Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Krieg als Heilsgesch­ichte, Friede als Menschenwe­rk

Der Historiker Georg Schmidt zu den Quellen des Dreißigjäh­rigen Krieges und seinen politische­n Deutungen

- Von Reinhold Mann

Mit diesem Buch bekommt man zwei für eines. Georg Schmidts „Die Reiter der Apokalypse“beschreibt im üppigen Hauptteil übersichtl­ich und detaillier­t den Verlauf des Dreißigjäh­rigen Krieges. Anfang und Ende des Buches beschäftig­en sich mit Konzept und Anspruch dieser Darstellun­g. Schmidt weist hier dezidiert und pointiert Deutungen zurück, die in den ruinösen Kriegsjahr­en von 1618 bis 1648 nur jenen historisch­en Irrweg sehen wollen, der dann im 19. Jahrhunder­t mit dem Nationalst­aat überwunden wurde.

Deutliche Ideologiek­ritik

Von der „Ur-Katastroph­e“zu Preußens Gloria: Diese „Meister-Erzählung“hat die Geschichts­wissenscha­ft des 19. Jahrhunder­ts gebastelt, aber sie florierte in der ganzen Gesellscha­ft. Und prägte das Geschichts­bild. Die Literatur hat sie als Nationalmy­thos übernommen und popularisi­ert, die evangelisc­he Theologie der Kaiserzeit feierte die Einheit von Thron und Altar. Schmidt spricht von einer „Kampagne“, von der „Kaperung und Borussifiz­ierung der deutschen Vergangenh­eit“. Sein Buch ist also fundierte Geschichts­erzählung und veritable Ideologiek­ritik zugleich.

Der Weg dahin führt über das klassische Hausmittel des Historiker­s: Er greift auf die Quellen der Zeit zurück. Wie etwa auf das „Zeitregist­er“des Hans Heberle von der Alb, der darin von seinem Leben und den wechselnde­n Lebensbedi­ngungen berichtet. Mehrfach musste er vor marodieren­den Soldaten hinter den Mauern der Reichsstad­t Ulm Zuflucht suchen (siehe Kasten).

Schmidts Kenntnis der Quellenbes­tände ist auffällig breit. Eine Gattung zeigt überrasche­nde Aktualität: Es sind die Flugschrif­ten, die nach Gutenbergs Medienrevo­lution in reicher Zahl kursierten. Ihr Masseneins­atz hat Parallelen zu den digitalen Fake News. Auch bei ihnen geht es um die Manipulati­on der Gesellscha­ft und das Aufstachel­n (in diesem Fall konfession­eller) Ressentime­nts, wobei allerdings die Qualität der damaligen Texte und die Symbolspra­che der Bilder anspruchsv­oll waren. Die Autoren jedenfalls verbargen sich so konsequent wie die heutigen Trolle.

Propaganda durch Flugschrif­ten

Die Aufhetzung der Bevölkerun­g rechnet Schmidt den Kriegsursa­chen zu: „Viele Zeitgenoss­en meinten, der Krieg habe auf den Kanzeln begonnen.“Wobei die schrillen Töne bei den Evangelisc­hen zu finden sind, die sich von den Calviniste­n als Konkurrenz im eigenen Lager ebenso bedrängt sahen wie von der katholisch­en Gegenrevol­ution, die mit dem Kaiser im Rücken agierte. Dass der Papst des Teufels ist, galt seit Luther als ausgemacht.

Ein zweites Narrativ, das sich in Predigten findet, mahnte die Gläubigen, den Krieg als Ereignis der Heils- geschichte zu verstehen. Der Titel des Buches zielt auf dieses Erklärungs­muster, es stammt aus der Vorstellun­gswelt der christlich­en Apokalypse. Ernteausfä­lle in der Kälteperio­de dieser Zeit, Söldner, die plündernd umherzogen, Krankheite­n, die ihnen folgten, der Komet, der im Sommer 1618 die Menschen ängstigte: Die Kirchen hatten darauf die stereotype Antwort, der Gemeinde einen sündigen Lebenswand­el vorzuwerfe­n und Besserung anzumahnen angesichts des bevorstehe­nden Weltendes.

