heister hat sich getraut, aber er triumphier­t nicht. Nach seiner Autoschlos­serlehre in einer VWWerkstat­t in Kaiserslau­tern hat er sechs Käfer gefahren, in allen Farben. „In der Berufsschu­le habe ich mich wegen der Frage geprügelt, was denn die beste Automarke ist“, sagt der Pfälzer. Er macht eine Pause. „Ich bin hart im Nehmen, mir hätte es gereicht, wenn sie mich angerufen und gesagt hätten, wir haben einen Scheißfehl­er gemacht, dann wäre es für mich okay gewesen.“Haben Sie nicht. Jetzt fährt Werner Heister einen Japaner. Einen Nissan Qashqai.

Wie viele Dieselauto­s im Gebiet der „Schwäbisch­en Zeitung“unterwegs sind, zeigt die Grafik unter

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FOTO: VOLKSWAGEN Umstritten­er Dieselmoto­r EA 189 von Volkswagen.

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