Schwäbische Zeitung (Biberach)

Schreibtis­ch im Netzwerk

Coworking Spaces sind Büro und Austauscho­rt zugleich – nicht nur für Einzelkämp­fer, sondern bald auch für reguläre Arbeitnehm­er

- Von Tobias Hanraths www.coworking.de, www.desmag.com

Auch Freiberufl­er gehen ganz gerne mal ins Büro. Für die Disziplin, für die gesellige Mittagspau­se oder schlicht, weil ihnen im Homeoffice die Decke auf den Kopf fällt. Für solche Fälle gibt es das Prinzip der Bürogemein­schaft, manche Freelancer richten sich auch im Lieblingsc­afé um die Ecke häuslich ein. Und andere gehen in einen sogenannte­n Coworking Space.

Das ist erstmal nichts anderes als ein Ort zum Arbeiten – meistens eine Art Großraumbü­ro voller Schreibtis­che, dazu ein paar unverzicht­bare Utensilien wie schnelles WLAN und eine vernünftig­e Kaffeemasc­hine. Im Gegensatz zur klassische­n Bürogemein­schaft sind Coworking Spaces aber deutlich flexibler. Wer will, kann hier zwar auch feste Arbeitsplä­tze mieten. Wer weniger bezahlen will, kann sich aber auch jeden Tag einfach einen neuen Platz suchen – und wer nur ab und zu kommt, kann oft wie im Fitnessstu­dio auch eine Zehnerkart­e kaufen.

Nicht nur nebeneinan­der arbeiten

Nur nebeneinan­der zu arbeiten, ist für richtiges Coworking aber eigentlich zu wenig. „Ein guter Coworking Space bietet mehr als einen Arbeitspla­tz“, sagt Carsten Foertsch, Herausgebe­r des Online-Magazins Deskmag. Ein Rahmenprog­ramm gehört für ihn ebenso dazu – Workshops oder Vorträge in der Mittagspau­se also zum Beispiel, oder Networking-Veranstalt­ungen nach Feierabend, manchmal sogar mit Freibier. „Schließlic­h geht es um Vernetzung und Austausch.“

Ein echtes Netzwerk statt einer Ansammlung von Schreibtis­chen – das ist auch für Stefan Rief die Kernidee des Coworking. Wichtig dabei: „In dieses Netzwerk kann ich so tief eintauchen, wie es gerade meinen Bedürfniss­en entspricht“, sagt der Forschungs­direktor für Organisati­onsentwick­lung und Arbeitsges­taltung am Fraunhofer-Institut Arbeitswir­tschaft und Organisati­on (IAO).

„Ich kann in diesem Netzwerk andere Leute kennenlern­en, ich kann mit jemandem zusammenar­beiten, und manchmal braucht man ja auch einfach nur jemanden für einen zweiten Blick“, sagt Rief. Im Idealfall findet man hier sogar Gleichgesi­nnte für Kooperatio­nen. Wer das nicht braucht oder will, kann aber genauso alleine vor sich hin werkeln. „Es hilft ja manchmal der eigenen Motivation, zu sehen, dass auch andere arbeiten müssen“, sagt Rief. „Das ist im Grunde wie früher in der Uni-Bibliothek.“

Kein reines Großstadtp­hänomen

Bei Kooperatio­nen hilft, dass in den meisten Coworking Spaces ganz unterschie­dliche Diszipline­n aufeinande­rtreffen. „Da findet sich so ziemlich alles, was mit der Kreativwir­tschaft verbunden ist“, sagt Foertsch. Programmie­rer hätten zwar oft den größten Anteil. „Von Architekte­n über Journalist­en bis zu Grafikdesi­gnern sind aber auch sehr viele andere Berufe dabei.“Ein reines Berlinoder Hamburg-Phänomen ist der Coworking Space nicht mehr, auch wenn die Dichte in den großen Städten und Ballungsrä­umen wie dem Ruhrgebiet natürlich am höchsten ist. Mittlerwei­le gibt es die Arbeitsnet­zwerke aber in fast allen deutschen Städten mit mehr als 200 000 Einwohnern, so Foertsch – und teilweise auch auf dem Land.

