„Wir wollen, dass Zuckerberg zu uns kommt“
EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani besteht auf einer Anhörung des Facebook-Chefs
BOCHUM - Seit Januar 2017 ist der Italiener Antonio Tajani als Nachfolger von Martin Schulz Präsident des Europaparlaments und somit einer der wichtigsten Politiker in der Europäischen Union. Im Gespräch mit Sebastian Heinrich sagt Tajani, Mitbegründer der Partei „Forza Italia“um Ex-Premier Silvio Berlusconi, wie er die EU näher an die Europäer rücken will – und warum er Berlusconi für den letzten großen Staatsmann Italiens hält.
Herr Tajani, der Facebook-Datenskandal bewegt Millionen Europäer. In der vergangenen Woche hat der US-Kongress Facebook-Chef Mark Zuckerberg befragt. Sie haben ihn ins Europäische Parlament vorgeladen. Vergangene Woche haben sich dann alle Fraktionsvorsitzenden im EU-Parlament ihrer Initiative angeschlossen. Wann sehen wir Herrn Zuckerberg im EUParlament?
Die Nummer zwei von Facebook, Sheryl Sandberg, hatte angeboten, schon diese Woche selbst ins Parlament zu kommen. Wir – also die Fraktionschefs und ich – haben aber dankend abgelehnt und gesagt, dass wir mit Herrn Zuckerberg persönlich reden wollen. Mit meinem Kabinett habe ich bei einem weiteren Treffen von europäischen Facebook-Vertretern nochmals darauf bestanden, wie wichtig es für uns als EU-Parlament und auch für Facebook selbst ist, dass Zuckerberg selbst vor den zuständigen Ausschüssen aussagt. Ich habe meine Einladung diese Woche erneuert.
Das hört sich nach einer guten Chance dafür an, das Parlament in den Augen der Europäer aufzuwerten. Für viele Bürger sind die EU-Institutionen sehr weit weg, gewisse Politiker verwenden „Brüssel“und „Eurokraten“als Schimpfwörter. Was wollen Sie als Parlamentspräsident dafür tun, dass die EU näher an die Menschen rückt?
Genau das ist das Ziel meiner Arbeit, seit ich zum Präsidenten gewählt wurde. Erstens veranstalten wir einmal pro Monat ein „Bürgerparlament“zu einem bestimmten Thema. Nächste Woche Mittwoch wird sich alles um die Digitalisierung drehen. Wir laden da bis zu 1000 Menschen ein, um über die großen Themen zu reden. Zweitens rücken wir das Parlament stärker in die Öffentlichkeit, indem wir alle EU-Regierungschefs zu uns einladen. Und zwar nicht für Sonntagsreden, sondern um mit den Abgeordneten zu debattieren. Der französische Präsident Macron war ja am Dienstag da, Frau Merkel kommt im November. Die Ergebnisse dieser Arbeit sieht man. Das Eurobarometer 2017, die Umfrage zum Ruf der EU-Institutionen bei den Europäern, hält fest, dass die Zufriedenheit mit dem EU-Parlament um acht Prozent gestiegen ist.
Sie sprechen sich immer wieder dafür aus, dass Ihr Heimatland Italien eine größere Rolle in der EU spielt – und Frankreich und Deutschland nicht mehr so stark dominieren. Wie kann die künftige italienische Regierung das schaffen?
Sie muss in Europa glaubwürdig sein.
Was wollen Sie damit konkret sagen?
Ich meine, dazu braucht sie eine seriöse Haushaltspolitik. Flexibilität kann die Regierung in Rom verlangen, wenn es um Investitionen in die Infrastruktur geht oder darum, Schulden der öffentlichen Hand bei privaten Unternehmen zurückzuzahlen – aber nicht, um die laufenden Ausgaben zu steigern.
Wollen Sie damit sagen, bei den letzten sozialdemokratisch geführten italienischen Regierungen hat die Seriosität gefehlt?
Ich glaube einfach, Europa braucht mehr Italien und mehr Spanien. In Italien hört man immer wieder: Am Ende entscheidet doch Merkel. Ich sage dann immer: Naja, Merkel ist deutsche Kanzlerin und tritt für deutsche Interessen ein. Das Problem liegt in Italien. Die Regierung muss sich in Europa stärker einbringen.
Meinen Sie, dass Frau Merkel auch mehr Italien in Europa will?
Ich glaube schon. Wenn es für Berlin in Italien seriöse Ansprechpartner gibt, dann ist Italien der beste Verbündete Deutschlands. Schauen Sie sich doch den italienischen Industrieverband Confindustria und den BDI an: Die treffen sich jedes Jahr in Bozen und erarbeiten eine gemeinsame Strategie. Das beweist doch, dass Italien und Deutschland die gleichen Interessen haben. Wir sind beide Industrienationen.
Die Parlamentswahl in Italien ist jetzt anderthalb Monate her. Immer noch ist unklar, wer die nächste Regierung anführt. Kann ein Kabinett unter Führung der FünfSterne-Bewegung ein seriöser Ansprechpartner sein?
Das Problem ist ihr Programm. Mit dem Bürgereinkommen, das die Fünf Sterne wollen, löst man keines der italienischen Probleme. Italien braucht eine moderne Industriepolitik, gerade für den Süden. Die Unternehmen müssen wieder an Kredite kommen.
Was ist mit Ihrer Partei, der Forza Italia um Silvio Berlusconi? Sie haben der „Welt“in einem Interview vor ein paar Monaten gesagt, Berlusconi sei „Italiens letzter großer Staatsmann“gewesen. Das sehen viele Deutsche – und viele Italiener – anders. Was antworten Sie denen, die sagen, Berlusconi habe als Premier Italiens Ruf ruiniert?
Ich bin von meinem Satz nach wie vor überzeugt. Ich denke heute, in Zeiten des Populismus, sehen viele die Dinge anders. Italien war zu Berlusconis Zeiten immer pro-europäisch. Berlusconi war immer an der Seite der USA und für die Nato. Beim Nato-Gipfel 2002 in Pratica di Mare haben sich Wladimir Putin und USPräsident George W. Bush die Hand gegeben, Russland wurde damals Nato-Partner. In der Außenpolitik ist Forza Italia heute die einzige glaubwürdige pro-europäische Kraft.
Sie selbst waren ja bei den Parlamentswahlen in Italien der Spitzenkandidat von Forza Italia. Was machen Sie, wenn Berlusconi Sie morgen anruft und bittet, in die Regierung zu gehen?
Stand jetzt möchte ich mein Mandat als Parlamentspräsident erfüllen, das noch bis 2019 läuft.
Durch Europa gehen heute tiefe Risse: zwischen Norden und Süden bei der Haushaltspolitik, zwischen Westen und Osten bei der Flüchtlingspolitik. Wie kann die EU die kitten?
Erstens brauchen wir im europäischen Haushaltsrahmen Mittel für den Kohäsionsfonds für strukturschwache Regionen und für die Einwanderungspolitik. Zweitens einen Marshall-Plan für Afrika, der Fluchtursachen bekämpft. Drittens ein Programm, das die Jugendarbeitslosigkeit vor allem in Südeuropa bekämpft. Bei der Haushaltspolitik glaube ich nicht so sehr an Austerität mit Strafen für bestimmte Staaten – sondern mehr an seriöse Politik, mit der sich die Regierungen nicht Wählerstimmen beschaffen, sondern die Probleme lösen.