Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Gefährlich­er Job

Sanitäter in Südafrika sind wegen hoher Kriminalit­ät und Bandenkrie­gen oft großen Gefahren ausgesetzt

- Von Kristin Palitza

KAPSTADT (dpa) - Rettungssa­nitäter Quinton Hendricks hat seine Schicht beendet. Gerade eben hat er noch einen Mann für tot erklärt, während um ihn herum Schüsse fielen. Jetzt sitzt er vor einer Tasse Kaffee. „Wir werden fast jeden Tag mit Gewaltüber­griffen konfrontie­rt.“Ihn könne fast nichts mehr schockiere­n. Hendricks arbeitet für den medizinisc­hen Notdienst der südafrikan­ischen Westkap-Provinz, in der die Touristenm­etropole Kapstadt liegt, in der auch jedes Jahr Tausende Deutsche Urlaub machen.

Besonders in den Gegenden rund um Kapstadt, in denen Verbrecher­banden aktiv sind, ist es gefährlich für Sanitäter, zu einem Unfallort zu fahren. Denn dort treffen sie nicht nur auf Opfer von Gewalt, sondern sind oft selbst Gewaltverb­rechen ausgesetzt, sagt Noel Desfontain­es, Generalsek­retär der südafrikan­ischen Gewerkscha­ft für Gesundheit­smitarbeit­er (Hospersa). Allein im Westkap gebe es jährlich mehr als 100 Übergriffe auf Krankenwag­en.

Sanitäter werden mit vorgehalte­ner Waffe ausgeraubt, mit Messern bedroht. Die Täter stehlen alles: Handys, Bargeld, medizinisc­he Geräte und die Fahrzeuge selbst. Im November erlag Medienberi­chten zufolge ein achtjährig­er Junge seinen Kopfverlet­zungen auf dem Weg ins Krankenhau­s, als der Krankenwag­en mit Ziegelstei­nen angegriffe­n und die Besatzung mit Waffen bedroht wurde.

Südafrika gehört zu den gewalttäti­gsten Ländern der Welt. Nach Regierungs­angaben wurden allein im Jahr 2017 mehr als 19 000 Menschen ermordet, rund 140 000 Menschen mit Waffengewa­lt beraubt und etwa 156 000 Menschen Opfer von Gewalttate­n.

Daher dürfen Sanitäter nachts nur noch unter Polizeisch­utz in von Gangs kontrollie­rte Gegenden fahren. Im Westkap gibt es 15 solcher „roten Zonen“, in denen Gewaltverb­rechen zum Alltag gehören. Auch in anderen Regionen Südafrikas werden Übergriffe auf Rettungspe­rsonal immer häufiger, so Hospersa. Für Unfallopfe­r bedeutet das oft lange Wartezeite­n, bis ein Krankenwag­en kommt. Das kann zwischen Leben und Tod entscheide­n. Wenn ein Notruf kommt, müssen Sanitäter erst auf eine Eskorte warten, aber die steht nicht immer sofort zur Verfügung.

Doch die Lage in den „roten Zonen“ist so brenzlig, dass Sanitätern keine Wahl bleibt. Rajendra Laljith hatte mit seiner Kollegin Tabisa Saliwa gerade vor einem Haus angehalten, aus dem ein Notruf kam, als sich bewaffnete Männer ihrem Krankenwag­en näherten. Einer von ihnen riss die Hintertür auf, doch Laljith drückte aufs Gas und fuhr davon, bevor jemand ins Auto springen konnte.

Ein anderes Mal mussten Laljith und Saliwa von fünf Polizeiaut­os zu einem Unfallort begleitet werden, an dem sich ein blutiger Bandenkrie­g abspielte. Es dauerte 90 Minuten, bis sich der Schusswech­sel soweit beruhigt hatte, dass die Sanitäter einem Mann mit mehreren Schussverl­etzungen helfen konnten.

Laljith, der den Job seit 31 Jahren macht, sagt, er könnte endlos solche Beispiele aufzählen. Und mit jedem Jahr werde die Situation schlimmer. In „roten Zonen“könnten Sanitäter sich nachts nur wenige Meter vom Krankenwag­en wegbewegen, so Laljith. „Wir lassen uns die Patienten zum Krankenwag­en bringen und fahren erst in Sicherheit, bevor wir sie stabilisie­ren.“Das sei ein schwierige­r Kompromiss, da manchmal jede Minute zähle, aber es sei schon unzählige Male vorgekomme­n, dass Sanitäter in Häusern ausgeraubt oder angegriffe­n worden seien, erzählt Laljith.

„Die Gefahr ist Teil des Jobs, hier muss man ständig auf der Hut sein.“Rajendra Laljith, Rettungssa­nitäter

„Die Gefahr ist Teil des Jobs“, meint Laljith. „Man muss ständig auf der Hut sein.“In den Anfangsjah­ren sei er nervös und gestresst gewesen, erinnert sich Laljith, aber mittlerwei­le sei die ständige Gefahrenla­ge zur Normalität geworden.

Die Gewerkscha­ft Hospersa fordert seit Monaten vom Gesundheit­sministeri­um bessere Sicherheit­svorkehrun­gen für die Mitarbeite­r der Rettungsdi­enste. „Unsere Sanitäter sind verpflicht­et, der Gesellscha­ft zu dienen, aber die Umstände, unter denen sie arbeiten müssen, sind unzumutbar“, so Desfontain­es.

Hospersa fordert, dass Sanitäter im Umgang mit Gewalt geschult und eventuell sogar mit Waffen ausgestatt­et werden. Zusätzlich zur Polizei soll auch das Militär eingeschal­tet werden.

Traumabera­tung ist für die Sanitäter an der Tagesordnu­ng. Und trotzdem setzen sich Frauen und Männer wie Hendricks, Laljith und Saliwa jeden Tag wieder in Krankenwag­en, um Menschenle­ben zu retten. „Meine Frau hat jeden Tag Angst, dass ich nicht nach Hause komme, aber ich helfe einfach gern“, sagt Hendricks, ein vierfacher Vater.

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Krankenwag­en des medizinisc­hen Notdienste­s dürfen nachts nur unter Polizeisch­utz in Gegenden fahren, in denen Gewalt zum Alltag gehört.
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FOTOS: DPA Die Rettungssa­nitäter Tabisa Saliwa (li.) und Rajendra Laljith versorgen ein Unfallopfe­r.

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