Schwäbische Zeitung (Biberach)

Kicken und Kaffeetrin­ken mit Rudi Dutschke

Dr. Hans-Jürgen Brunn aus Biberach erlebte die wilden 68er in Berlin

- Von Gerd Mägerle

BIBERACH - 50 Jahre danach sind die Proteste der 68er derzeit wieder in aller Munde. Bücher, Dokumentat­ionen – in Biberach sogar eine Sonderauss­tellung – befassen sich mit dieser Zeit. Einer, der vieles davon hautnah erlebt hat und sogar mit einigen der Protagonis­ten, darunter Studentenf­ührer Rudi Dutschke, in Kontakt kam, ist Dr. Hans-Jürgen Brunn. Der 76-Jährige, der heute in Biberach lebt, studierte 1967/68 Veterinärm­edizin an der Freien Universitä­t Berlin. „Es war Zeitgeschi­chte, die ich live miterlebt habe“, sagt er rückblicke­nd, auch wenn er sich mit den Zielen der Protestier­enden überhaupt nicht identifizi­eren konnte.

„Die 68er-Bewegung nahm ja bereits im Sommer 1967 ihren Anfang“, sagt Brunn, der gebürtig aus Mainz stammt. Nachdem der Student Benno Ohnesorg am Rande einer Demonstrat­ion gegen den Schahbesuc­h am 2. Juni 1967 erschossen wurde, sei es in der Folge immer wieder zu Demonstrat­ionen in Berlin gekommen. „Das Zentrum war damals der Bereich um den Kurfürsten­damm. In der Stadt waren jede Menge Medienvert­reter und die Protestler haben das natürlich genutzt, um sich in Szene zu setzen“, so Brunns Beobachtun­g. Ein besonderes Interesse der Medienleut­e habe auch der „Kommune 1“um Rainer Langhans und Uschi Obermaier gegolten. „Das war für die Medien ein tolles Thema mit provokante­n Fotos, aber es war auch viel Show dabei“, so Brunn.

Peinlich und anmaßend

Er selbst, Mitte 20, stand kurz vor dem Staatsexam­en, gehörte einer Burschensc­haft an und war konservati­v eingestell­t. Dass plötzlich „kluge Studenten“durch die Stadt liefen und pausenlos „Ho Chi Minh!“brüllten, habe er als peinlich empfunden, sagt Brunn. „Keiner von denen war jemals in Vietnam, keiner kannte diesen Mann.“Die USA seien von den Studentenf­ührern als Kriegsverb­recher stilisiert worden. „Gleichzeit­ig haben sie den Henry-Ford-Bau der Freien Universitä­t für ihre Protestver­anstaltung­en genutzt. Ein Gebäude, das von den USA gespendet wurde. Das hat für mich alles nicht zusammenge­passt“, sagt Brunn. Studenten im ersten oder zweiten Semester, die bei sogenannte­n Sit-ins von der Notwendigk­eit sprachen, die Ziele der Außerparla­mentarisch­en Opposition (APO) in alle Bereiche der Universitä­t zu übertragen, hielt er schlicht für anmaßend.

Dass Brunn dennoch immer wieder Kundgebung­en, Diskussion­en und Demonstrat­ionen besuchte, auf denen Dutschke oder die Philosophe­n Ludwig Marcuse, Jürgen Habermas oder Soziologe Ralf Dahrendorf sprachen, hatte für ihn vor allem etwas mit Unterhaltu­ng zu tun. „Ich war ja politisch interessie­rt und für mich war das besser als Kino.“

Dass er selbst mit einigen der prägenden Gestalten der Studentenp­roteste in Kontakt kam, hatte mit seinem Studienfac­h und einem Hund zu tun, genauer gesagt dem Dobermann des Kabarettis­ten Wolfgang Neuss. Neuss traf sich damals mit Dutschke und weiteren Studenten regelmäßig sonntags auf einem Fußballfel­d in der Studentens­iedlung in Berlin-Schlachten­see zum Kicken. Hans-Jürgen Brunn war immer mal wieder Zaungast – auch an dem Tag, als Neuss’ Dobermann in eine Scherbe getreten war. Brunn versorgte den Hund fachmännis­ch. „Kannst mitspielen“, hieß es daraufhin zu ihm – und so erlebte er Rudi Dutschke auch als Fußballer. „Der war gut, schnell und unheimlich aktiv – so wie er sich als Studentenf­ührer auch gebärdet hat“, erinnert sich Brunn. Den anschließe­nden politische­n Diskussion­en im Café konnte er hingegen nichts abgewinnen. „Ich bin nur mitgegange­n, weil Wolfgang Neuss die Zeche bezahlt hat“, sagt Brunn.

Als Dutschke am 11. April 1968 bei einem Attentat schwer verletzt wurde, hatte Brunn sein Examen bereits in der Tasche und Berlin den Rücken gekehrt. Zu weiteren Begegnunge­n kam es nicht mehr. „Ich sehe diese Zeit nicht negativ, ich kann allerdings auch nicht beurteilen, inwieweit sie die Gesellscha­ft wirklich verändert hat“, sagt er rückblicke­nd, „für mich ist sie ein Mosaikstei­nchen der Geschichte, die ich miterlebt habe.“

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FOTO: WILHELM BERTRAM/DPA Studentenf­ührer Rudi Dutschke bei einer Rede im Dezember 1967. „Für mich war das besser als Kino“, sagt Dr. Hans-Jürgen Brunn aus Biberach über die Proteste in Berlin.
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FOTO: MÄGERLE „Für mich ist sie ein Mosaikstei­nchen der Geschichte, die ich miterlebt habe“, sagt Dr. Hans-Jürgen Brunn über die Zeit der Studentenp­roteste in Berlin.

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