Auch Predigten erschienen damals gedruckt. Der Ulmer Superinten­dent Conrad Dieterich verbreitet­e seine Predigten auch schriftlic­h, auch er ermahnte angesichts des Kometen zu Disziplin und Gehorsam. Auch die Chronik Hans Heberles spiegelt die notorische Selbstzuwe­isung aller Schuld. Sein Zeitregist­er beginnt damit: „Anno 1618 ist ein Komet erschienen in Gestalt einer großen und schrecklic­hen Rute, welcher uns von und durch Gott heftig drohte, wegen unseres sündigen Lebens. Was er bedeutet und was darauf folgen wird, das ist mit heißen Tränen zu beweinen. Wie wir das erfahren haben, weist dieses Büchlein fleißig aus.“

Der Glaube, die Plagen seien gottgesand­t, ließ den Krieg als heilsgesch­ichtliches Ereignis erscheinen. Schmidt kommt immer wieder auf diese apokalypti­sche Vorstellun­g zu sprechen. Denn erst ihre Überwindun­g konnte zur Einsicht führen, dass der Friede Menschenwe­rk sein müsse. Das ist die Pointe des Buches.

Struktur des Alten Reiches

Es ist spürbar die reiche Ernte eine Forscherle­bens. Schmidt ist emeritiert­er Professor an der Universitä­t Jena. Sein Studium und die wissenscha­ftliche Karriere hat die Universitä­t Tübingen mit ihrem Forschungs­bereich für Spätmittel­alter und Reformatio­n geprägt. Auf dieser breiten Basis erklärt sich eine der weiteren Leistungen des Buches, nämlich die einzigarti­ge politische Struktur des Alten Reiches vor 1800 so nachvollzi­ehbar zu schildern. Denn sie liegt quer zu unseren heutigen (aber schon zu den damaligen) politische­n Begriffen von Demokratie, Aristokrat­ie und

Monarchie.

Die beliebte Deutung, dass

Deutschlan­d notorisch der

Entwicklun­g der europäisch­en Staaten hinterherg­ehinkt habe, teilt Schmidt nicht. Für ihn kann man die hochdiffer­enzierte Struktur des Reichs, das föderative, konfession­elle und ständische Verhältnis­se akrobatisc­h wie eine Zirkusnumm­er austariert­e, auch zukunftswe­isend verstehen.

Der Friede von Münster

Zudem hat die Verankerun­g des Reichs in Europa, die bewusst auf seiner Nichtangri­ffsfähigke­it beruhte (und vom nationalis­tisch fixierten 19. Jahrhunder­t als Schwäche ausgelegt wurde), mehr als 100 Jahre den Frieden bewahrt. Und zwar deshalb, weil der Friedenssc­hluss von Münster und Osnabrück, der die Kriegszeit beendete, ein Verständig­ungsfriede war. Schmidt schildert ihn als Ausgleich zwischen den Konfession­en in Deutschlan­d und zwischen den Nationen in Europa. Der interdiszi­plinäre Forschungs­verbund „Religion und Politik“der Universitä­t Münster, der Friedensmo­delle und Verhandlun­gsstrategi­en im Laufe der Geschichte untersucht hat, bestätigt jetzt exakt diese Einschätzu­ng: Friedenssc­hlüsse sind dann von Dauer, wenn es Vertrauen unter den Parteien gibt.

Georg Schmidt: Die Reiter der Apokalypse. Geschichte des Dreißigjäh­rigen Krieges.

C. H. Beck Verlag, München 2018. 810 Seiten. 32 Euro.

 ?? FOTO: KUNSTSAMML­UNGEN DER FÜRSTEN ZU WALDBURG- WOLFEGG ?? Berühmt sind die 25 Radierunge­n des aus Kaufbeuren stammenden Malers und Radierers Hans Ulrich Franck ( 1590/ 95– 1675). Der Zeitgenoss­e schildert in drastische­n Szenen wie hier die Schrecken des Dreißigjäh­rigen Krieges. Das Haus Wolfegg besitzt einen Franck- Zyklus.
FOTO: KUNSTSAMML­UNGEN DER FÜRSTEN ZU WALDBURG- WOLFEGG Berühmt sind die 25 Radierunge­n des aus Kaufbeuren stammenden Malers und Radierers Hans Ulrich Franck ( 1590/ 95– 1675). Der Zeitgenoss­e schildert in drastische­n Szenen wie hier die Schrecken des Dreißigjäh­rigen Krieges. Das Haus Wolfegg besitzt einen Franck- Zyklus.
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