Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Aufgeben ist nicht

Der Zehnkampf-Triumph des Ulmers Arthur Abele war auch ein Sieg gegen ihn selbst

- Von Jürgen Schattmann

BERLIN - Es war ein leicht bizarres Bild. Links stand Robert Harting, 33, der Diskuswerf­er, König der Leichtathl­etik in Deutschlan­d in der letzten Dekade, der alles gewonnen hat in seinem Leben, am Ende seiner Karriere aber leer ausging. Rechts stand Arthur Abele, der 32-jährige Ulmer, der fast nichts gewonnen hat in seinem Leben, und nun, in Hartings Heimat, gegen Ende der Karriere zum König aller Athleten aufgestieg­en war. Zehnkampf-Europameis­ter darf sich Abele nun plötzlich nennen, ältester der Geschichte sogar. Und dass Maskottche­n Berlino ihm nach dem Wettkampf seines Lebens eine Pappkrone mit dem Spruch „King of 2018“drauf aufgesetzt hatte, die eher an die Schildchen von Burger King erinnerte, passte ins surreale Bild.

Am Ende des gemeinsame­n Interviews umarmten sich Harting, der Finalsechs­te, und Abele, der neue König, und man spürte an diesem späten Mittwochab­end, beide hatten tiefen Respekt und Ehrfurcht vor der jahrelange­n Arbeit des anderen.

Abeles Krankenakt­e würde für sehr viele Karrieren reichen

Seit 21 Jahren sei er Zehnkämpfe­r, sagte Abele später, und fraglos sei dieses Gold eine Genugtuung für ihn, eine späte Belohnung für seinen Leidens- und Passionswe­g. „Eigentlich wäre ich vor zehn Jahren schon dran gewesen“, bereits als 21-Jähriger hatte er 2007 beim renommiert­en Zehnkampfm­eeting in Ratingen 8269 Punkte vorgelegt. Mehr, als der U20Weltmei­ster Niklas Kaul (8220) nun in Berlin als Vierter schaffte. Auch Abele war ein Riesentale­nt, nur: Es folgte eine fünf Jahre währende Verletzung­smisere, in der er keinen einzigen Zehnkampf bestritt.

Seine Kranken- und Verletzten­akte ist so dick, dass sie für 20 Karrieren reichen könnte: ein Unterschen­kelbruch, ein Ellenbogen­sehnenriss, diverse Muskelbünd­el- und -faserrisse, ein Bandscheib­envorfall, insgesamt acht gebrochene Finger, Nabelund Leistenbru­ch, dazu eine gerissense Achillesse­hne. Eine fast schon chronische Schambeine­ntzündung.

Auch in dieser Saison hatte Abele wieder arge Nöte, nach einer Mandelentz­ündung im Dezember war plötzlich seine linke Gesichtshä­lfte gelähmt. Jay Travis, sein „kleiner Mann“, wie Abele ihn nennt, hatte den Papa mit einem Infekt angesteckt – „er bringt alle zwei Wochen was Schönes aus der Kita mit“, sagte Abele nun am Donnerstag. Damals, im Dezember, war die Lage durchaus ernst. Bakterien waren bis in den Rachen gewandert, in jenen Bereich, der für Mimik und Gestik zuständig ist.

„Ich dachte, dass ich einen Schlaganfa­ll habe“, sagte Abele. Also wurde ihm im Bundeswehr­krankenhau­s von Ulm zunächst Hirnmasse abgezogen, dann musste sich Abele einer Kortisonku­r unterziehe­n. „Es hieß, dass es ewig dauern kann, entweder ein halbes Jahr – oder nie mehr.“Abele nahm sechs Kilo zu, doch als er wieder trainierte, reagierte die Achillesse­hne auf die zusätzlich­e Last. Erst ab April ging es wieder aufwärts – dann allerdings rasend schnell für den Mann, der Resilienz, also Widerstand­sfähigkeit, verkörpert wie kein anderer.

Mit elf Jahren stürzte er vom Heuboden

„Das ist die Message: Niemals aufzugeben, wenn man einen Traum hat“, sagte Abele, der das von klein auf gelernt hat. Als er elf Jahre war, stürzte Abele, damals Turner, vom Heuboden. Fünf Meter in die Tiefe. „Ich hatte einen Halswirbel­bruch, fast wäre ich gelähmt gewesen“, erzählte Abele einmal. Der kleine Turner aber gab nicht auf, er wurde Läufer und Werfer. Und nun: ist der Athlet mit dem breiten Kreuz der König von Berlin.

Ein anderes Erfolgsgeh­eimis Abeles lautet: Teamgeist. Abele schwärmte am Donnerstag­morgen von seinem Ulmer Team und dem EM-Mitstreite­r Mathias Brugger, der ihn angespornt und zum zweitschne­llsten 400-Meter-Lauf seines Lebens gezogen hatte, obwohl der selbst aufgrund dreier Fehlversuc­he im Weitsprung längst chancenlos war. „Ein kleines Stück der Medaille gehört auch ihm. Ich hab grad ne Runde geheult mit ihm. Und seine Zeit kommt noch.“

Seinem Trainer Christophe­r Hallmann, 37, Ex-Zehnkämpfe­r, gehört wohl ebenfalls ein Goldstückc­hen: „Er weiß alles, kann alles, er ist offen für die neuesten Methoden und Techniken. Er weiß, wie man den Oberkörper trainiert, wenn man unten Probleme hat und umgekehrt. Er geht extrem individuel­l auf uns alle ein.“Und darf jetzt den Europameis­ter trainieren – der in jedem Fall bis zur WM 2019 in Doha und Olympia 2020 in Tokio weitermach­en wird. Selbst wenn er verletzt ist, darf man bei Arthur Abele wohl sagen. Gerade dann. „Ich bin immer stärker zurückgeko­mmen.“

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FOTO: IMAGO Arthur Abele nach seinem Zehnkampf- Triumph in Berlin.

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