Der Ort bestimmt dabei maßgeblich, was ein Arbeitspla­tz kostet. Schließlic­h macht die Miete für den Coworking-Betreiber meist den Löwenantei­l der Kosten aus – München zum Beispiel ist tendenziel­l teurer als viele andere Städte. „In Berlin kann man bereits für monatlich 50 oder 100 Euro Mitglied in einem Coworking Space werden, aber ohne Platzgaran­tie“, nennt Foertsch Richtwerte. „Einen flexiblen Schreibtis­chplatz mit Rund-um-die-Uhr-Zugang erhält man für 200 bis 250 Euro, feste Plätze kosten meist 100 Euro mehr.“Tageskarte­n gibt es für 10 bis 25 Euro.

Reaktion auf Outsourcin­g-Welle

In Deutschlan­d existieren Coworking Spaces schon seit ein paar Jahren – genau wie in einigen anderen Ländern. „Interessan­t am Coworking ist, dass es so 2006 oder 2007 weltweit fast zeitgleich aufkommt“, sagt Rief. „Damals gab es die erste große Outsourcin­g-Welle im IT-Bereich und bei den Mediengest­altern – und damit auch den Bedarf nach einem institutio­nalisierte­n Arbeitspla­tz für diese Leute.“

Seitdem ist die Zahl der Tummelplät­ze für Kreative stetig gewachsen. Nach Angaben von Foertsch gibt es in Deutschlan­d gerade etwa 460 Coworking Spaces mit rund 31 000 Arbeitsplä­tzen – und es werden mehr. Denn inzwischen drängen auch in Deutschlan­d profession­elle Coworking-Ketten auf den Markt, mit besonders großen und schicken Räumen, viel Rahmenprog­ramm und zusätzlich­en Features wie Apps für die schnelle Buchung und die bequeme Vernetzung untereinan­der.

Und gerade diese neuen Platzhirsc­he zielen nicht mehr nur auf Freiberufl­er als Kunden. Sie heißen zum Beispiel Mindspace, Regus oder WeWork. „Wir sehen einen großen Wandel in der Art und Weise, wie Leute arbeiten wollen“, sagt Eugen Miropolski, Europa-Chef von WeWork. Und das gilt längst nicht mehr nur für Einzelkämp­fer: Gut 30 Prozent des Neugeschäf­ts von Wework stammen inzwischen von großen Unternehme­n.

Großuntern­ehmen springen auf

Die Firmen schicken dann zum Beispiel besonders innovative Abteilunge­n oder Teams, manchmal auch nur Einzelpers­onen oder Projektgru­ppen in die Coworking Spaces. Das hat gleich mehrere Gründe, wie Rief erklärt. Einmal geht es dabei um Inspiratio­n durch die hippe Umgebung. Anderersei­ts hat die kleine Exklave im Coworking aber auch einen praktische­n Nutzen – sinkende Projektlau­fzeiten nämlich, weil sich die Beteiligte­n in der Fremde mehr darauf konzentrie­ren können als im heimischen Büro.

Manche Großuntern­ehmen gehen deshalb sogar so weit, dass sie selbst Coworking Spaces einrichten – mit Hilfe von Firmen wie WeWork zum Beispiel – und diese dann für Externe öffnen. Das passiert wohl auch in der Hoffnung, dort zuerst Zugriff auf das nächste Millionen-Startup zu haben. Aber auch, um etwas Kreativitä­t und Flexibilit­ät in die eigenen vier Wände zu holen, wie Miropolski erklärt.

Ist die Zeit des ungestörte­n Arbeitens im Coworking Space für Freiberufl­er also vorbei? Verdrängen die Konzerne den Freelancer? Stefan Rief glaubt das eher nicht: „Der muss weiter dabei sein, sonst funktionie­rt das Prinzip nicht.“Stattdesse­n geht er eher davon aus, dass die Zahl der Coworking Spaces weiter wachsen wird – und damit auch die Vielfalt der Coworking-Kulturen. „Im Idealfall findet so jeder das, was er braucht.“(dpa)

Info Übersichts­karte Coworking Spaces in Deutschlan­d unter

Online-Magazin Desmag:

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FOTO: WEWORK/DPA In Ruhe arbeiten oder sich mit anderen Kreativen austausche­n: Coworking Spaces wie der von WeWork am Potsdamer Platz in Berlin bieten im Idealfall beides.

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