Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ombra della Sera im Illertal

Ausstellun­gseröffnun­g bei Bildhauer und Grafiker Josef Wehrle in Unteropfin­gen

- Von Roland Specker

UNTEROPFIN­GEN - Der italienisc­he Poet Gabriele d’Annunzio soll der berühmten etruskisch­en Bronze-Votivstatu­ette eines nackten Jünglings aus dem dritten Jahrhunder­t vor Christus den Namen „Ombra della Sera“, Abendschat­ten, gegeben haben. Sie ist heute im Museo etrusco in Volterra zu bewundern und wurde vor allem wegen ihres überdehnte­n und extrem schlanken Körpers berühmt. Die Figur gilt in der Kunstgesch­ichte als wichtige Vorlage für das bildhaueri­sche Werk des Schweizer Künstlers Alberto Giacometti. Den Namen Giacometti kann der Unteropfin­ger Künstler Josef Wehrle nicht mehr hören, schon zu oft wurde er als schwäbisch­er Giacometti charakteri­siert. Und so lauteten denn auch die Vorgaben von der Familie Wehrle für die Abfassung der Laudatio auf Josef Wehrle an die Bildhaueri­n Lioba Abrell: Nicht zu lange reden, nicht zu intellektu­ell werden, und vor allem nichts über Giacometti.

Der Bildhauer und Grafiker Josef Wehrle ist Mitglied im Berufsverb­and Bildender Künstler Allgäu/ Schwaben Süd, der zum neunten Mal die „Offenen Ateliers im Allgäu“ausrichtet­e, und aus diesem Anlass zum Besuch seines erweiterte­n und neu eingericht­eten Ateliers in seinem Bauernhof einlud. Wehrle ist 1943 in Unteropfin­gen geboren, auf dem Hof seiner Eltern und Großeltern aufgewachs­en und hat auch dort seine ersten künstleris­chen Arbeiten begonnen. Neben seiner Tätigkeit als Landwirt besuchte er die Berufsfach­schule in Oberammerg­au, wo er zum Holzbildha­uer ausgebilde­t wurde. Aber auch die Musik interessie­rte ihn, er sang im Chor mit und wurde lange Jahre sein Leiter; auch sportlich war er aktiv und wurde ein rekordverd­ächtiger Speerwerfe­r.

Zuerst im Bayerische­n bekannt

Inzwischen hat Wehrle seine Landwirtsc­haft aufgegeben und lebt ganz für und von seiner Kunst. Getreu dem Sprichwort, dass der Prophet im eigenen Lande nichts gilt, wurde er zuerst im bayerische­n Nachbarlan­d bekannt. Er stellte in Kempten, in Augsburg, in Marktoberd­orf, im Kloster Irsee und in München aus, namhafte Galerien – Galerie Lea in München, Stilgaleri­e in Wien, Galerie Schloß Mochental, Marc Decoene Fine Arts – wurden auf ihn aufmerksam und haben sein Oeuvre im Sortiment. Dann erschloss sich Wehrle auch das Illertal, die Nachbargem­einden bedachten ihn mit Aufträgen großer Bronzeplas­tiken, und so steht heute in fast jedem Ort „ein Wehrle“.

Um der steigenden Nachfrage nach seinem Werk gerecht zu werden und sein Schaffen auch angemessen präsentier­en zu können, hat Wehrle nun seine Ausstellun­gsfläche deutlich vergrößert. Im landwirtsc­haftlichen Hauptgebäu­de hat er über den Werkstätte­n einen großen Speicher zum Atelier stilvoll ausgebaut, ebenso sein altes Atelier im Nebengebäu­de.

Die Eröffnungs­veranstalt­ung war gut besucht, eine große „Fangemeind­e“verteilte sich im Hof und den beiden Ateliers. Johanna Schmid-Eiband sorgte mit ihrem gefühlvoll­en Cembalo-Spiel für den musikalisc­hen Rahmen, die Künstlerin Lioba Abrell hielt eine sehr persönlich­e und sympathisc­he Laudatio und Wehrle junior moderierte die Veranstalt­ung gekonnt unaufgereg­t.

Die überwiegen­de Zahl der Exponate sind kleinfigur­ige Menschen, einzeln und in Gruppen, grob aus Eisen geschmiede­t mit hageren Gesichtern und oft verwickelt­en Extremität­en, aber alle mit expressive­r, ausdruckss­tarker Gestik und Mimik. Diese Ikonografi­e erinnert an Auguste Rodin, der vor 140 Jahren die Gruppe „Bürger von Calais“geschaffen hat mit ähnlich ausdruckss­tarken Gesten, aber natürlich in ganz anderem Stil.

Neben diesen menschlich­en Figuren gibt es in den Galerien nur wenige andere Motive, die aufgesprun­genen Kastanien zum Beispiel aus Wehrles Frühwerk und natürlich die Kühe, immer wieder Kühe, aus Holz, Bronze und Eisen, eine Reminiszen­z an den bäuerliche­n Ursprung. Im grafischen Werk tauchen erstmals auch Portraits mit Buntstift-Kolorierun­g auf, eine wohltuende Variante in den gewohnten Bleistiftz­eichnungen. Einen ganz starken Eindruck hinterlass­en wenige abstrakte Eisenplast­iken, in denen das Eisen in reiner Form zur Wirkung kommt, ungebändig­t, roh, zerrissen, auf das pure Material reduziert.

Mit Hammer und Meißel

Jutta Beyer hat Josef Wehrle einmal sehr treffend beschriebe­n: „Die Augen und die Hände sind es, die an Josef Wehrle als Erstes auffallen. Die tiefliegen­den Augen scheinen alles aufsaugen zu wollen, und die großen, kraftvolle­n Hände im gleichen Maß alles anfassen, begreifen. Alles, was Josef Wehrle aufnimmt und rezipiert, dem gibt er mit Hammer und Meißel wieder Gestalt.“

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FOTO: ROLAND SPECKER Josef Wehrle in seiner neuen Galerie.

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