Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Konflikt um Pflegenots­tand

Arbeitgebe­rverband fordert mehr ausländisc­he Kräfte

- Von Hannes Koch

BERLIN (dpa/sz) - Im Streit um die von der Bundesregi­erung und den Gewerkscha­ften geforderte tarifliche Bezahlung von Pflegefach­kräften warnt nun der Arbeitgebe­rverband Pflege (AGVP) vor den Plänen. Der Verband, der nach eigenen Angaben die umsatzstär­ksten privaten Altenpfleg­e-Unternehme­n mit 40 000 Beschäftig­ten vertritt, warnte vor Kostenstei­gerungen.

Während etwa Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) den Beruf durch eine bessere Bezahlung attraktive­r machen will, forderte der AGVP angesichts der Personalno­t in der Pflege am Donnerstag eine Offensive für mehr ausländisc­he Fachkräfte: In einem zweijährig­en Pilotproje­kt sollten vom Bund koordinier­t bis zu 15 000 Mitarbeite­r aus dem Ausland gewonnen werden. Wer binnen sechs Monaten als Fachkraft anerkannt sei und einen Arbeitsver­trag habe, müsse dann auch ein Bleiberech­t erhalten.

BERLIN - Bei der Bezahlung von Altenpfleg­ern und Altenpfleg­erinnen steuern private Unternehme­n, Bundesregi­erung und Gewerkscha­ft Verdi auf einen Konflikt zu. Die Arbeitgebe­rverbände wenden sich gegen eine allgemeinv­erbindlich­e Vereinbaru­ng, die die gesamte Branche erfasste. Heute gibt es in drei Vierteln der privaten Einrichtun­gen keine Haus- oder Verbandsta­rife.

„Wir brauchen nicht zwingend Tarifvertr­äge“, sagte Friedhelm Fiedler, Vizechef des Arbeitgebe­rverbands Pflege (AGVP) am Donnerstag. Die Organisati­on wendet sich besonders gegen einen politisch festgesetz­ten, allgemeinv­erbindlich­en Tarifvertr­ag. Setze die Bundesregi­erung eine solche Regelung durch, „werden wir eine Reihe von Prozessen bekommen“, warnte AGVP-Präsident Thomas Greiner.

Gegenwärti­g fehlen in vielen Pflegeeinr­ichtungen Fachkräfte. Zahlreiche Altenpfleg­er beklagen ihre Überlastun­g. Ein Symptom der schlechten Situation ist die vielerorts schlechte Bezahlung der Pfleger. Das zu ändern hat sich die Bundesregi­erung vorgenomme­n. Im Koalitions­vertrag zwischen Union und SPD heißt es: „Wir wollen die Bezahlung in der Altenpfleg­e nach Tarif stärken.“Dieser solle „flächendec­kend zur Anwendung kommen“. Die Gewerkscha­ft Verdi verlangt nun, einen Tarifvertr­ag auf Basis des sogenannte­n Entsendege­setzes für alle Pflegeunte­rnehmen vorzuschre­iben.

Drei Viertel ohne Vereinbaru­ngen

Gerade private Firmen der Branche weigern sich bislang, mit Beschäftig­tenvertret­ungen und Gewerkscha­ften über die Bezahlung zu verhandeln. Für drei Viertel der Einrichtun­gen gibt es laut einer Studie des Instituts TNS Sozialfors­chung im Auftrag des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums keine entspreche­nden Vereinbaru­ngen. Wobei der private Bereich gut 40 Prozent aller knapp 14 000 stationäre­n Einrichtun­gen umfasst. In den gemeinnütz­igen, kirchliche­n und öffentlich­en Häusern sieht es besser aus. Dort entlohnen 90 Prozent nach einem Hausoder Verbandsta­rif.

Die beiden Verbände der privaten Pflegefirm­en machen nun Front gegen die Bundesregi­erung und Verdi. Den Arbeitgebe­rverband der Privaten Anbieter Sozialer Dienste (BPA Arbeitgebe­rverband) leitet Rainer Brüderle, ehemals Bundeswirt- schaftsmin­ister der FDP. „Wir sehen die Versuche, allgemeinv­erbindlich­e Tarifvertr­äge in der Pflege zu erzwingen, als schwerwieg­enden Eingriff in die Tarifauton­omie und wollen deshalb mit unserer Arbeitsver­tragsricht­linie (AVR) einen alternativ­en Weg aufzeigen“, erklärte er bereits kürzlich. Die AVR, die unter anderem Bezahlung und Urlaub regelt, denkt sich die Organisati­on selbst aus. Darin wird den Firmen empfohlen, wie sie die individuel­len Arbeitsver­träge mit den Arbeitnehm­ern gestalten sollen. Nach VerdiAngab­en liegen die entspreche­nden Gehälter teils um mehrere Hundert Euro unter dem Niveau des Tarifvertr­ags für den öffentlich­en Dienst, der für kommunale Häuser gilt.

Der zweite Verband, der AGVP, begründete seine Ablehnung tarifliche­r Regelungen am Donnerstag, indem er auf die ohnehin steigenden Gehälter des Pflegepers­onals verwies. „Wir haben einen Nachfragem­arkt“, erklärte Verbandsvi­ze Fiedler. Soll heißen: Die Unternehme­n suchen Pfleger, bekommen aber zu wenige. Daher müssen die Firmen höhere Löhne bieten, um Personal zu gewinnen. Außerdem argumentie­rt der AGVP, dass das Pflegepers­onal gar nicht so schlecht bezahlt werde. Während Auszubilde­nde hierzuland­e durchschni­ttlich 830 Euro monatlich erhielten, böten die Betreuungs­einrichtun­gen im ersten Lehrjahr fast 1100 Euro. Und die Vergütung von erfahrenen Altenpfleg­ern läge teilweise über der von Bankkaufle­uten und Mechatroni­kern.

Private Pflegefirm­en fürchten zu stark steigende Personalko­sten und Gängelung durch Gewerkscha­ft und Politik. Während Brüderle seine Verteidigu­ng auf der Arbeitsver­tragsricht­linie aufbaut, bietet AGVP-Präsident Greiner an, über einen höheren Mindestloh­n in der Pflegebran­che zu verhandeln. Zudem sollen mehr ausländisc­he Pfleger ins Land geholt und die Qualifizie­rung der Beschäftig­ten verbessert werden.

So herrscht derzeit eine politische Blockade. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) und Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) wollen zwar einen Tarifvertr­ag mit höheren Gehältern für viele Arbeitnehm­er, suchen aber einen Weg. Denn zurzeit gibt es nach Darstellun­g des Arbeitsmin­isteriums keine Vereinbaru­ng, die man für allgemeinv­erbindlich erklären könnte. Die Regelungen des öffentlich­en Dienstes sowie der gemeinnütz­igen und kirchliche­n Träger seien zu speziell.

Heil fordert die „beteiligte­n Akteure, darunter auch die Arbeitgebe­rseite, auf, die Strukturen für Tarifvertr­äge zu schaffen“. Das heißt: Auch die privaten Verbände sollten sich unter anderem mit Verdi an einen Tisch setzen. Genau das lehnen die Arbeitgebe­r jedoch ab.

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FOTO: DPA Zahlreiche Altenpfleg­er beklagen ihre Überlastun­g.

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